Roth
Anschwellendes
Geschwätz
Essay 10
Jürgen Roth
Anschwellendes Geschwätz
Kleine Chronik
des kommunikativen Krawalls
Jürgen Roth, geboren 1968, lebt als Schriftsteller »auf den Spuren von Karl Kraus« ( junge Welt ) in Frankfurt am Main. Zuletzt erschienen sind u. a. (zusammen mit Stefan Behr und Wolfgang Hettfleisch) Wichtig ist, wer hinten hält – Fouls und Schwalben in Fußball und Politik (Berlin 2005) und (zusammen mit Michael Sailer) Deep Purple – Die Geschichte einer Band (Höfen 2005).
Titel aus dem Oktober Verlag: Die Tränen der Trainer – Wichtige Fußballbegebenheiten (2001) sowie Die Poesie des Biers (2003).
© 2005 Oktober Verlag, Münster
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung des
Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster
www.oktoberverlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Tom van Endert
Titel unter Verwendung eines Photos von Jürgen Roth
ISBN 3-938568-35-4
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Inhalt
Es war einmal das Adornowahrjahr
Mission Intervention
Mission Moneten
Leise rieselt der Milzbrand
Verschweinskopfung
Kraus und Kant
Der Sportloser des Jahres 2002
Sprachskitch
Supismus
Transzendentale Reform
Nix krank
Krautlese
Wortfeldpost (Linguistischer Bericht)
Prügelstrafe für Sätze
Ein Kind Gottes
Viel Licht
Tausendjähriger Kraus
Das Planf in Kunst und Kultur
Wegwerfliteratur
Kwulst und Kwalst
Langbärtigkeit
Unser Luschigster
Im Gewöhnlichen
Von deutschem Mund zu Mund
Café Kanzler
Reaktionärer Racheengel
Ohne vieles
Toilettenkultur
Der beste Typ der Welt
Sinnquerulant
Höre, nix
Rührung und Radau
Satz für Satz
Meine Henscheid-Lieblingsstelle
Dichter deutscher Lallzunge
Neun Freunde
Rochus
Übernachten
Tante Tantra
Gottes Geld
Die Gesellschaft der Bindestrichgesellschaft
Wirklichkeit oder Wahrheit oder: Das Ende der Rede
Sex
Tortur de force
Great Amerika
Dialogos
Stimmig
OF PC
Komikwörter
Entscheidung oder Scheidung
Die F-Frage
Wie Martin Walser eine klasse Romanmasse stemmte
Gute Literatur (Vorschlag zur gerade schon wieder verwesenden »Walser-Debatte« und zu anderweitig Wichtigem)
Schwierig
Generation Lust
Schweinepidginsang
Quatsch mit Drogen
Rockreliquie
Rock Hard Core
Unglaublich
Poetry Schlamm
Poetologie und Praxis der Büttenrede
Wustmann und Lorio’t
Von Grimm und vom Grimmen
Hock around the clock
Beim Bartleby des Rudi Völler
Sinnschrunden
Meine Lieblingsminute
Purster heißer Eiseneffe
Laberfiasko
Maulwürfe für bärtige Korbmäuler
Bremsen ist die Kunst
Laudatio auf Lauda
O-Thon
Rackerndes Dreamteam
Einwandfrei ethisch
Die lange Welle der Reflexion
Die Seite 100
Erste Sätze
Der Videotextmönch
Flieg, Phoenix, flieg!
Welt im Sack
Koksspreizer
Das Runterziehen beim Lesen
Das Durchsteh’n
Ein starkes Struck Deutschland
Wer den Schlag hat
Zwei extreme Pfeifen
Der große Unterschied
Helle und Koschi
Ausgeglotzt
Intellektuellenindustrie
Was würde Beckenbauer zu Adorno sagen?
