§ 108 StPO erfasst Zufallsfunde, die auf die Verübung anderer Straftaten hindeuten. Lediglich ausnahmsweise sind Gegenstände einbezogen, wenn ihre Beweisbedeutung in Bezug auf den Ausgangsvorwurf sich aufdrängt. Ansonsten würde die Eingrenzungsfunktion der richterlichen Durchsuchungsanordnung unterlaufen. Eine „Umfunktionierung“ einer an sich rechtmäßigen Durchsuchung zu einer planmäßig gezielten Suche nach Zufallsfunden ist unzulässig. Erst recht darf eine Durchsuchung nicht als Vorwand dafür gebraucht werden, systematisch nach Gegenständen zu suchen, auf die sich die Durchsuchungsanordnung nicht erstreckt (sog. fishing expeditions). 41 Besteht für den Zufallsfund ein Beschlagnahmeverbot gem. § 97 StPO, darf er ebenfalls nicht nach § 108 StPO sichergestellt werden. Bei Gebäudedurchsuchungen gem. § 103 Abs. 1 Satz 2 StPO ist die Beschlagnahme von Zufallsfunden nach § 108 StPO ebenso untersagt, weil die Durchsuchung lediglich der Ergreifung des Beschuldigten dienen soll. Der Gesetzgeber wollte dadurch gewährleisten, dass Gebäudedurchsuchungen nicht zum Anlass genommen werden, allgemein nach belastenden Gegenständen zu suchen. 42 Freilich werden Beschlagnahmen nach § 94 StPO dadurch nicht ausgeschlossen. Sie sind aber lediglich in dem Verfahren gegen den zu ergreifenden Beschuldigten statthaft. Dagegen dürfen Zufallsfunde, die in Verfahren gegen andere Beschuldigte von Bedeutung sein könnten, nicht vorläufig sichergestellt werden. Allerdings kann die Staatsanwaltschaft alsbald ein neues Ermittlungsverfahren einleiten und in diesem einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss erwirken oder bei Gefahr im Verzug selbst eine entsprechende Anordnung erlassen. 43
Im Sachverhalt wurden die Betroffenen in Gewahrsam genommen. Als Ermächtigung fungiert § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW (Unterbindungsgewahrsam). Hiernach ist eine Gewahrsamnahme zulässig, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Das VG Schleswig bejahte die Voraussetzungen der Eingriffsnorm in einem entsprechenden Fall (entsprechend § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW). 44 Die Betroffenen haben eine Ordnungswidrigkeit begangen, die auch von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit – verkörpert durch die betroffenen Nachbarn – gewesen ist. Angesichts des uneinsichtigen Verhaltens der Ruhestörer ist das Mittel der Ingewahrsamnahme auch „unerlässlich“ zur Beseitigung der Gefahr weiterer Störungen. Wird die Nachtruhe durch laute Musik oder auf sonstige Weise empfindlich gestört, so dürfen die Verursacher in Gewahrsam genommen werden, wenn andere mildere Maßnahmen nicht möglich sind. Vorliegend hätte auch eine Sicherstellung der Anlage in Erwägung gezogen werden können (§ 43 Nr. 1 PolG NRW). Indes mussten die Polizeibeamten damit rechnen, dass die Kläger auch nach Entfernung der Anlage andere Wege – wie das bereits begonnene „Trommeln“ – finden würden, um sich lautstark bemerkbar zu machen. Die Ingewahrsamnahme zwecks Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten ist aus rechtlichen Gründen nicht unproblematisch. Strittig ist hier, ob eine Ingewahrsamnahme zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit überhaupt zulässig ist. Diesbezüglich