Reiner Sörries - Ein letzter Gruß

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Die Bestattungskultur in Deutschland hat sich in den letzten zwanzig Jahren radikal verändert. Neben der traditionellen Beisetzung auf dem Friedhof haben sich See- und Luftbestattungen weiter etabliert ebenso wie Friedwälder und Kolumbarien. Und der Trend zum kreativen Umgang mit Trauer, Sterben und Tod hält an. Immer mehr Menschen suchen entsprechend persönlicher Merkmale wie z.B. Alter, Geschlecht, Rasse, Herkunft, Religion, Weltanschauung und sexueller Orientierung neue Möglichkeiten, ihren «letzten Weg» aktiv mitzugestalten. Reiner Sörries zeigt, welches Potenzial eine plurale Gesellschaft auch im Hinblick auf den «letzten Weg» entfalten kann und dass ein Comeback der traditionellen kirchlichen Bestattung durchaus möglich ist.

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Reiner Sörries

Ein letzter Gruß

Reiner Sörries

Ein letzter Gruß

Die neue Vielfalt der Bestattungs- und Trauerkultur

Butzon & Bercker

„Orientierung durch Diskurs“Die Sachbuchsparte bei Butzon & Bercker, in der dieser Band erscheint, wird beratend begleitet von Michael Albus, Christine Hober, Bruno Kern, Tobias Licht, Cornelia Möres, Susanne Sandherr und Marc Witzenbacher.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Gesamtprogramm von Butzon Bercker finden Sie im Internet unter - фото 1

Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de

ISBN 978-3-7666-2232-7

E-Book (Mobi): ISBN 978-3-7666-4287-5

E-Book (PDF): ISBN 978-3-7666-4288-2

E-Pub: ISBN 3-978-3-7666-4286-8

© 2016 Butzon & Bercker GmbH, Hoogeweg 100, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag: © sorcerer11@Fotolia.com

Umschlaggestaltung: Christoph Kemkes, Geldern

Satz: Schröder Media GbR, Dernbach

Druck und Bindung: Pustet, Regensburg

Printed in Germany

Inhalt

Vorwort

I. Wandel der Bestattungskultur

II. Gender und Diversity auch am Lebensende?

III. Gender

Bestattung in Frauenhänden

Friedhöfe für Frauen

Männer trauern anders

Genderspezifische Aspekte der anonymen Bestattung

Friedwald und Gender

Geschlechtersensibler Umgang mit Pflegebedürftigen und Sterbenden

Frau und Tod

IV. Sex

Schwule Bestattungs- und Trauerkultur

Impulse aus der AIDS-Szene

Kritik an der bürgerlichen Trauerkultur

Öffentliches Gedenken

V. Age

Bestattungswünsche älterer Menschen

Bestattung von Früh- und Totgeburten

Differenzierung des Gedenkens für Frühverstorbene

Orte des Sterbens

VI. Handicap

VII. Social Status

Solidarisch mit den Außenseitern

Der Gedenkbaum Hinz&Kunzt

Unentgeltliche Bestattung

VIII. Culture und Religion

Transkulturelle Pflegekonzepte

Religiöse und ethnische Identitäten

Differenzierung der kirchlichen Traueragenden

Grab und Wallfahrtsort

IX. Creating Identities

Gruppengräber

Beliebte und unbeliebte Gruppen

Politische Trauer

X. Medien

Die Generation der Kommunikationsgesellschaft

Digital Natives

Sterben vor laufender Kamera

XI. Timeline

Chronologie der Ereignisse

Megatrends

Die Geschichte von AIDS im Zeitraffer

XII. Fazit

Anmerkungen

Bildnachweise

Vorwort

Jeder trauert anders – diese Stereotype scheint heute die Diskussion um eine angemessene und zeitgemäße Bestattungs- und Trauerkultur zu beherrschen. Richtig daran ist zunächst, dass über diese ehemaligen Tabuthemen seit etwa zehn bis zwanzig Jahren ein lebhafter Diskurs herrscht, wie es ihn zu kaum einer Epoche der Menschheitsgeschichte in ähnlicher Weise gegeben hat. Wie man bestattet und trauert, war durch Tradition und Religion vorgegeben, weshalb es wenig Anlass gab, darüber zu diskutieren.

Das hat sich erst im 20. Jahrhundert geändert, als man begann, die Trauer wissenschaftlich zu erforschen. Sigmund Freud führte den Begriff der Trauerarbeit ein, die notwendig sei, um die Bindung zum geliebten Objekt völlig zu lösen. Gelänge dies nicht, etwa aufgrund bestimmter Verdrängungsmechanismen, so drohten den Trauernden Gefahren für das seelische Wohlbefinden. In den 1970er-Jahren entwickelte die Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross das Modell einer Trauer, die immer in den gleichen Phasen verläuft. Sie hatte diese Phasen in ihren Interviews mit Sterbenden herausgearbeitet, und das Modell wurde auf Trauernde übertragen. Wenig später wurde das Phasenmodell dahingehend korrigiert, dass es nicht linear verlaufe, sondern in Wellen und Schüben; Phasen werden übersprungen oder mehrfach erlebt. Neuerdings jedoch präferieren viele Trauerberater die Tatsächlichkeit höchst unterschiedlich verlaufender Trauerprozesse, die sich nicht kategorisieren lassen. Der amerikanische Trauerforscher George Bonanno hat festgestellt, dass die Zahl jener Trauernden erstaunlich hoch ist, die selbst nach einem schweren Verlust wie dem des Ehepartners eher kurze und milde Trauersymptome entwickeln, und er spricht von Resilienz, einer hohen Widerstandsfähigkeit gegenüber schlimmen Erfahrungen. Nach seinen Untersuchungen sind es 41 %, die gut mit Verlusten umgehen können.

