Alfred Hein
Eine Kompanie Soldaten
In der Hölle von Verdun
Saga
Alfred Hein: Eine Kompanie Soldaten. In der Hölle von Verdun. © 1929 Alfred Hein. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.
ISBN: 9788711463703
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Motto:
Die Haut ward hart wie Leder.
Verwachsen Helm und Haupt.
Liebe, die rote Feder,
hat Sturm des Kriegs geraubt.
Dies Buch ist kein Roman, aber auch kein trockener Bericht von Kriegsabenteuern. Es ist auf Grund von persönlichen Erlebnissen mit allerdings bewusstem künstlerischen Willen gestaltet. Als Kompagnie-Meldeläufer machte ich im April und Mai 1916 die Verdun-Offensive bei den Höhen „Toter Mann“ und „Höhe 304“ mit, und in der Charakterisierung seiner entscheidenden Gestalten, im inneren Wesenskern der Ereignisse beruht das Buch auf Lebenswahrheit. Der Rhythmus jenes grossen Totentanzes mit seinen Sturmangriffen und Trommelfeuern ist mir für alle Zeit im Blut geblieben, ich habe versucht, ihn auf meine Dichtung zu übertragen. Natürlich konnte ich nicht Sekunde auf Sekunde der schwersten Todesnot mit minutiöser Darstellung reihen, wie es in der Schilderung des tagelangen Trommelfeuers eigentlich geschehen müsste, um einen entfernten Begriff von der trostlosen Preisgabe des Leibes und der Seele an die Tobsucht der Granaten zu geben.
Das Buch ist absichtlich nicht in der Ich-Form geschrieben. Aus drei Gründen. Erstens wollte ich mich zu dem „damaligen Kriegsfreiwilligen Alfred Hein“ distanzieren, um mich selbst in dem wüsten Getriebe besser zu erkennen; zweitens soll es keinen „Helden“ dieses Buches geben, der Held ist die ganze Kompagnie, eine von den vielen tausend Kompagnien, die vorn gestanden. Drittens: Nicht nur, was der meine Person vertretende Meldeläufer Lutz vom Kriege denkt und fühlt, soll als das „allein Wahre“ angesehen werden, Wynfrith, von Tislar, Hirschfeld, Agathe, sie alle haben ebenso recht.
Denn auch dieses Buch will vor allem von dem heiligen Geist der Kameradschaft künden, der während des Krieges vorn geboren wurde und der immer bereit war, über alles Ichsüchtige hinweg die Hand zu reichen, um gemeinsam die Todesnot zu ertragen, die dort vorn alle gleich anfiel.
Als ich vor zwei Jahren das Buch vorzubereiten und im vergangenen Jahre niederzuschreiben begann, gab es noch keine Hausse in Kriegsbüchern. Ich glaubte, ich würde mit ihm gegen den Strom der literarischen Mode schwimmen. Es ist über Nacht anders gekommen. Ich will diesem Modestrom dankbar sein, wenn er auch meinem Kriegsbuch zur weiten Verbreitung verhilft, obwohl Mode und Fronterlebnis verdammt schlecht in Einklang zu bringen sind. Entscheidend für die Veröffentlichung ist aber der Gedanke, den tieferen Sinn des Krieges als den, der aus dem ehrgeizigen Wunsch der verantwortlichen Machthaber aller Völker entspringen sollte, aufzuzeigen: die Meisterung der Geschicke durch diesen harten, klar sehenden und um jeden Preis nichts als die menschliche Wahrheit suchenden Kameradengeist der Front. So wenig ich für die Entfesselung des Krieges verantwortlich sein möchte, so sehr bin ich von Stolz erfüllt, in den Gräben vor Verdun meine Seele fürs Leben geklärt und gefestigt zu haben.
In der Ueberzeugung, dass dieser schöne und starke Frontgeist über den ganzen lärmenden Konjunkturbetrieb, der schon wieder trotz des Krieges die Welt beherrscht, in Deutschland in dem Augenblick Herr werden wird, in dem sich alle Frontkameraden abermals zur gemeinsamen Bekämpfung des Niedrigen und Unlauteren zusammenfinden werden, sei das Buch auch kommenden Geschlechtern ein Beispiel.
Königsberg i. Pr., Herbst 1929.
Alfred Hein.
Vom Kanal bis zu den Vogesen, das war nicht die Erde mehr, die sie alle liebten und die sie alle irgendwo zärtlich Heimat nannten, das war ein herabgefallenes Riesenstück eines erlöschenden Sternes, der sich im letzten Aufruhr befand, dampfend an allen Enden Meteore sprühte, die den Tod brachten, und der, eine Wüste des Schreckens und der Pein, nicht mehr von dieser Welt sein konnte.
