»Ist ja widerlich.«
»Ja, nicht?«
»Da muss doch überall Blut gewesen sein? Der Mörder muss in Blut gewatet … Gab es nicht eine Unmenge Fußabdrücke?«
»Einige, ja. Von dunkelgrünen Gummistiefeln Größe 44.«
»Verflucht, woher willst du die Farbe wissen?«
»Das war nicht schwer herauszukriegen. Sie standen nämlich noch immer dort – fein säuberlich vor der Gartenpforte. Tatsächlich waren es Mikaels eigene Stiefel. Die standen immer im Schuppen.«
»Dann hat der Mörder vor und nach der Tat die Schuhe gewechselt? Mann, eiskalt!«
»Wenn du damit sagen willst, dass es sich um einen geplanten Mord handelt, tja, da hast du sicher recht. Alles war sorgfältig geplant und hinterher wurde ebenso sorgfältig aufgeräumt. Aber die eigentliche Tat, die kann man wahrlich nicht kaltblütig nennen. Der Mensch, der Mikaels Kopf kurz und klein gehackt hat, wurde von starken Gefühlen getrieben, einer gewaltigen Wut.«
»Na ja, klar.«
»Wir hatten gehofft, an den Stiefeln Spuren zu finden, es gab jedoch keinerlei Hautpartikel, Haare oder sonst etwas. Wir haben lediglich ein paar grüne Flusen gefunden – und wie sich herausstellte, stammten sie von Mikaels Wollsocken, die zusammengerollt in seiner Kommode lagen.«
»Und was heißt das? Hat der Mörder sie getragen und sie dann wieder zurückgelegt?«
»Nein, das wäre wirklich etwas zu verwickelt.« Flemming trank irgendetwas. »Diese Flusen müssen vom letzten Mal stammen, als Mikael die Stiefel trug. Die Theorie der Techniker ist, dass der Täter die Gummistiefel mit ein paar dünnen Plastiktüten ausgestopft hat, um Spuren zu vermeiden. Und er oder sie trug die ganze Zeit über Gummihandschuhe. Es gibt nicht den Hauch eines Fingerabdrucks, weder auf den Stiefeln noch auf dem Computerbildschirm.«
»Woher stammt der Bildschirm?«
»Ein alter von Mikael. Er sollte auf den Sperrmüll und ist dann offenbar im Schuppen vergessen worden.«
»Alles lag also parat. Die Stiefel, der Bildschirm, der Spaten, klingt, als wäre es jemand gewesen, der Haus und Garten gut kannte.«
»Ja, und genau das ist ja so merkwürdig. Annemarie Kjeldsen und ihr Sohn kannten nicht sonderlich viele Menschen. Sie trafen sich nur mit Mitgliedern ihrer Gemeinde.«
»Dann muss es wohl einer von denen gewesen sein.«
»Sie haben alle ein Alibi.«
Dan knabberte an seiner Unterlippe, während er nachdachte. »Du hast den Mörder er oder sie genannt. Wohl eher, um politisch korrekt zu sein, oder? Eine Frau könnte doch wohl kaum solch einen Mord verüben?«
»Es ist nicht sonderlich wahrscheinlich, dass eine einigermaßen zurechnungsfähige Frau ausgerechnet diese Methode wählen würde, um jemanden umzubringen, nein. Andererseits können wir es auch nicht ausschließen. Mikael war auf der Stelle so tot wie ein Hering, und der Mörder hat gerade mal so viel Kraft gebraucht, als hätte er oder sie Holz gehackt.«
»Und niemand hat etwas gehört?«
»Es muss einen ziemlichen Schlag getan haben, als der Bildschirm am Ende auf ihn geworfen wurde. Aber nach der Rekonstruktion haben wir festgestellt, dass es nicht einmal so laut war, um jemanden im Nachbarhaus zu wecken. Der Schuppen steht zehn Meter von den Häusern entfernt, und sämtliche Geräusche werden von dem Efeu und dem dichten Gebüsch rund um den Schuppen erheblich gedämpft.«
»Wann ist er gestorben?«
»Zwischen Mitternacht und zwei, sagt der Rechtsmediziner.«
Dan dachte einen Augenblick nach. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, was Mikael wohl im Schuppen gesucht hat. Es gehört doch schon etwas dazu, einen jungen Mann an einem ganz gewöhnlichen Werktag gegen Mitternacht in einen Schuppen im Garten zu locken.«
»Ihn lockte etwas ziemlich Spezielles. Auf dem obersten Regalbrett des Schuppens stand ein batteriebetriebener Wecker, der mit einer Lampe gekoppelt ist. Wenn Alarm ausgelöst wird, blinkt die Lampe mit einem sehr kräftigen blauen Licht, so ähnlich wie das Blaulicht an unseren Polizeifahrzeugen. Außerdem wird ein fürchterliches Sirenengeheul ausgelöst. Das würde sogar einen verkaterten Teenager wecken!«
