Thomas Friedrich Sänze
Fulcher von Fabeln
Fulcher von Fabeln – TOD IN ELBING
Thomas Friedrich Sänze
Covergestaltung: Sabine Abels / www.e-book-erstellung.depublished by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de Copyright: © 2014 Thomas Friedrich Sänze ISBN 978-3-7375-1451-4
Prußenland, im Monat Oktober des Jahres 1260
Burg/Stadt Elbing
Umgebung
Ich war ein vielversprechendes Kind aus gutem Hause. Zwar niederer, doch halbwegs angesehener Adel. Meine Eltern schenkten mir Jugend, beste Gesundheit und ließen mir obendrein getreu ritterlicher Tradition eine hervorragende Ausbildung in Mord und Totschlag zukommen. So war ich gut gerüstet für jede Zukunft, die da kommen mochte.
Als Nachgeborener konnte ich keinerlei Erbe erwarten und war ohnehin von wenig Nutzen für meine Erzeuger. Unnütze Esser schickte man in Adelskreisen entweder ins Kloster oder in den Krieg. Ich war keiner, der das ewige Heil auf den Pfaden Gottes suchte. Deshalb wählte ich den Krieg. So wie es alle tun, die lieber den Eitelkeiten der Welt hinterherlaufen. Mein Schicksal vereinte sich im Weltlichen und Geistlichen als Ordensritter in den heiligen Händen des Ordo fratrum domus Sanctae Mariae Teutonicorum Ierosolimitanorum.
Ein Ritter war der Kern und die Stärke jedes christlichen Heeres. Das Panzerkleid, war sein Gewand und das Schwert sein Vorrechtszeichen. Das Wesen der Waffe hatte einen ausgesprochen prägenden Einfluss auf das Selbstwertgefühl eines Mannes. Unangreifbar in einer ehernen Rüstung mit Schwert, Schild und Lanze auf einem muskelstrotzenden Streitross zu sitzen, führte bei jedem Mann zu einem entsprechenden enormen Ego. Wir Ritter waren die Götter des Schlachtfeldes, und auch wenn wir uns selbst nicht für Gott hielten, so befanden wir uns doch bereits sehr nahe bei ihm. Die tiefe Überzeugung, dass die Welt ihm gehöre und jeder seines Standes ein von Gott auserwählter Mann sei, bildeten den Kern und die Seele eines jeden Streiters des Heiligen Römischen Reiches. Mit Gottes Gnade an unserer Seite und allen niederen Menschen überlegen, kamen wir als Gottes Zorn über die elf Stämme Prußens und machten uns ihre Länder mit Feuer und Schwert Untertan. Ruhm, Herrschaft und Macht vereinigten sich mit Habgier. Kaufleute, Geldgeber und Städte des Reiches verzehrten sich danach, neue Gebiete und Reichtümer dazuzugewinnen. Und wahrer Zweck dieser Kriege war nie der Sieg, sondern immer der Gewinn. Dieser sorgte für pralle Beutel, fette Bäuche und brünstige Schöße unzähliger Weiber, die von lüsternen Schwengeln habsüchtiger Männer beglückt wurden. Viele raffgierige Hände waren es, die blühende Städte, christlichen Leuchtfeuern gleich, inmitten trostloser heidnischer Wildnis entstehen ließen. Endlich gelang es den mutigen Streitern des Deutschen Ritterordens nach drei Dezennien des Krieges, sich tief in das Land hineinzufressen und die heidnischen Traditionen auf Dauer zu beenden. Jedoch am Abend vor Sankt Matthäus Tag, am 20. des Monats September im Jahr des Herrn 1260 strömten die prußischen Kriegshaufen zusammen und brachten von den Seegestaden des Samlands bis an die Grenzen Pomesaniens blutrünstige Vergeltung über die Kinder des Herrn im Prußenland. Die Herrlichkeit Christi endete, denn die alten Götter kehrten mit aller Macht wieder, und ihre Finsternis verschlang uns alle.
