1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Nun steht außer Zweifel, daß das Bundesverfassungsgericht 1998 die unreglementierte Kurzberichterstattung zum unantastbaren Rechtsgut erklärte. Deshalb reichte die ARD beim Landgericht München I einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen Kirchs Sportrechteagentur ISPR ein, der aber abgelehnt wurde. Bis zur letzten Instanz kämpfe man, hieß es danach aus den Reihen der tapferen Anwälte der Informationsfreiheit (»ein harter und dorniger Weg«, so der ARD-Vorsitzende Peter Voß, die Kirch-Hauspostille Bild tobte: »Feldzug«!), und die Chancen sind nicht übel. Dennoch fragte die Funkkorrespondenz (30/2001) zu Recht: »Für wie schlecht müssen die Kirch-Leute die ran -Sendung halten, wenn sie tatsächlich der Meinung sein sollten, diese einzweidrittel Minuten machen der anschließenden Sat.1-Sendung die Zuschauer abspenstig?«
Die jüngsten ran -Quoten waren eine Offenbarung. Eine heimatmusikalische ARD-Produktion schlug am 4. August Jörg Wontorras alberne Faselshow locker – bei 7,1 zu 2,0 Mio. Zuschauern. Kirch wird die Sat.1-Zumutung an die Wand fahren, dann den eigenen Pay-TV-Laden versenken; die potenten Bundesligavereine danken für die Ocken und gründen, nach englischem Vorbild und der Verwertungslogik folgend, klubeigene Sender mit Hofschranzen an den Mikrophonen und gegebenenfalls virtuellen Stadionkulissen. Es wäre, käme es so, ein Segen, nämlich die Öffentlichkeit erlöst vom endlos zyklischen Theater um einen Sport, dessen Protagonisten nichts unversucht lassen, um ihn zu ruinieren.
Und das deutsche Volk sollte deshalb nicht gleich verhungern.
Was macht eigentlich Otto Baumgartner? Und was treibt der Spanier so? Womit beschäftigt sich die deutsche Boxweltmeisterin Regina Halmich? Und was ist denn da dauernd im Sport los?
In bruchloser Fortsetzung des lasterbeladenen Luderjahres 2001 (wir erinnern kursorisch an Anni Friesingers freisinnige Bekenntnisse zum »erotischsten Sport überhaupt«, zum Eisschnellauf, an Stefan Kretzschmars weniger handball- und eher GV-bezogene Offenherzigkeiten oder an die Sexualturbulenzen im spanischen Fußball), in Verlängerung ebendieses denkwürdigen Jahres startete nahtlos weiter durch z. B. die Zeitschrift PLAYBOY , die sich zwecks Februarausgabe das kaum dreißigjährige und darob geringfügig unreife Ottmar-Hitzfeld-Gspusi Rosi Salioni schnappte, auf daß sie zu einer Bilderstrecke unter dem Titel »Die Geliebte des Generals« beichten durfte: »Der attraktivste Fußballer, den ich kenne, ist Lothar Matthäus. Er sieht gut aus und spielt großartig.«
Wenn er auch nicht mehr spielt, der exilierte Münchner Muskelmann, dann sieht er wenigstens gut aus – fast noch besser wahrscheinlich als Schalkes oberster Lärmer Rudi Assauer, der für Bild seine extrem aufreizenden Zigarrensaunagänge knipsen ließ – und gleichwohl schwer abschmierte gegen den Ende Oktober 2001 im Feldwebelton zusammengestauchten Angestellten Emile Mpenza. Den nämlich wählte, da sie sonst nix zu tun hat, am 30. Januar zugunsten der Bild -Zeitungsleserschaft besagte Regina Halmich unter »die zehn schärfsten Sportler« resp. »Sportler-Bodys«, knapp hinter Trainingspartner Wladimir Klitschko und vor beispielsweise Michael Schumacher. Letzterer besitze keinen ganz so hohen »Erotik-Faktor« und fährt ja bloß vermummt im allerdings affengeilen roten Auto herum.
Den vorerst handgreiflichsten Erotikfaktor jedoch haben fünf Profis des spanischen Renommiervereins FC Barcelona angepeilt. Kluivert, Cocu, Gabri, Dani und Gerard, so berichtete die schockierte Weltpresse, feierten kürzlich vor einer Auswärtspartie in Madrid eine recht unanständige, 4.000 Euro verschlingende Fete mit vier Prostituierten, woraufhin die Klubführung laut Bild eine »Orgien-Erklärung« verlangte und die Fans der katalanischen Edelschmiede »aufgeblasene Sex-Puppen mit Barça-Mützen« (Bild) schwenkten. Weil sie frecherweise nicht dabeisein durften beim Erotikevent?
