Reiner Sörries
Ein letzter Gruß
Reiner Sörries
Ein letzter Gruß
Die neue Vielfalt der Bestattungs- und Trauerkultur
Butzon & Bercker
„Orientierung durch Diskurs“Die Sachbuchsparte bei Butzon & Bercker, in der dieser Band erscheint, wird beratend begleitet von Michael Albus, Christine Hober, Bruno Kern, Tobias Licht, Cornelia Möres, Susanne Sandherr und Marc Witzenbacher.
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de
ISBN 978-3-7666-2232-7
E-Book (Mobi): ISBN 978-3-7666-4287-5
E-Book (PDF): ISBN 978-3-7666-4288-2
E-Pub: ISBN 3-978-3-7666-4286-8
© 2016 Butzon & Bercker GmbH, Hoogeweg 100, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlag: © sorcerer11@Fotolia.com
Umschlaggestaltung: Christoph Kemkes, Geldern
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Druck und Bindung: Pustet, Regensburg
Printed in Germany
Vorwort
I. Wandel der Bestattungskultur
II. Gender und Diversity auch am Lebensende?
III. Gender
Bestattung in Frauenhänden
Friedhöfe für Frauen
Männer trauern anders
Genderspezifische Aspekte der anonymen Bestattung
Friedwald und Gender
Geschlechtersensibler Umgang mit Pflegebedürftigen und Sterbenden
Frau und Tod
IV. Sex
Schwule Bestattungs- und Trauerkultur
Impulse aus der AIDS-Szene
Kritik an der bürgerlichen Trauerkultur
Öffentliches Gedenken
V. Age
Bestattungswünsche älterer Menschen
Bestattung von Früh- und Totgeburten
Differenzierung des Gedenkens für Frühverstorbene
Orte des Sterbens
VI. Handicap
VII. Social Status
Solidarisch mit den Außenseitern
Der Gedenkbaum Hinz&Kunzt
Unentgeltliche Bestattung
VIII. Culture und Religion
Transkulturelle Pflegekonzepte
Religiöse und ethnische Identitäten
Differenzierung der kirchlichen Traueragenden
Grab und Wallfahrtsort
IX. Creating Identities
Gruppengräber
Beliebte und unbeliebte Gruppen
Politische Trauer
X. Medien
Die Generation der Kommunikationsgesellschaft
Digital Natives
Sterben vor laufender Kamera
XI. Timeline
Chronologie der Ereignisse
Megatrends
Die Geschichte von AIDS im Zeitraffer
XII. Fazit
Anmerkungen
Bildnachweise
Jeder trauert anders – diese Stereotype scheint heute die Diskussion um eine angemessene und zeitgemäße Bestattungs- und Trauerkultur zu beherrschen. Richtig daran ist zunächst, dass über diese ehemaligen Tabuthemen seit etwa zehn bis zwanzig Jahren ein lebhafter Diskurs herrscht, wie es ihn zu kaum einer Epoche der Menschheitsgeschichte in ähnlicher Weise gegeben hat. Wie man bestattet und trauert, war durch Tradition und Religion vorgegeben, weshalb es wenig Anlass gab, darüber zu diskutieren.
Das hat sich erst im 20. Jahrhundert geändert, als man begann, die Trauer wissenschaftlich zu erforschen. Sigmund Freud führte den Begriff der Trauerarbeit ein, die notwendig sei, um die Bindung zum geliebten Objekt völlig zu lösen. Gelänge dies nicht, etwa aufgrund bestimmter Verdrängungsmechanismen, so drohten den Trauernden Gefahren für das seelische Wohlbefinden. In den 1970er-Jahren entwickelte die Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross das Modell einer Trauer, die immer in den gleichen Phasen verläuft. Sie hatte diese Phasen in ihren Interviews mit Sterbenden herausgearbeitet, und das Modell wurde auf Trauernde übertragen. Wenig später wurde das Phasenmodell dahingehend korrigiert, dass es nicht linear verlaufe, sondern in Wellen und Schüben; Phasen werden übersprungen oder mehrfach erlebt. Neuerdings jedoch präferieren viele Trauerberater die Tatsächlichkeit höchst unterschiedlich verlaufender Trauerprozesse, die sich nicht kategorisieren lassen. Der amerikanische Trauerforscher George Bonanno hat festgestellt, dass die Zahl jener Trauernden erstaunlich hoch ist, die selbst nach einem schweren Verlust wie dem des Ehepartners eher kurze und milde Trauersymptome entwickeln, und er spricht von Resilienz, einer hohen Widerstandsfähigkeit gegenüber schlimmen Erfahrungen. Nach seinen Untersuchungen sind es 41 %, die gut mit Verlusten umgehen können.
