„Dir sollte man etwas rausreißen! Ich bin nicht Ordensritter geworden, um als keuscher und entsagungsfroher Heiliger zu enden.“
„Aber warum denn dann?“
Das klang erfrischend ratlos. Man merkte deutlich, dass Albertus noch nie in seinem Leben die Schreibstube verlassen hatte.
„Aus dem gleichen Grund, aus dem alle zum Orden gehen. Um Kriegsbeute zu machen und um jede Menge willige und unwillige Weiber zu haben, ohne sich deswegen gleich Sorgen um das eigene Seelenheil machen zu müssen!“
„Du bist ein Wüstling über alle Maßen!“
„Wie alle Männer erfreue und berausche ich mich gerne an der Frau – ihrem Wesen, ihrer Weiblichkeit und ihrer Schönheit!“
Man konnte Albertus deutlich ansehen, wie sehr er von meiner Schwärmerei abgestoßen und angewidert war. Ich befürchtete schon, er würde sich vor Ekel übergeben. Glücklicherweise riss er sich jedoch zusammen.
„Das ist zutiefst verwerflich“, befand er. „Als wahrer Gläubiger berauscht man sich nur an Gott!“
Pure Abscheu sprach aus seinen Worten. Aber diese empfand ich in gleichem Maße ihm gegenüber.
„Das solltest du ihm besser nicht erzählen, wenn du ihn später einmal triffst, denn solche Gelüste könnte er dir übelnehmen.“
„Wüstling! Du wirst in der Hölle schmoren!“, brüllte er lauthals und stürmte aus dem Raum. Die Tür knallte hinter ihm zu und es herrschte betretene Stille.
Bernardus vermied es, mich anzusehen und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Seine hochgezogenen Schultern zeigten deutlich, was er von mir hielt. Ich ließ meinen Kopf zwischen die Hände sinken und massierte meine Schläfen. Das schlechte Gewissen bereitete mir weniger Schmerzen als die Schritt für Schritt einsetzende Nüchternheit.
Albertus tauchte nach dem Mittagsmahl wieder auf. Offenbar hatte er sich abgeregt und beschlossen, mich bis auf weiteres mit Missachtung zu strafen. Was nicht wirklich etwas Neues war.
Den Rest des Tages verbrachte ich mit intensiven Betrachtungen der Wände. Die Arbeit im Skriptorium wurde bis nach der Vesper fortgesetzt, solange, bis es trotz Beleuchtung irgendwann zu dunkel wurde, um noch weitermachen zu können. Nachdem Albertus und Bernardus alles recht ordentlich aufgeräumt hatten und ich dies einige Male ausgiebig kontrollierte oder zumindest so tat, machten wir uns danach alle drei auf den Weg in Richtung Kapelle, um den Tag mit einem ordentlichen Hymnus zum 21 Uhr Komplett abzuschließen.
Ein paar Meter vor der Kapelle trafen wir auf die Ordensritter Karl und Paul von Gillingham. Die beiden leiblichen Brüder waren von englischem Adel und über Gottes verschlungene Pfade zum deutschen Ritterorden in Prußen gekommen. Jedermann konnte sofort die große Familienähnlichkeit erkennen. Sie waren blond, groß, schlank, unverschämt gutaussehend und galten alle beide als Getreue des neuen Landmeisters Hartmud von Grumbach. Dieser hatte sich vor ein paar Monaten mit Unterstützung der Gebrüder Gillingham und einiger anderer Anhänger seiner Person das Amt des Landmeisters von Prußen unter den Nagel gerissen. Mit diversen Intrigen hatten sie den vorherigen Landmeister Gerhard von Hirzberg sanft genötigt, sein Amt niederzulegen. Er war ihnen nämlich viel zu milde gewesen.
Jetzt herrschte also von Grumbach mit harter Hand über den Deutschen Orden in Prußen. Viele meiner Ordensbrüder ersehnten die Milde seines Vorgängers zurück, denn Grumbachs herrische Wesensart war unter uns Ordensbrüdern ebenso legendär wie unpopulär.
