Reiner Sörries
Vom guten Tod
Reiner Sörries
Vom guten Tod
Die aktuelle Debatte und ihre kulturgeschichtlichen Hintergründe
Butzon & Bercker
„Orientierung durch Diskurs“Die Sachbuchsparte bei Butzon & Bercker, in der dieser Band erscheint, wird beratend begleitet von Michael Albus, Christine Hober, Bruno Kern, Tobias Licht, Cornelia Möres, Susanne Sandherr und Marc Witzenbacher.
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de
ISBN 978-3-7666-1945-7
E-Book (Mobi): ISBN 978-3-7666-4284-4
E-Book (PDF): ISBN 978-3-7666-4285-1
E-Pub: ISBN 978-3-7666-4283-7
© 2015 Butzon & Bercker GmbH, Hoogeweg 100, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Christoph M. Kemkes, Geldern
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Printed in Germany
Vorwort
I. „Etwas Besseres als den Tod findest du überall!“
II. Der Tod als Baustein der Evolution – Alte und neue Gedanken
Der Sinn des Todes in der Evolution
Deine Nachkommenschaft wird zahlreich sein wie die Sterne am Firmament
Der Fortbestand der sozialistischen Menschengemeinschaft
Das Weib triumphiert über den Tod
III. „Es hat Gott gefallen …“
IV. Der gute und der jähe Tod – im Mittelalter
ars moriendi – die Kunst zu sterben
Der heilige Christophorus bewahrt vor dem jähen Tod
Jesus, Maria und Josef
Seelgeräte
V. Der sanfte und der selige Tod – Gedanken der Reformation
Anweisungen für einen guten Tod
Testament, Versöhnung und Vorsorge
VI. Das scheußliche Gerippe – nicht nur im katholischen Barock
Der Sensenmann
Irdisches Leiden und himmlische Freuden
VII. Bruder Tod – Wandlungen der Aufklärung
Hypnos und Thanatos
Tod ist nicht Tod, ist nur Veredelung sterblicher Natur
Esoterische Todesgedanken
VIII. Der Selbstmord – kein guter Tod?
Selbstmord, Freitod, Suizid
Der egoistische und der altruistische Selbstmord
Freiheit, Versklavung oder Tod
Suizid und Sterbehilfe
Der rituelle Selbstmord
IX. Der Opfertod – ein guter Tod?
Sterben für andere
Euthanasie und Organspende
X. Todesangst, Todestrieb und Todeslust – im 19. Jahrhundert
Der schöne Tod der Liebenden
Der Tod als Paradox
XI. Die Skandalisierung des Todes – im 20. Jahrhundert
XII. Euthanasia und Euthanasie – Ihre Pervertierung im Nationalsozialismus
Euthanasia als Hilfe zum Guten Tod
Euthanasie als Instrument der Auslese
Euthanasie als Instrument zur Ausmerzung der Schwachen
Die Tabuisierung der Euthanasie
Euthanasie als Recht auf den eigenen Tod
Die Neubewertung unwerten Lebens
Vom Selbstbestimmungsrecht des Menschen
Euthanasie und Ökonomie
XIII. Sterben lernen – im Hier und Jetzt
ars moriendi nova – ars vivendi
Das Lernziel Sterben
Kinder lernen sterben
Friedhofspädagogik und Death Café
Sterbebegleitung
XIV. Die Autonomie des Menschen oder die Debatte um die Sterbehilfe
Definitionen der Sterbehilfe
Erlaubte, nicht erlaubte und praktizierte Sterbehilfe
Regelungen der Sterbehilfe im europäischen Ausland
Sterbehilfe zum guten Tod?