Verändert sich die Trauer oder verändern sich die Betrachtungsweisen der Trauer? Immerhin haben die Forschungen dazu geführt, dass von vielen eine Regellosigkeit der Trauer angenommen wird. Betrachtet man jedoch nicht die psychologische Seite der Trauer, sondern ihre sichtbaren und beschreibbaren Formen, so zeigt sich ein anderes Bild. Menschen trauern keineswegs regellos, sondern orientieren sich an ihrem sozialen und emotionalen Umfeld, in das sie hineingestellt sind, und das Trauerverhalten folgt solchen gruppenspezifischen Bedingungen. Das ist nicht neu, aber es kann aus einem veränderten Blickwinkel neu wahrgenommen werden. In hundert Prozent Todesfällen können nicht hundert Prozent verschiedene Handlungs- und Verhaltensweisen festgestellt werden, sondern es gibt konkrete Szenarien, in denen sich die Trauernden bewegen. Diese Szenarien folgen den Verschiedenheiten der Menschen, durch die sie charakterisiert sind, und es wurden in den letzten beiden Jahrzehnten solche Verschiedenheiten erhoben, die den Menschen ausmachen. Nicht jeder trauert anders , sondern wir trauern im Kontext unserer Verschiedenheit , die uns von vielen unterscheidet, aber mit manchen ähnlich sein lässt. Daraus entstehen gruppenspezifischen Verhaltensweisen, derer wir uns bedienen, um die eigene Identität zu bewahren.
Um solche gruppenspezifische Verhaltensweisen soll es hier gehen, um einerseits die Veränderungen der Bestattungs- und Trauerkultur zu verstehen und andererseits die Notwendigkeit zu unterstreichen, den daraus resultierenden Bedürfnissen gerecht zu werden. Denn unser Bestattungs-, Friedhofs- und Trauerwesen ist immer noch zu eindimensional ausgerichtet, das zahlreichen Verschiedenheiten von Menschen nicht gerecht wird.
Nicht jeder trauert anders , aber jeder trauert verschieden . Während sich aber das jeder trauert anders jeder Regel zu entziehen scheint, können Verschiedenheiten benannt und differenziert werden. Somit haben wir es heute nicht mit einer individuellen Regellosigkeit, sondern mit einer geregelten, allerdings differenzierten Vielfalt zu tun. Diese wahrzunehmen heißt dann, die Veränderungen als Chance für eine zeitgemäße und menschliche Trauerkultur zu begreifen. Insofern schwimmt dieses Buch ein wenig gegen den Strom jener, die Abweichungen von der (bisher) geltenden Norm und Veränderungen als Verfall interpretieren und die so Handelnden gleichzeitig stigmatisieren.
Reiner Sörries, Kröslin im Herbst 2015
I. Wandel der Bestattungskultur
Nicht erst seit heute wird darüber diskutiert, interpretiert, manchmal sogar dämonisiert, was man inzwischen als Wandel der Bestattungs- und Friedhofskultur bezeichnet, nicht selten sogar als dynamischen Wandel, wie es ihn zuvor kaum gegeben hat. Es ist vom Verlust der Pietät die Rede, von einer Neuorientierung im Bestattungsverhalten, die sich ausschließlich an den Kosten orientiert. Man befürchtet gar ein Sterben der Friedhöfe, wie es exemplarisch in dem 2006 erschienenen Büchlein „Friedhof – ade?“ zum Ausdruck kam. 1Vielfach sind die Ursachen durchaus sachlich analysiert worden, und der allgemeine Wandel gesellschaftlicher Prozesse wurde als Auslöser dieser Entwicklung erkannt. Da sind die demografische Entwicklung, die beruflich bedingte Mobilität, der Bedeutungsverlust der Familie oder auch eine erstarkende Autonomie des Individuums, das sich mehr an den eigenen Bedürfnissen als an den gesellschaftlichen Konventionen orientiert. Eine monokausale Ursache darf ebenso wenig angenommen werden, wie eine Patentlösung für die ggf. daraus resultierenden Probleme nicht in Aussicht steht. Das gilt indes nicht nur für das Bestattungswesen, sondern für viele gesellschaftliche Bereiche, in denen Politik, Kulturschaffende, Sozialverbände und Soziologen um die Gültigkeit ihrer Analysen und Zielvorstellungen streiten.
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