»Einige Spieler bezahlen auf dem Fußballplatz für das, was sie in ihrem Privatleben tun«, kommentierte Barça-Trainer Carlos Rexach den Vorfall. Für einen anderen und sehr viel schmerzlicheren Vor- bzw. Unfall fand indes vor fast siebzehn Jahren ein Coach namens Klaus Sturm folgende Worte: »Er war kurz vorm Nervenzusammenbruch, saß nach dem Spiel noch geistesabwesend in der Kabine. Wir mußten ihm die Sportklamotten ausziehen und ihm in seine Privatsachen helfen.«
Was war geschehen? Wir zitieren aus der Bild vom 18. April 1985:
»Bayernligaspiel FC Bamberg gegen Jahn Regensburg (1:0), die 74. Minute, unvergeßlich. Regensburgs Mittelfeldspieler Otto Baumgartner (22) ist gerade eingewechselt worden, er steht im Mittelkreis. Sein Torwart wirft ihm den Ball zu, da stoppt Otto das Leder mit der Brust […]. Otto stürmt los, Richtung eigenes Tor. 600 Fans des Gegners staunen erst, dann feuern ihn die ersten an.
Otto erreicht die Strafraumgrenze. Er ist ein guter Mann, hat früher sogar in der Jugendnationalelf gespielt. Otto umspielt seinen Verteidiger Grabmeier und schießt – traumhaft sicher trifft er flach ins rechte Eck. 1:0 […].
Und der Regensburger Torwart Mühldorfer? Der hatte gar nicht reagiert und war ganz ungläubig: ›Ich dachte bis zuletzt, Otto würde ’ne Rückgabe machen.‹«
Später »entschuldigte sich Otto bei Regensburgs Fußballboß Eberl. ›Ich hatte totalen Filmriß. Ich hab’ bei meinem Sturmlauf nichts gehört und nichts gesehen. Als ich die entsetzten Gesichter meiner Kameraden sah, wurde mir bewußt, was ich angestellt hatte.‹«
Uli Hoeneß hatte Otto Baumgartner einen Profivertrag versprochen. Baumgartner hängte aber die Fußballschuhe an den Nagel. Otto wechselte ins Fuhrunternehmen seiner Eltern.
Diese vergessene Geschichte gemahnt uns angesichts der Woche um Woche heftiger brausenden Sperenzchen rund um all die geldunersättlichen Sebastian Kehls, meinungskräftigen und tattooprotzenden Stefan Effenbergs und waschbrettbauchdarstellerisch tätigen Cracks an wahre, herzerschütternde Tragik, an Zerbrechlichkeit, Schwäche, an die Möglichkeit des Scheiterns, die in der gegenwärtigen Welt des Dicktuns und narzißtischen Gehampels nicht mehr vorgesehen ist.
Ja, was macht Otto Baumgartner, der gute Kerl, eigentlich heute? Und weshalb widerfuhr ihm dazumal so Schlimmes? Plagte ihn häuslich-erotische Überbelastung, die die Orientierung auf dem Platz sehr erschwerte? Oder, umgekehrt, nagte konzentrationszerstörerischer Liebeskummer an seiner zarten Spielerseele?
Das sind Dinge, die man wirklich wissen wollte.
Attacke auf Geistesmensch
»Attacke auf Geistesmensch« heißt eine geniale Bühnennummer von Gerhard Polt. Acht Metzger besuchen das Oktoberfest. Gegen Ende der »Gaudi« drischt ihr Rottenführer einem Exemplar jenes »ausländischen Zeigls«, »des wo eim scho vom Ausland her die Plätze wegfaxt«, einen Maßkrug über den Kopf. Der schmächtige Mann, ein Nobelpreisträger, wie die Zeitungen hinterher berichten, erleidet einen Schädelbasisbruch. Die barbarische Schlachterverachtung für den anderen und den Intellekt erschüttert das nicht.
Günther Koch ist kein preisgekrönter Wissenschaftler, er ist Fußballradioreporter, laut vieler Menschen Meinung der beste. Auch ich darf mit aller gebotenen Eitelkeit behaupten, er sei ein Genie. Zwei von mir kompilierte CDs dokumentieren die eigensinnige intellektuelle Leistung des Mikrophonartisten, seine famosen Balanceakte zwischen rhetorischer Exaltation und sachlichem Engagement für das schöne Spiel Fußball.
Auf Wir rufen Günther Koch! hört man ihn z. B. die Partie Bayern München – VfB Stuttgart kommentieren, das legendäre 5:3 vom 28. Oktober 1995. Er bewundert Balakov, der die Gegner »ausgschwanzt hat«, und der sehr aktive Hobbyspieler freut sich mit dem Ballkünstler: »Das hat ihm Riesenspaß gemacht, und das gehört ja auch zum Fußballspiel.« Genauso unverblümt beurteilt Koch die 3:0-Führung der Bayern (»Also, die Bayern ham scho a Glück«), und um der eh aufregenden Reportage ein unerhörtes geistfeuriges Element hinzuzufügen, veranstaltet er unter Kollegen eine Spontanumfrage über die Berechtigung des Elfers für den FCB. Später, das zwischenzeitliche 3:3 ist gefallen, jubiliert er: »Traumhafter Spitzenfußball von den Schwaben!«
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