Der Aphilie-Zyklus handelte im Wesentlichen von einer Erde im Mahlstrom der Sterne, die von der fremden Sonne Medaillon bestrahlt wird, wodurch es bei den Terranern zu einem Schwund der Gefühle kommt. Als nach den ersten sechs Heften zur einstigen Menschheit umgeschaltet wurde, erfuhr der Leser, dass diese sich in die Provcon-Faust zurückgezogen hatte, wo Atlan nun Herrscher des Neuen Einsteinschen Imperiums war.
Schon in Band 706 von H. G. Francis wurde deutlich, dass sich auch hier manches verändert hatte. So waren als Geheimwaffe gegen die Laren sogenannte Multicyborgs oder Mucys geschaffen worden. Drei von ihnen, die Überschweren gleichen, will Atlan im Sol-System einsetzen, wo seit Jahren Ronald Tekener als Beobachter für das NEI arbeitet.
Im Folgeband, den H. G. Ewers verfasste, fliegen sie mit einem Passagierschiff zum Mars. Das Besondere: Sie beherbergen die Bewusstseinsinhalte der Altmutanten Wuriu Sengu, Tako Kakuta und Betty Toufry. Als sie erfahren, dass Tekener nach einem schweren Kampf zum Verhör in die Stahlfestung Leticrons auf dem Saturnmond Titan gebracht wurde, beschließen sie, ihm zu folgen. Clark Darlton beschreibt, wie die drei Mucys auf Tekener stoßen und gemeinsam verhaftet werden, woraufhin sie allesamt zum Titan gebracht werden.
Aber Leticron, der Erste Hetran der Milchstraße, durchschaut Tekeners Maske und erkennt die Bewusstseinsinhalte der Altmutanten in den Mucys. William Voltz beschreibt im abschließenden Heft des Vierteilers, wie Leticron mit Hilfe des PEW-Metalls, das einer der Mucys besitzt, seinem Geist Zugang zur Stahlfestung und damit eine ewige Existenz verschaffen will. Als er den Mucy töten lässt, kann Betty Toufrys Bewusstseinsinhalt sich in den Körper eines anderen Mucys retten. Der dritte Mucy tötet den Hetran, worauf dessen Geist in das PEW-Metall wechselt. Aber ein Übergang in die Stahlfestung ist nicht möglich, so dass er für immer in dem faustgroßen Metallklumpen gefangen bleibt.
Die weitere Beschäftigung mit Leticron musste neun lange Jahre warten. Erst 1984 nahm sich Arndt Ellmer in der Erzählung »Der Geist der Festung« seines makabren Schicksals an. Sie erschien im fünften PERRY RHODAN JUBILÄUMSBAND, der anlässlich einer Gesamtauflage der Serie von 900 Millionen Exemplaren herauskam. Weitere Informationen über die Klone des Ersten Hetran gab Ernst Vlcek schon in Heft 846 der Serie.
Die Multicyborgs sollten noch in weiteren Romanen eine Rolle spielen, ja, sie waren sogar eines der schillerndsten Themen von 1976. Konsequent zu Ende gedacht erwiesen sie sich für die Serie allerdings als nicht sonderlich tragfähig. Cyborgs, die sich äußerlich und ihrem Selbstverständnis nach nicht von Menschen unterscheiden, waren auf Gefühle von Minderwertigkeit und Selbstzweifel reduziert, und die besonderen Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz der nichtorganischen Körperteile ergaben, konnten sich bei PERRY RHODAN nicht recht entfalten – zu stark war die »Konkurrenz« der Mutanten.
Schließlich begingen sie im Rahmen der Serie aus Verzweiflung kollektiv Selbstmord – und es waren mehrere Milliarden Mucys. Horst Gehrmann alias H. G. Ewers hatte diesbezüglich moralische Bedenken. Am 26. November 1975 schrieb er an William Voltz: »Sicher wird eine entsprechende Kritik über die Massenvernichtung der Mucys kommen. Mir hat das auch nicht gefallen. Warum müssen wir die meisten Probleme durch Massenvernichtungen lösen? Meiner Meinung nach sollte schon bei der Erschaffung neuer Themen und neuer Figuren (z.B. der Mucys) konkret festgehalten werden, wie diese Themen beendet bzw. diese Figuren aus dem Spiel gebracht werden. Über die Mucys hat man sich zu wenig Gedanken gemacht, wie weit man damit gehen kann – und dann: Rübe runter!«
Info zur Romanserie: Multicyborgs
Die auch Mucys genannten Wesen sind eine künstlich erzeugte Lebensform, aber denkende und fühlende Geschöpfe, deren Intelligenz sie befähigt, jeden Auftrag durch eigenständiges und folgerichtiges Handeln zu bewältigen. Ihre Gehirne sind mit einer sehr leistungsfähigen Mikropositronik siganesischer Fertigung angereichert oder auch – bei Entdeckungsgefahr – mit Plasmazusätzen von der Hundertsonnenwelt. Sie sind sorgsam erzogen und in die menschliche Gesellschaft integriert, wo sie die gleichen Rechte und Pflichte wie alle anderen Menschen genießen. Je nach Einsatzzweck werden sie halb- oder vollorganisch hergestellt; Kunstteile sind in jedem Fall zur Tarnung von lebendem Gewebe umgeben. Sie können die Gestalt von Menschen erhalten, eines Überschweren oder exotischer Wesen; unterschiedliche Stoffwechselmechanismen können sie auf nahezu jeder Extremwelt bestehen lassen.