wird ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK angenommen, wonach die Freiheit der Person nur zur Verhinderung einer strafbaren Handlung entzogen werden darf. Die Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit wird nicht erwähnt. Aufgrund Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG steht die EMRK im Rang eines Bundesgesetzes. Bei Interpretation nationalen Rechts ist die Konvention zu beachten. Das bedeutet grundsätzlich auch, dass die Konvention als Bundesgesetz dem Landesrecht vorgeht und dass die in Art. 2 ff. EMRK verbürgten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu beachten sind. 45 Die Regelung des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams ist mit Art 5 Abs. 1 EMRK vereinbar. 46 Nach dem BayVerfGH lässt sich nicht feststellen, dass nur die mit Kriminalstrafe bedrohten Handlungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK erfasst werden. 47 Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK lässt auch eine Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten zu, wenn diese mit erheblichen Gefahren für ein geschütztes Rechtsgut verbunden sind. 48 Nach der Rechtsprechung sind die entsprechenden Vorschriften der Polizeigesetze mithin mit Art. 5 EMRK vereinbar. 49 Wird also die Nachtruhe durch laute Musik oder auf sonstige Weise empfindlich gestört, so dürfen die Verursacher in Gewahrsam genommen werden, wenn andere mildere Maßnahmen nicht möglich sind. Ob eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit vorliegt, kann auch nicht abstrakt, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. 50
1Der Sachverhalt ist angelehnt dem Urteil des VG Schleswig v. 15. 6. 1999 – 3 A 209/97, NJW 2000, 970. Mit entsprechenden Fallbearbeitungen auch P-TRE PolR Sachsen, S. 146. — 2Das Klingeln an der Wohnungstür und die Aufforderung diese zu öffnen, ist nicht notwendigerweise mit einem Betreten (Durchsuchen) verbunden. Insofern liegt ein eigenständiger Grundrechtseingriff in Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) vor. Das Klingeln an der Wohnungstür („Öffnen Sie die Tür“) ist – ebenso wie die „Ermahnung zur Ruhe“ – als selbstständige Verfügung zu qualifizieren. Problematisch ist in derartigen Fällen mitunter die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes. § 43 VwVfG NRW stellt den Zeitpunkt der Wirksamkeit mit der Bekanntgabe gleich. Bekanntgabe bedeutet, dass der Empfänger über den Verwaltungsakt informiert wird. Zuweilen könnte die Bekanntgabe zweifelhaft sein, da nicht unbedingt davon ausgegangen werden kann, dass das Klingeln (Aufforderung) auch wahrgenommen wird. — 3Hierbei geht es nicht um die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit, sondern um die Verhinderung der Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit. Das aber ist Teil der Gefahrenabwehr. — 4Vertiefend: Voßkuhle JuS 2007, 908; Schoch JURA 2003, 472. — 5Grundlegend Britz NVwZ 2019, 672 ff.: Freie Entfaltung der Persönlichkeit – Verfassungsversprechen zwischen Naivität und Hybris? — 6OLG Düsseldorf NJW 1990, 1676. — 7Das Öffnen einer Tür wird auch als „Teilhandlung“ zum Betreten und Durchsuchen einer Wohnung angesehen, die vom Adressaten erduldet werden muss; so das VG Düsseldorf, Beschl. v. 28. 