Endlich. Bedächtig gießt Ayana das kochende Wasser in die Jabana und stellt diese auf das Gefäß mit den Kohlen. Mir entgeht keine ihrer anmutigen Bewegungen. Immer wieder sehe ich von ihren Händen auf und suche ihren Blick, den sie mir nur sporadisch zuwendet. Sie ist schüchtern und zurückhaltend. Jetzt gefällt mir das. Später, wenn sie unter mir liegt, wird sie das hoffentlich nicht mehr sein.
Mehrmals schwenkt sie die Kanne, dann stellt sie sie auf einen mit bunten Stickereien verzierten Stoffring, ein wenig schräg nach vorn geneigt, damit sich das Pulver darin vom Kaffee trennen und auf dem Grund absetzen kann. Gleich werde ich diesen einzigartigen Kaffee schlürfen. Ich spüre schon fast den aromatisch-bitteren Geschmack am Gaumen und schlucke.
Fragend hebt sie die Zuckerdose hoch, doch ich schüttle verneinend den Kopf. Ich will mir nicht den reinen Geschmack durch Süße trüben. Unsere Blicke begegnen sich und als ich in ihren Augen ein stummes Versprechen lese, kann ich ein Lächeln kaum unterdrücken.
Dieser Abend wird ein denkwürdiges Ende haben. Das wird süß genug sein.
Ayana löst ihren Blick von meinem und wendet sich der Jabana zu, die sie hochnimmt und nach vorn kippt. Es ist so weit. Ein dunkler, fast ölig anmutender Strahl pechschwarzer Flüssigkeit strömt aus dem langen dünnen Schnabel und schießt zielgenau in eins der kleinen Tässchen. Der Kaffee wirft kleine Bläschen, die sofort zerplatzen und verschwenderisch ihr Aroma freisetzen.
Aus mehr als zehn Zoll Höhe dieses kleine Behältnis zu treffen, ist ein echtes Kunststück. Ayana schenkt nur eine Tasse ein. Sie selbst wird selbstverständlich nichts davon trinken. Die Kaffeezubereitung wird für andere zelebriert, nicht für denjenigen, der sie ausführt.
Nun erhebt sie sich mit der ihr eigenen Grazie, kommt zu mir herüber und überreicht mir das Tässchen mit einer angedeuteten respektvollen Verbeugung.
» Arbol , Sir«, sagt sie mit sanfter, aber rauchiger Stimme – die Bezeichnung für den ersten Aufguss.
» Ameseginalew «, antworte ich und banne ihren Blick, als sie sich wieder aufrichtet. »Danke.«
» Minim ajdel . Bitte.«
Irre ich mich oder errötet sie? Ich schenke ihr ein Lächeln, das sie zaghaft erwidert, dann widme ich mich endlich meinem Kaffee und inhaliere mit geschlossenen Augen das Aroma.
Einzigartig.
Der erste Schluck überwältigt mich.
Der Kaffee ist stark und bitter und er hat eine Ahnung von Zimt. Es sind die Bohnen. Eine besondere Sorte, die diesen Hauch von Gewürz schon in sich trägt.
Mit geschlossenen Augen trinke ich langsam und in kleinen Schlucken meine Tasse leer.
Aus meinem Genuss erwacht, starre ich auf den verbliebenen Kaffeesatz in meiner Tasse, sehe dann hoch und begegne Ayanas Augen, die mit einem unergründlichen Ausdruck auf meinem Gesicht ruhen. Sie sitzt wieder auf ihrem Hocker hinter dem Kohlenofen und dem Tablett mit all den weiteren Tassen und sieht mich schweigend an.
Spürt Ayana die Spannung zwischen uns beiden? Weiß sie, was kommen wird? Sie ist sicher nicht so unschuldig, wie sie sich den Anschein gibt. Falls doch, werde ich das ändern.
Auffordernd strecke ich die Hand aus, um mir nachschenken zu lassen. Mit einem feinen Lächeln ignoriert sie meine Geste und befüllt eine weitere frische Tasse, die sie mir bringt.
Ich leere auch diese Schluck für Schluck. Allerdings lasse ich mir mit dieser Tasse etwas mehr Zeit als mit der vorherigen und nehme dann eine dritte.
Während der gesamten Zeit ruhen Ayanas Augen auf mir. Ich kann in ihnen nicht lesen und auch ihre Miene ist unbeweglich.
Es wird langsam Zeit, das Abendprogramm zu starten. Ich versuche ein Gespräch in Gang zu bringen. »Woher kommst du, Ayana?«
»Aus Addis Abeba. Ich lebe aber hier in der Nähe.«
Ihre Aussprache ist gut, sie scheint keine Verständigungsprobleme zu haben. Das ist vielversprechend.