Der Traum der Cyborgs
In PERRY RHODAN 706 hatten sie ihren Einstand gefeiert, aber es sollte nur ein Jahr dauern, bis sie wieder von der Bildfläche verschwanden: die Multicyborgs.
Nach einer Einführung in Form eines Vierteilers, die den ganzen März 1975 währte, tauchten sie erst in Band 721 wieder auf, von Ernst Vlcek geschildert. Allerdings besaß der Multicyborg in diesem Roman nicht die Gestalt eines Terraners oder Überschweren, sondern eines Maahks und hatte das Gehirn von Grek-24, des einzigen Methanatmers, der nach der Invasion der Laren noch in der Milchstraße geblieben war.
Schon zwei Romane später begann die »Entsorgung« der künstlichen Geschöpfe. Clark Darlton eröffnet damit, dass sechzehn Handlungsjahre zuvor neunhundert Mucys auf Wonderfalg als Kolonisten ausgesetzt wurden, ohne Hilfsmittel, nur auf die Materialien des Planeten angewiesen. Als Tifflor den Erfolg des Experiments begutachten will, wird er von den Mucys vertrieben, die sich als Wonderfalger betrachten. Aber nach dem Auftauchen einer Raumflotte der Überschweren werden sie nach Gäa evakuiert, der neuen Erde.
Noch in PERRY RHODAN 736 macht Clark Darlton deutlich, dass Atlan einer Befreiung der Milchstraße durch Rhodan skeptisch gegenübersteht und stattdessen auf die Entwicklung des Multicyborg-Projekts setzt. Und vier Romane später scheint sich das durch Kolonial-Mucys zu bestätigen, die auf ihrem Planeten durch Hochenergie-Kontrastbildprojektoren beim Herannahen von Feinden ein von Menschen bewohntes Sonnensystem simulieren. Aber dann erkennen die Laren die Täuschung und vernichten das System.
Ihren Höhepunkt findet die Mucy-Problematik im abschließenden Vierteiler, der mit PERRY RHODAN 761 einsetzt. Hans Kneifel schildert, wie der Mucy Smolk das Gefühl entwickelt, ein menschliches Wesen zu sein. Als Rhodan seiner Forderung, die Existenz seiner Seele zu bestätigen, mit Zurückhaltung begegnet, tötet er sich. Anschließend lässt H. G. Ewers die Wissenschaftler der SOL rätseln, an welcher Emotio-Krankheit die Mucys leiden, die anderenorts einen Aufstand anzetteln. Als die Laren ein weiteres getarntes System der künstlichen Menschen anfliegen, vernichten die Mucys ihre Planeten aus Enttäuschung und Verzweiflung selbst. Zwei Hefte später grassiert auch auf Gäa eine Selbstmordwelle.
Kurt Mahr bietet im PERRY RHODAN COMPUTER von Band 762 eine Erklärung dafür an, warum die Mucys untergehen müssen: »Über einen Zug der menschlichen Existenz gab es bisher nur verwaschene Theorien – hypothetische Hypothesen sozusagen: Das war der schwache Funke Hyperenergie, der dem menschlichen Bewusstsein innewohnt. Man wusste, dass er da war, aber seine Funktion kannte man nicht. Das Bewusstsein des Mucy besitzt kein einziges Quant Hyperenergie. Die Mucy-Konstrukteure wussten nicht, wie sie ihre Produkte damit hätten ausstatten sollen. War das der Konstruktionsfehler?«
Ein geschickter Schachzug, um zu erklären, dass keine Menschlichkeit in ihnen war, weshalb man sie alle umbringen durfte. Es war wohl die Faszination des Augenblicks, die William Voltz veranlasst hatte, die Mucys überhaupt in die Serie einzuführen. Kurz zuvor waren die ersten REN DHARK-Taschenbücher erschienen, die ihn daran erinnert haben dürften, dass Cyborgs in Brands Serie den Stellenwert von Mutanten einnehmen.
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