Verändert sich die Trauer oder verändern sich die Betrachtungsweisen der Trauer? Immerhin haben die Forschungen dazu geführt, dass von vielen eine Regellosigkeit der Trauer angenommen wird. Betrachtet man jedoch nicht die psychologische Seite der Trauer, sondern ihre sichtbaren und beschreibbaren Formen, so zeigt sich ein anderes Bild. Menschen trauern keineswegs regellos, sondern orientieren sich an ihrem sozialen und emotionalen Umfeld, in das sie hineingestellt sind, und das Trauerverhalten folgt solchen gruppenspezifischen Bedingungen. Das ist nicht neu, aber es kann aus einem veränderten Blickwinkel neu wahrgenommen werden. In hundert Prozent Todesfällen können nicht hundert Prozent verschiedene Handlungs- und Verhaltensweisen festgestellt werden, sondern es gibt konkrete Szenarien, in denen sich die Trauernden bewegen. Diese Szenarien folgen den Verschiedenheiten der Menschen, durch die sie charakterisiert sind, und es wurden in den letzten beiden Jahrzehnten solche Verschiedenheiten erhoben, die den Menschen ausmachen. Nicht jeder trauert anders , sondern wir trauern im Kontext unserer Verschiedenheit , die uns von vielen unterscheidet, aber mit manchen ähnlich sein lässt. Daraus entstehen gruppenspezifischen Verhaltensweisen, derer wir uns bedienen, um die eigene Identität zu bewahren.

Um solche gruppenspezifische Verhaltensweisen soll es hier gehen, um einerseits die Veränderungen der Bestattungs- und Trauerkultur zu verstehen und andererseits die Notwendigkeit zu unterstreichen, den daraus resultierenden Bedürfnissen gerecht zu werden. Denn unser Bestattungs-, Friedhofs- und Trauerwesen ist immer noch zu eindimensional ausgerichtet, das zahlreichen Verschiedenheiten von Menschen nicht gerecht wird.

Nicht jeder trauert anders , aber jeder trauert verschieden . Während sich aber das jeder trauert anders jeder Regel zu entziehen scheint, können Verschiedenheiten benannt und differenziert werden. Somit haben wir es heute nicht mit einer individuellen Regellosigkeit, sondern mit einer geregelten, allerdings differenzierten Vielfalt zu tun. Diese wahrzunehmen heißt dann, die Veränderungen als Chance für eine zeitgemäße und menschliche Trauerkultur zu begreifen. Insofern schwimmt dieses Buch ein wenig gegen den Strom jener, die Abweichungen von der (bisher) geltenden Norm und Veränderungen als Verfall interpretieren und die so Handelnden gleichzeitig stigmatisieren.

Reiner Sörries, Kröslin im Herbst 2015

I. Wandel der Bestattungskultur

Nicht erst seit heute wird darüber diskutiert, interpretiert, manchmal sogar dämonisiert, was man inzwischen als Wandel der Bestattungs- und Friedhofskultur bezeichnet, nicht selten sogar als dynamischen Wandel, wie es ihn zuvor kaum gegeben hat. Es ist vom Verlust der Pietät die Rede, von einer Neuorientierung im Bestattungsverhalten, die sich ausschließlich an den Kosten orientiert. Man befürchtet gar ein Sterben der Friedhöfe, wie es exemplarisch in dem 2006 erschienenen Büchlein „Friedhof – ade?“ zum Ausdruck kam. 1Vielfach sind die Ursachen durchaus sachlich analysiert worden, und der allgemeine Wandel gesellschaftlicher Prozesse wurde als Auslöser dieser Entwicklung erkannt. Da sind die demografische Entwicklung, die beruflich bedingte Mobilität, der Bedeutungsverlust der Familie oder auch eine erstarkende Autonomie des Individuums, das sich mehr an den eigenen Bedürfnissen als an den gesellschaftlichen Konventionen orientiert. Eine monokausale Ursache darf ebenso wenig angenommen werden, wie eine Patentlösung für die ggf. daraus resultierenden Probleme nicht in Aussicht steht. Das gilt indes nicht nur für das Bestattungswesen, sondern für viele gesellschaftliche Bereiche, in denen Politik, Kulturschaffende, Sozialverbände und Soziologen um die Gültigkeit ihrer Analysen und Zielvorstellungen streiten.

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