Die Langeweile eines Lebens unter heidnischen Wilden am Arsch der christlichen Welt vertrieben wir uns am liebsten mit dem Raub ihrer Frauen. Dabei folgten wir natürlich stets dem Kodex des Rittertums. Dieser verlangte den „ritterlichen Umgang“ mit den prußischen Gegnern. Das befolgten wir, indem wir sie brutal vom Pferd aus abschlachteten oder – noch einfacher – gleich niederritten. Die Überlebenden knüpften wir in der Regel am nächsten Baum auf oder pfählten sie zu unserer Belustigung. Danach kämpften wir den Kampf für die Witwen und Waisen, indem wir diesen in den heidnischen Dörfern ihr letztes Hemd raubten. Zum Abschluss widmeten wir uns – immer gemäß dem Kodex – hingebungsvoll der ritterlichen Verehrung der Frauen, indem wir die Schöße der überlebenden Weiber ordentlich verheerten. Für uns Ritter war der Kodex eine prächtige Sache, denn damit konnten wir unsere Schandtaten trefflich rechtfertigen. Ganz gleich wie viele! Nicht so sehr vor uns selbst oder unserem Gewissen, vielmehr vor der allgemeinen Öffentlichkeit. Alle Sünden begingen wir schließlich im Namen des Herrn, und die Kirche hatte uns nie verboten, auch noch Freude daran zu haben. Dennoch mussten wir, ganz gleich wie schlimm auch die von uns begangenen Tätlichkeiten waren, im öffentlichen Bild umso glänzender erscheinen. Der Mantel der Rechtschaffenheit sicherte uns die Unterstützung der Öffentlichkeit und somit das Geld für unser Tun.
Jeder Krieg brauchte seine Geldgeber, und die fanden sich nur, wenn behauptet wurde, der Krieg diene einer guten Sache. Wüsste die Welt, dass wir bestialisch, brutal und wonnevoll mordeten, plünderten und vergewaltigten, sie wäre zu Recht empört! Nicht notwendigerweise weil wir taten, was wir taten, sondern vielmehr, weil jedermann neidisch darauf wäre, es ganz allgemein nicht ebenso halten zu können.
So mussten Ritter, Geistliche oder Geldsäcke immer wieder viel Geld ausgeben, um Dichter und Minnesänger anzuwerben und zu finanzieren. Diese wurden gebraucht, um die begangenen Untaten beim Volk ins erwünschte rechte Licht zu rücken. Die Menschen sollten fest daran glauben, dass ein Ritter nicht etwa aus Spaß plünderte, mordete und vergewaltigte, oder um sich selbst zu bereichern. Nein – und das war wichtig – er tat es, um das anstrengende, gefährliche und gottgefällige Werk zu tun, für das ihn der himmlische Herr höchstpersönlich auserwählt hatte. Damit ließ es sich im Allgemeinen ganz gut leben.
Vor allem wir Ordensritter entwickelten beim Schänden und Schinden der prußischen Bevölkerung den allergrößten Einfallsreichtum. Wir besprangen nicht bloß alles was atmete, sondern zwangen viele unserer Opfer, es vor aller Augen mit Bruder, Schwester, Vater, Mutter, Sohn, Hund, Katze, Pferd, Ochse, Esel, Kuh oder sogar Eimern, Besenstielen, Töpfen oder Pfannen zu treiben. Natürlich nicht mit der Absicht, unsere eigene Lüsternheit zu befriedigen, sondern vielmehr, um die Prußen tief zu demütigen. Geschlechtliche Brutalität, war das gebräuchlichste Mittel der Kriegsführung und bestens geeignet, Schande und Scham zu verbreiten.
So beschämten und schändeten wir mit Wohlgefallen. Dabei benutzten und beschmutzten wir alles, was den Prußen lieb und teuer war. Äußerst entwürdigend für unsere Opfer – und höchst wonnevoll für uns Täter. Trotzdem verbrachten wir die Zeit meistens lieber mit Stehlen anstatt Morden. Zwar sicherte das Morden uns einen guten Platz im Himmel. Doch das Stehlen war weitaus weniger anstrengend und vor allem so einträglich, dass es den Himmel bereits auf Erden bescherte. So ging das ritterliche Leben voller Sinnesfreuden dahin, bis zu dem verfluchten Tag, an dem die Flut meiner Sünden die Lebendigkeit meiner Lenden endgültig auslöschte.
Dabei hatte es nur ein weiterer gewöhnlicher Plünderungszug unter so unzählig vielen werden sollen. Eine der üblichen Jagden nach Wein, Weib und Beute. Seit Ewigkeiten waren wir auf diesen vergnüglichen Raubzügen nicht mehr auf ernstzunehmenden Widerstand gestoßen. Die Prußen waren viel zu eingeschüchtert, um noch frech zu werden. So erwarteten wir auch diesmal, die Früchte vom Baum der Versuchung einfach nur zu pflücken und ungehindert unsere Furchen in den Gärten vieler hübscher Weiber zu ziehen. Keiner von uns ahnte, dass diesmal ein paar der mächtigen Äste herabfallen und einige von uns inmitten dieser lauschigen Lustgärten erschlagen würden. Leichtsinnig und tollkühn waren wir geworden durch das Fehlen jeglichen Widerstandes.
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