Durch den oligarchischen Charakter des Ordens wurde dessen Politik durch die führenden Fraktionen innerhalb der Ordensbrüder bestimmt. Die gewählten Landmeister gehörten normalerweise einer der stärksten Gruppen innerhalb des Ordens an. Diese ließen sich grob in drei Kategorien einteilen: In die offensichtlich Unfähigen. In die Kümmerlichen, Habgierigen und Brutalen. Und in die ausgemachten Esel. Die Aufgabe der Ordensbrüder bei einer Wahl war es, denjenigen auszuwählen, der am besten passte. Die Entscheidung war diesmal auf von Grumbach gefallen. Vermutlich weil er alle drei Kategorien im Übermaß verkörperte. Eine der ersten Amtshandlungen bei jedem Machtwechsel bestand üblicherweise darin, sich bei den Günstlingen, die den Aufstieg ermöglicht hatten, erkenntlich zu zeigen. Bei Karl, dem Älteren der beiden Gillinghams, hatte sich von Grumbach mit dem zwar wichtigen aber unbedeutenden Amt des Trappiers für dessen Unterstützung bedankt. Damit war dieser der wichtigste Ratgeber für die Launen des Landmeisters geworden, was das Bekleidungswesen betraf. Die deutliche Neigung Grumbachs zum Geiz äußerte sich nicht nur in der seit seinem Amtsantritt deutlichen Verschlechterung der allgemeinen Ordensverpflegung, sondern zeichnete sich inzwischen auch an der Kleidung aller Ordensleute ab. Das führte zu großer Empörung vor allem unter uns Ritterbrüdern. Gemäß unserem Rang gab es zwar allergrößtes Verständnis für jedwede Sparsamkeit. Aber nur solange diese die anderen betraf, denn das Gefühl vom Ritter zum Bettler erniedrigt zu werden, schätzte man als Ordensherr nicht sonderlich. Dementsprechend war die aktuelle Beliebtheit des Landmeisters und seiner Anhänger unter uns Ritterbrüdern auch äußerst gering. Das machte Karl von Gillingham als Grumbachs Arm im Orden zu einem vielbeschäftigten Mann, denn Unmut unter Rittern konnte sich durchaus auch einmal handgreiflich zeigen. Zu seinem Glück stand ihm jedoch sein Bruder Paul tatkräftig zur Seite. Brutalität galt als dessen überragendste Eigenschaft, ähnlich wie Freundlichkeit als eine der hervorstechenden Eigenheiten seines Bruders Karl angesehen wurde.
Dadurch, dass die Gillinghams in ihrem Wesen so grundverschieden waren, ergänzten sie sich gegenseitig hervorragend. War Karl die Sonne, so war sein Bruder der Schatten, der Karl in den Augen der Welt nur umso heller erstrahlen ließ. Als er mich sah, machte er ein ernstes Gesicht. Das war ungewöhnlich. Normalerweise lächelte er ständig. Als er mich zur Seite nahm, konnte ich mir schon denken, worum es ging. Ich warf Albertus einen giftigen Blick zu, den dieser geflissentlich ignorierte.
„Bruder Albertus hat sich über dich beschwert.“
Ich tat als könne ich kein Wässerchen trüben.
„Ach?“
„Ja! Er behauptet, du würdest unchristliche und ketzerische Reden schwingen!“
„Nein!?“
Niemand hätte erstaunter tun können als ich.
„Doch!“, meinte Karl.
Mich bei den Ordensoberen anschwärzen! Offenbar hatte ich die Gemeinheit des alten Schmierfinks gewaltig unterschätzt. Das würde ich ihm noch heimzahlen.
„Ist mir ein Rätsel, wie Albertus auf so etwas kommt!“
Karl war das ganz unangenehm.
„Du weißt Fulcher, dass ich so etwas untersuchen muss! Falls sich herausstellt, dass an den Vorwürfen etwas dran ist, kann dies ernste Konsequenzen nach sich ziehen!“
Diese Drohung war natürlich vollkommen lächerlich, und wir beide wussten es. Selbst wenn ich öffentlich auf dem Elbinger Marktplatz alle sieben Todsünden nacheinander begänge, gäbe es keine Konsequenzen. Der Deutsche Ritterorden war ein zusammengewürfelter Haufen wüster und fragwürdiger Gestalten. Was daran lag, dass keiner große Lust verspürte, irgendwo am Arsch der christlichen Welt in ständigen Kleinkriegen gegen heidnische Hungerleider sein Leben zu riskieren. Vor allem, da es an vielen anderen Orten weitaus lukrativere Kriege gab. Deshalb wurden die Rekrutierungsanforderungen des Ordens so tief gehängt, dass sogar die schlimmsten Kriminellen problemlos bei uns aufgenommen wurden.
„Du verschwendest nur deine Zeit, Karl! Albertus ist in einem gewissen Alter. Da verlassen einen schon hin und wieder die Sinne und man fängt an, sich Dinge einzubilden die es gar nicht gibt!“
„Seltsam! Auf mich machte er einen recht klaren Eindruck!“
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