Verdun 1916. Explosion zweier aufeinandergehetzter Völker in zusammengebissenster Gewalt. Das Irrenhaus eines einander zerfleischenden Patriotismus war hier aufgetan. Deutsche? Franzosen? Tiere. Gehetzte Rehe, mutige Leoparden, geruhige Löwen, wilde Hyänen — Kriecher auf allen Vieren, und dennoch ein Menschenherz in der Brust, das wahnsinnig wurde, weil es zerbrochen war und trotzdem seltsam über der fernen, längst unwirklich gewordenen Heimat hing und schlug. Und dann und wann lächelte es in die Lippen empor.
Mit jedem Herzschlag fielen tausend Schüsse. Kanonen und Maschinengewehre. Mit jedem Herzschlag hörten immer wieder junge Herzen zu schlagen auf. Dahin. Auch du? Nun sei’s. Alles ist ...? Wir haben keine Gedanken mehr. Heimat .... Die Mutter ....? Immer war dieser Krieg. Sie wussten es nur nicht. Immer wird er sein. Mit ihm aber die Kameradschaft.
Als der Namenaufruf begann, wusste jeder sofort, worum es ging. Die Stimme des Feldwebels zitterte. Das Schikanöse in seiner Haltung und in seinen Zügen war fort. Alle baten ihm in dieser Stunde ab, auf ihn geflucht und schlecht über ihn gesprochen zu haben. Er trug also nur in den gewöhnlichen Tagen des Kommisses das dazu passende disziplinstarre Gesicht. Für manchen von der Kompagnie brach sogar etwas wie Zärtlichkeit aus seiner Stimme hervor, wenn er den Namen rief.
Der alte Hauptmann aber, der daneben stand, Schulrat in Zivil, mit einem guten weinseligen Gesicht, das von einem wuseligstruppigen Bart umhangen war, Koesel hiess er — Klösel nannten sie ihn, weil er klein und rundlich war, ja, der alte Hauptmann liess zwei Tränen in seinen Schifferbart rollen und sah die Jungens, die er einexerziert für den grossen Marsch in den Tod, starr und fassungslos an. Zu Weihnachten sollten sie schon hinaus, damals hatte er sie aber alle doch noch auf Urlaub zu Muttern schicken können — er liess sich lieber einen Rüffel geben, warum die Ausbildung so langsam vorwärts ging, aber was kam es auf ihn alten Knaben viel an? Die Front wird nicht gleich einstürzen, wenn seine Jungens fehlten. Die Front — — das war, was nie einstürzte. Lieb Vaterland, magst ruhig sein.
Er hörte die Namen, seit sieben Monaten so vertraut: Meyer, das war kein xbeliebiger Meyer, das war sein stud. med. Meyer, blass und schmal, Liebetanz, das war der kleine kiewige Unteroffizier, Moerse, ein Schlächter, aber ein gutes Luder, bisschen doof, Kalinchen, der lange Kalinchen, nie wird er seinen unförmigen Zinken vergessen, der immer aus Reih und Glied hervorragte, als sollte man daran sein Portepée hängen, Lindolf mit den Kinderaugen, wer hätte den Jungen im Frieden zum Militär zugelassen, nun soll er in den Schlamassel da hinaus, Groeber I, hinter dessen breiter Brust haben drei Lindolfs Platz, Groeber II, die beiden Brüder, müssen sich für ihr Gardemass besondere Unterstände bauen, dass mir die beiden bloss die Köpfe einziehen können im Graben — Wittke, Riemer, Pogoslawski, Maruhn, Töz, Stegen, Hirschfeld, der kleine, ungeschickte Jude, richtig — fällt ihm wieder eine Patronentasche ab, da er aufgerufen wird — aber siehe, der Feldwebel brüllt heute nicht: „Hirschfeld, aus welcher Menagerie haben sie dich losgelassen?!“ Er knurrt nur: „Festschnallen, Hirschfeld!“ Und das ist wie eine Mahnung: Schnall auch dein Herz fest, Junge! Schultz, Schulze, Schütz, Schützel — die vier Es-Ce-Has in seiner Kompagnie — immer wird der Hauptmann wissen, dass er diese vier Namen in dieser Reihenfolge in seiner Kompagnie hatte — ach, nun bekam er wieder irgendein Landsturmbataillon, mürrische alte Knaben da irgendwo in einem Gefangenenlager oder in der russischen Etappe.
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