Vom See her zieht kühle Luft hoch zu uns auf die Terrasse und umspielt meine Füße. Meine Zehen werden kalt. Ein wenig werde ich noch mit ihr plaudern, dann verlagern wir weitere Aktivitäten besser ins Innere der Lodge. Die Nächte hier können frisch werden.
»Hast du Familie?«
Sie antwortet nicht sofort, sondern presst die Lippen aufeinander. »Ich hatte Geschwister«, sagt sie dann. Ihr Gesicht verschließt sich und ich frage nicht weiter. Sie sagt ebenfalls nichts mehr und die Unterhaltung erstirbt. Schließlich hebt sie die Jabana ein viertes Mal, doch ich lehne ab. Mehr Koffein braucht es nicht, ich werde munter genug sein, wenn wir in den Nahkampf gehen.
Gedankenverloren reibe ich mir über die Schienbeine, um sie zu wärmen. Die Haut unter dem Stoff meiner Hose fühlt sich kalt an.
Wir sollten langsam hineingehen.
»Sie machen also Medizin«, stellt sie fest, als ich gerade einen entsprechenden Vorschlag machen will.
»Ja, das tue ich, Ayana«, bestätige ich. »Ich erfinde neue Medikamente, damit es Menschen wie dir und deinen Geschwistern und vielleicht einmal deinen Kindern gesundheitlich besser geht als jetzt und ihr nicht dieses scheußliche Fieber bekommt, an dem so viele sterben.«
Ich spreche langsam und verwende schlichte Worte, denn obwohl ihre Aussprache sicher klingt, weiß ich nicht, wie viel sie von dem versteht, was ich sage. Außerdem habe ich plötzlich ein Brennen am Gaumen und im Rachen, das mir das Sprechen etwas erschwert. War der Kaffee zu heiß?
»Und an Ihrer Medizin stirbt niemand?«
Die Frage macht mich stutzig. »Was meinst du damit?«
Ayana richtet sich auf. Die Ausdruckslosigkeit auf ihrem Gesicht schwindet und macht einer gequälten Miene Platz. Urplötzlich fühlt es sich an, als würde mir ein völlig anderer Mensch gegenübersitzen.
»Sie sind ein Mörder.«
»Was?« Verständnislos starre ich sie an.
Meine Zehen sind inzwischen taub geworden. Die Nachtkühle wird langsam unangenehm – auch meine Finger werden kalt und diese Kälte zieht bis zur Schulter hoch. Das Tässchen entgleitet meiner Hand und zerschellt auf dem Boden der Veranda.
Was ist hier los? Irgendetwas stimmt nicht mit mir, ich bin nie so ungeschickt. Bekomme ich einen Infarkt? Würde sich das nicht anders ankündigen als mit gefühllosen Beinen und Fingern?
»Ich sagte, Sie sind ein Mörder. Sie haben Ihre fragwürdigen Impfstoffe an den Menschen meines Volkes ausprobiert und dabei in Kauf genommen, dass Unschuldige sterben.«
Wie gewählt sie sich plötzlich ausdrückt! Höre ich richtig oder bilde ich mir das nur ein?
»Alles, was ich tue, geschieht im Namen der Wissenschaft und zum Wohle der Menschheit«, bringe ich hervor, doch es klingt merkwürdig unsicher. Ich hatte keinen Alkohol heute Abend – warum ist meine Zunge so schwer?
Und woher nimmt diese Frau ihre Anschuldigungen? Die Kollateralschäden wurden streng geheim gehalten!
»Wer sind Sie«, würge ich hervor.
Dass hier etwas nicht stimmt, geht mir spätestens auf, als in diesem Moment Peter L. Harsen auf der Terrasse erscheint. Er sollte längst meilenweit entfernt in seinem eigenen Quartier sein. Was will er hier?
»Glauben Sie eigentlich selbst, was Sie da sagen, Sir? – Nein, Sie brauchen nicht darauf zu antworten, aber ich werde Ihnen erzählen, wer Ayana ist.«
»Sie kennen sich? Woher? Was geht hier vor?«
Harsen kommt näher und lehnt sich lässig ans Rückenteil eines Loungesessels schräg vor mir, verschränkt die Arme vor der Brust und überkreuzt die Knöchel. So leger hat er sich nie zuvor gezeigt. Aber ich kenne durchaus Mittel und Wege, diesem offensichtlichen Mangel an Respekt mir gegenüber wieder auf die Sprünge zu helfen.
Ich sollte mich ein wenig bewegen, um die Steifheit zu vertreiben. Allerdings überfordert mich schon der bloße Gedanke ans Aufstehen. Mühsam schlage ich ein Bein über das andere und lasse mich schwer an meine Rückenlehne sinken. »Dann schießen Sie mal los.«
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