»Stand das Ding schon immer im Schuppen?«
»Nein. Mikaels Mutter ist sich ganz sicher, den Wecker noch nie gesehen zu haben.«
»Mikael wurde also von dem Sirenengeheul und dem Blaulicht aus dem Haus gelockt? Nicht sonderlich diskret.«
»Die Sirene war abgestellt. Nur das Blinklicht wurde aktiviert. Wir haben den Wecker gründlich untersucht. Tatsächlich stand er nicht länger als höchstens einen Tag in dem Schuppen. Kein Staubkorn daran. Ich glaube, der Täter oder die Täterin hat das Blinklicht gegen zwölf eingeschaltet, die Schuppentür offen stehen lassen und im Gebüsch neben dem Schuppen gewartet. Mikael saß im Wohnzimmer und sah fern. Er bemerkte das Licht, wunderte sich und ging in den Garten. Als er die Lampe entdeckte, ging er zur Rückwand des Schuppens und hob die Arme hoch zum Regal. Der Täter trat durch die Tür und schlug den Spaten mit voller Kraft auf Mikaels Hinterkopf. Mikael fiel, und der Täter schlug immer weiter, bis er vollkommen sicher sein konnte, dass Mikael tot war. Dann nahm er oder sie den Bildschirm – und bang!«
»Hat noch jemand dieses Blinklicht gesehen?«
»Nein. Der Schuppen steht zwischen ein paar sehr dichten Nadelbäumen. Wir haben es aus den verschiedensten Winkeln probiert, Licht aus dem Schuppen konnte nur im Haus Nr. 14 gesehen werden.«
»Ich verstehe immer noch nicht, wie all das völlig unbeobachtet vonstattengehen konnte. Das ist doch ein dicht besiedeltes Viertel?«
»Es gibt einen ungewöhnlich aufmerksamen Mann im Nachbarhaus, ein Nierenpatient, der uns anrief, bevor die Leiche überhaupt gefunden wurde. Er wollte Mikaels Kollegin wegen unerlaubten Eindringens anzeigen. Wenn irgendjemand etwas gesehen hätte, dann er. Das Problem ist nur, dass der Mann jeden zweiten Tag zur Dialyse ins Krankenhaus muss. Wenn der Mörder das gewusst hat …«
»Wusste der Täter auch, dass Mikaels Mutter verreist war?«
Flemming seufzte. »Zweifellos. Viele wussten es. Annemarie Kjeldsen war auf einem Treffen dieser Sekte, in der sie Mitglied ist. Das Haus des Herrn. Es war eine Art Bibelcamp, soweit ich es verstanden habe, eine Großveranstaltung mit Studienkreisen unter Beteiligung von hochrangigen Mitgliedern aus der ganzen Welt. Sie fand in einem Versammlungshaus in der Nähe von Maribo statt und wurde schon Wochen vorher beworben.«
»Wenn es sich um eine so große Show handelte, wieso war Mikael dann nicht dabei?«
»Er hatte das ganze Wochenende dort verbracht, ist aber am Montag früh nach Hause gefahren, um zur Arbeit zu gehen, hat seine Mutter erklärt.«
»Ah ja.«
Flemming räusperte sich. »Lass uns das Thema wechseln. Ich bekomme sofort wieder schlechte Laune, wenn ich mich damit beschäftige. Wie geht’s dir denn?«
»Och, ich habe im Augenblick tatsächlich einiges zu tun.«
»Ja?«
»Na ja, du weißt schon …«
Es entstand eine Pause. Dann lachte Flemming. »Dan, verdammt? Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Wenn du dir die Zeit nimmst, mich mitten in der Arbeitszeit anzurufen, obwohl du angeblich im Augenblick einiges zu tun hast, dann weiß ich doch genau, dass ich dir einen Gefallen tun soll. Raus damit!«
»Uff. Was bin ich froh, dass ich nicht von Verbrechen leben muss, wenn du in der Nähe bist.« Er blickte auf seinen Block. Die Seite war übersät mit geometrischem Gekritzel, den Spuren der langen Gespräche mit den Anzeigenverkäuferinnen der Partnerportale. Ganz oben standen zwei Buchstaben und fünf Ziffern, das Nummernschild von Jakob Heurlins Lieferwagen. Er fasste einen raschen Entschluss. »Hast du Zeit, heute Abend zum Essen zu uns zu kommen?«
»Ist es so umfassend?«
»Na ja. Das Problem ist, dass ich ein ziemlich ernstes Schweigegelübde breche, wenn ich dir etwas erzähle, aber ich denke eigentlich …«
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