Classisches Denken
Doofenverwahrung
Idylle über den Müßiggang
Metasprache
Das süddeutsche Denken in Zeiten schwerer Ungleichzeitigkeit
Above Schmidt
Glamourgammel
Die Tautologiker
Daß kommen Nöte
Rosige Runde
Preistreiben 2003
The Aufschwung
Kritisch
Denker, Lenker und Entscheider
Europa rotzt retour
Hörrohroffen
Metakritik des Medieneis
Die Rolltreppe
Es reicht
Radiohöhepunkt
Die List(e) der Listen
Nichts
Wahrer als Wittgenstein
Antwort auf alles
Schriftsteller werden
Leistungszettels Alptraum
Konfliktkommunion
Das Nichts
Die Schweigespirale
Nachweise
Es war einmal das Adornowahrjahr
Adorno war »ein philosophierender Intellektueller«, schrieb Jürgen Habermas 1963 anläßlich des sechzigsten Geburtstages von Adorno, und Adorno war, so Habermas weiter, »ein Schriftsteller unter Beamten«.
Die Beamten waren die Schulphilosophen, diejenigen, die den systematischen und deduktiven Zwängen der universitär vermittelten Lehren gehorchten und einer Sprache dienten, die weniger an Philosophie – als ein Philosophieren – denn viel-mehr an Verwaltung gemahnte.
Adornos kreisender Stil widersprach der Sprache der bürokratischen Philosophie in der verwalteten Welt vehement. Und so sehr Adorno das Geschäft der Philosophie von innen her zu decouvrieren und dergestalt die Wahrheit der Reflexion auf das Schicksal des Subjekts philosophisch zu retten versuchte, so sehr war ihm oft danach, die »Eiswüste der Abstraktion« zu fliehen und z. B. bergzuwandern.
Das Jahr 2003 war, man mag sich daran vielleicht trotz aller Beschleunigung der Quasselkonjunkturabfolgen noch erinnern, mutmaßlich mehr als alles andere: das Adornojahr, und zur Feier des hundertsten Geburtstages des »interdisziplinären Einzelarbeiters«, wie Rolf Wiggershaus in seiner Studie Die Frankfurter Schule den Soziologen, Aphoristiker, Literaturexegeten, Husserl-Deuter, Musikphilosophen und Komponisten nannte, versuchten Symposien, Festakte, Konzerte, Liederabende, Preisverleihungen, Straßenumbenennungen und Ausstellungen den »ganzen Adorno« vorzustellen, d. h. »Leben und Werk« in Einheit, in der großen Synthese zu zeigen.
Deshalb durfte im Vorfeld auch damit gerechnet werden, auf bis dato unbekannte Aspekte des »Adornoschen« (Wiggershaus) Schaffens, Wirkens und Wandelns aufmerksam gemacht zu werden. Einen frühen Hinweis hatte die Frankfurter Ausgabe der Bild -Zeitung gegeben, in der über den Jubilar zu lesen gewesen war: »In der Welt der Philosophie, der Sozialpolitik und der Musik hat er Frankfurt berühmt gemacht.«
Sozialpolitik – interessant. Adorno: ein engagierter Referent in Sachen Mieterschutz, öffentlicher Wohnungsbau und Kindertagesstättenproblematik? Das klang ehrenwert und stellte jedoch nur ein erstes Steinchen jenes schillernden Mosaiks dar, das anschließend vor unseren Augen zusammengesetzt wurde, um uns den ungeschmälerten, den »wahren Adorno« zu präsentieren.
Adorno nämlich war in seiner Funktion als Leiter und oberster Skatspieler des Instituts für Sozialforschung auch ein bedeutender Blondinenforscher und Champagnerverehrer. Und Adorno war ein antizipatorischer Olympiagegner und unermüdlicher Boulespieler, ein eifriger Sommerhutfan und ausgefuchster Eintracht-Experte, der die prekären finanziellen Verhältnisse des launischen und verluderten Vereins durch mehrere Gutachten und Strategiepapiere nachhaltig zu verbessern trachtete.
Adorno war darüber hinaus, das dokumentiert ein Photo, das jahrelang an der Wand des studentischen Cafés im Philosophischen Institut der Universität Frankfurt hing, ein begeisterter Pappnasenträger, der im kindlichen Übermut seinen alten Kumpel Horkheimer sogar beim Wettlachen ausstach, und zwar deutlich nach Pappnasenpunkten.
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