9. 1983 – 18 K 1051/82. — 8Vgl. auch mit einer Fallbearbeitung Springer PIR 1/2009, 46 ff. — 9Grundlegend zum Wohnungsgrundrecht Braun StaatsR, S. 166 ff. — 10 Puttler JA 2001, 669 (672). — 11 WHM POR NRW , Rn. 196: Die Öffnungsverfügung selbst kann nur auf der Generalklausel (§ 8 Abs. 1 PolG NRW) beruhen, da sich aus § 41 PolG NRW im Hinblick auf den Wortsinn nicht die Befugnis ergibt, den Wohnungsinhaber aufzufordern, die Wohnung aktiv zugänglich zu machen. — 12 Schenke POR, Rn. 115. — 13 Schenke POR, Rn. 152. — 14 Götz/Geis POR, § 12, Rn. 5; Schenke POR, Rn. 115. A.A. Gusy PolR, Rn. 256 („Die Durchsuchung ist als Realakt, nicht hingegen als Verwaltungsakt zu qualifizieren“). — 15 Schenke POR, Rn. 115: Die Anordnung einer Durchsuchung, mit welcher der Betroffene zur Duldung der Durchführungshandlung verpflichtet wird, stellt sich als VA dar, die Durchführung der Durchsuchung dagegen als Realakt. — 16Kritisch Schmitt/Kammler NWVBl. 1995, 166 (167). — 17 Fehling JA 1997, 482 (483). — 18Die Prämisse „auch ohne Einwilligung“ wird auch als „eigentlich überflüssig“ betrachtet. Sie darf nicht dahin verstanden werden, es müsste immer erst die Nicht-Einwilligung eingeholt werden, bevor gem. dieser Vorschrift (§ 41 PolG NRW) gehandelt werden könne. Vielmehr will § 41 PolG NRW zum Ausdruck bringen, eine Wohnung dürfe betreten werden, ohne dass es auf das Vorliegen einer Einwilligung ankäme. Wenn eine Einwilligung vorliegt, geht der Wohnungsbetretung der Eingriffs-Charakter ab und es stellen sich keine rechtlichen Probleme, jedenfalls solange die Polizei nur überhaupt im Rahmen polizeilicher Aufgaben handelt, Schmitt-Kammler NWVBl. 1995, 166 (dort. Fn. 11). — 19Vertiefend: Robrecht apf 2006, 199 ff. — 20BVerfG NJW 2001, 1121 (1123). — 21 Tegtmeyer/Vahle PolG NRW, § 42, Rn. 1. — 22 Knemeyer POR, Rn. 218; nach a. A. ist die Adressateneigenschaft nach den Inanspruchnahmenormen zu prüfen. Den Adressaten aus der Ermächtigung zu nehmen mit dem Hinweis, er sei Wohnungsinhaber, ist nicht sachgerecht, da es seine Rechtsposition unzulässigerweise verkürzt, wenn die Gefahr weder von der Wohnung ausgeht oder noch der Wohnungsinhaber sie verursacht hat, vgl. Tetsch ER Bd. 2, S. 108. — 23 Nimtz/Thiel ER, Rn. 905. — 24Nach anderer Auffassung ist für diese Maßnahme § 8 PolG NRW zu prüfen. Allerdings ergibt sich dann die Situation, dass nach dem Türöffnen zusätzlich § 41 PolG NRW zu prüfen ist. Daher wird hier dem ersten Lösungsweg der Vorzug gegeben, vgl. auch Springer PIR 1/2009, S. 46 (47). — 25 Tegtmeyer/Vahle PolG NRW, § 41 Rn. 3. — 26 P-TRE PolR Sachsen , S. 57. — 27BVerwG NJW 1975, 130. — 28 Götz/Geis POR, § 8, Rn. 50. — 29Die Nachtzeit umfasst vom 1. April bis zum 30. September die Stunden von 21.00 Uhr bis 4.00 Uhr und vom 1. Oktober bis zum 31. März die Stunden von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr; vgl. nun BVerfG, Beschl. v. 12. 3. 2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428: Der Begriff Nachtzeit ist in § 104 Abs. 3 StPO abschließend definiert, der indes aus der Zeit gefallen ist und für eine bäuerlich geprägte Lebenswelt konzipiert war, in der der Arbeitstag im Sommer morgens um 4 Uhr begann. Weil aber nach den heutigen Lebensgewohnheiten zumindest die Zeit zwischen 21 Uhr und 6 Uhr ganzjährig als Nachtzeit anzusehen ist, erstreckt sich nach der Entscheidung des BVerfG v. 12. 