Beurteilung der Sterbehilfe in den Religionen
XV. Und der Tod wird nicht mehr sein – in Zukunft?
Die Brücke zur Unsterblichkeit
Makrobiotik und Athanasia
Die Schaffung des unsterblichen Menschen
Vom Unglück des Sterblichen ein Unsterblicher zu werden
XVI. Vorläufige Gedanken zum Schluss
Anmerkungen
Weiterführende Literatur
„Dann wirft er die Fessel von sich, und er tut das nicht bloß in der äußersten Not; sondern sobald das Schicksal anfängt, ihm verdächtig zu werden, geht er gewissenhaft mit sich zu Rate, ob er sofort ein Ende machen soll.“ In seinem vierten Brief an Lucilius argumentiert der römische Philosoph und Staatsmann Seneca mit diesen Worten für die Berechtigung der Selbsttötung, und er hat dabei in erster Linie den weisen Menschen im Blick, der über seinen Zustand und das, was ihn noch erwartet, reflektieren kann. Sein Bekenntnis zum überlegten Entschluss, dem Leben ein Ende zu setzen, blieb auch zu seiner Zeit nicht unwidersprochen, doch seinen Gegnern, welche für ein Verbot der Selbsttötung eintraten, antwortete er in einem weiteren Brief an Lucilius: „Wer so spricht, sieht nicht, dass er der Freiheit den Weg versperrt. Wie hätte das ewige Gesetz besser verfahren können, als uns nur einen Eingang ins Leben zu geben, aber viele Ausgänge?“ Ungeachtet dessen, welche Einstellung zum Tod aus eigener Entschlossenheit man haben mag, ist es richtig, dass das Leben viele Ausgänge haben kann. Doch welcher ist der richtige, der beste? Und kann es einen falschen geben?
Angeregt ist dieses Buch durch die Ankündigung der Ende 2013 ins Amt gekommenen schwarz-roten Bundesregierung, die mehrfach verschobene Gesetzgebung zur Sterbehilfe nun auf den Weg zu bringen. Dabei solle nach Möglichkeit eine fraktionsübergreifende Regelung gefunden werden, wobei ein Fraktionszwang nicht gelten dürfe. Jeder Abgeordnete sei in dieser Frage allein seinem Gewissen verpflichtet, denn es gehe um elementar persönliche Einstellungen in dieser Menschheitsfrage. Trotz dieser Ausgangslage will das Buch kein weiteres zum Thema Lebenspflicht und Sterberecht sein, sondern es befasst sich mit dem Ausgang des Lebens und stellt sich der Frage, ob es angesichts der bitteren Weisheit vom Sterben-Müssen einen guten Tod geben kann.
Die Quintessenz lautet, dass es nicht nur viele Ausgänge des Lebens gibt, sondern ebenso viele Vorstellungen vom guten Tod . Ein Gang durch die Kulturgeschichte lässt deutlich werden, welch unterschiedliche Auffassungen dazu miteinander um die Wahrheit kämpften. Daran hat sich nichts geändert. Der Unterschied von heute zu früher besteht allenfalls darin, dass diese Frage nicht mehr ausschließlich von religiösen oder philosophischen Eliten beantwortet wird, sondern jeder bildet sich dazu seine eigene Meinung. Im Wissen um die freie Meinungsbildung, die mit jener Autonomie verschwistert ist, die jedem das Recht einräumen will, sein Ende nach eigenem Willen zu gestalten, erhebt dieses Buch nicht den Anspruch, das Kriterium für den guten Tod gefunden zu haben. Vielleicht kann es sensibilisieren, Argument und Gegenargument verständlich machen, vielleicht ist es auch nur ein lesenswerter Gang durch die Kulturgeschichte, denn die Vorstellungen vom guten Tod sind ein Teil von ihr. Zumindest wird dann verständlich, dass es für die Wertebestimmung des guten Todes keine überzeitlichen, unhinterfragbaren und quasi menschheitsimmanenten Kriterien gibt. Was wir für einen guten Tod halten, ist Teil eines kulturellen Lernprozesses, der von der Welt abhängig ist, in der wir leben.
Freilich werden dann auch wir zum Ende in der Gegenwart angekommen sein und der aktuellen Debatte um die Sterbehilfe begegnen, die manche aus bitterer Erfahrung als Euthanasie ablehnen oder als Inbegriff des Selbstbestimmungsrechts des Menschen als Euthanasia herbeisehnen und einfordern, denn im Wortsinn geht es nur um den guten Tod . Das ist jedoch nur der vorletzte Schritt, denn es stehen ja die Wünsche im Raum, den Tod vermeiden zu können. Für Trans- und Posthumanisten stellt sich die Frage nicht mehr, was ein guter Tod ist, denn es wird ihn dann nicht mehr geben. Bis es allerdings so weit ist, bleibt es der Gesellschaft, der Politik und dem Einzelnen kaum erspart, Regelungen zu finden, die für alle gelten.
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