3. 2019 der Schutz vor nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen auch in den Monaten April bis September auf die Zeit von 4 Uhr bis 6 Uhr morgens. Dies folge unmittelbar aus Art. 13 Abs. 1 GG; hierzu Kühlewein NStZ 2019, 501 ff.; Jahn JuS 2019, 822 ff.; Sachs JuS 2019, 1039 ff.; Muckel JA 2019, 471 ff.; Klein Kriminalistik 2019, 526 ff.; Vahle Kriminalistik, 383 ff. — 30Kritisch zu „Nachtzeitregelung“ bereits Rachor/Graulich , in: Lisken/Denninger HdbPolR, Kap. E Rn. 632. — 31Gegen die Ansicht, das zwangsweise Öffnen von Wohnungstüren sei als unselbstständiger Bestandteil des Betretens und Durchsuchens von der polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlage mit umfasst, spricht schon die Tatsache, dass das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen ohne Einwilligung des Wohnungsinhabers nicht notwendigerweise mit Zwang verbunden ist. — 32Auf die Überlegung, dass es sich ggf. beim Öffnen der Tür nur um eine Duldungs- und nicht um eine Handlungspflicht und damit konsequenterweise um unmittelbaren Zwang handelt, sei hingewiesen, vgl. Roos Kriminalistik 1993, 319 (323); VG Düsseldorf , Beschl. v. 28. 9. 1983 – 18 K 1051/82: Öffnen der Tür als Teilhandlung zum Betreten und Durchsuchen der Wohnung, die vom Adressaten erduldet werden muss. Aufgrund eines Einsatzes der Polizei wegen befürchteter Lebensgefahr bei einer älteren Dame, die jedoch in Urlaub verweilte, wurde mit Schlüsseldienst die Wohnungstür geöffnet. Das VG stellte mithin fest, dass in diesem Rahmen keine Handlungspflichten, sondern vielmehr nur Duldungspflichten des Betroffenen bestehen, die als nicht vertretbare Handlung nicht im Wege der Ersatzvornahme durchgesetzt werden können. — 33 Schenke POR, Rn. 553. — 34 Götz/Geis POR, § 13, Rn. 23. — 35BVerwG NJW 1992, 1908: Verfassungsmäßigkeit der Kostentragungspflicht; VGH Mannheim NJW 2007, 2058: Ersatzvornahme zur Durchsetzung eines Wanderschilds. — 36 Gusy PolR, Rn. 442. — 37 Puttler JA 2001, 669 (676). — 38Bei der Fremdvornahme beauftragt die Polizei einen Dritten. Hierbei wird zwischen der Behörde und dem Unternehmer ein zivilrechtlicher Vertrag geschlossen (Werkvertrag, §§ 631 ff. BGB). — 39Grundlegend Cordes/Pannenborg NJW 2019, 2973 ff. — 40 Tetsch ER Bd. 2, S. 169. — 41LG Berlin NStZ 2004, 571. — 42 Bruns , in: KK-StPO § 108 Rn. 8 — 43 Gercke , in: HK-StPO § 108 Rn. 13; Cordes/Pannenborg NJW 2019, 2973 (2974). — 44VG Schleswig NJW 2000, 970, Anm. Vahle Kriminalistik 2000, 394. — 45Vgl. auch Kingreen/Poscher POR, § 16 Rn. 18; grundlegend zu EMRK Nußberger JZ 2019, 421 ff. — 46 Tegtmeyer/Vahle PolG NRW, § 35 Rn. 7; VG Hannover NVwZ-RR 2012, 925; auch EGMR NVwZ 2014, 43, der allerdings die Variante des Art. 5 Abs. 1b („Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung“) für einschlägig erachtet. — 47BayVerfGH BayVBl. 1990, 658. — 48VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 540. — 49VG Schleswig NJW 2000, 970, Anm. Vahle Kriminalistik 2000, Otto Deutsche Polizei 11/2000, 40. — 50BayObLG NVwZ 1999, 106, Anm. Vahle Kriminalistik 1999, 248.
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