Republik der Werktätigen
Alltag in den Betrieben der DDR
Bild und Heimat
eISBN 978-3-95958-814-0
1. Auflage
© by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin
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Arbeit damals und heute (Vorwort)
Klaus Blessing
(picture alliance / ZB / Paul Glaser)
Dieses Buch handelt von Menschen, die in der DDR Arbeit hatten und damit nicht nur ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten, sondern in der Arbeit Lebensinhalt, Lebensfreude, Kollektivität und Solidarität fanden. Nicht nur haben sie 40 Jahre in der sozialistisch orientierten DDR gelebt, sondern sie haben sie mitgestaltet. Dann wurde ihnen ein anderes Gesellschaftssystem übergestülpt, das des voll entwickelten Kapitalismus eines führenden Industrielandes.
Ich bin kein Freund von Aufrechnungen der Vor- und Nachteile dieser Wiedervereinigung, die bisweilen als »größter Glücksfall der Geschichte im 20. Jahrhundert« gefeiert wird. Im Osten Deutschlands hat sie tiefe Spuren hinterlassen. Die Bundesrepublik ist nach drei Jahrzehnten immer noch wirtschaftlich, sozial und kulturell gespalten in Ost und West. Der Grundgesetzauftrag – gleichwertige Lebensverhältnisse in den Regionen zu gewährleisten – ist ein Wunschtraum geblieben. Wirtschaftsleistung und Einkommen verharren bei 75 bis 80 Prozent Westniveau, der Abstand wird wieder größer.
Zwei Ereignisse prägten diese Entwicklung: Zum einen der Raub des vom Volk der DDR erarbeiteten Eigentums. Zwei Billionen DM verschwanden in den Taschen der Glücksritter aus der BRD. Zum zweiten die Zerschlagung der ostdeutschen Wirtschaft mit der Folge einer Massenarbeitslosigkeit und Auswanderung der betroffenen Menschen. Schlagartig sank die Wirtschaftsleistung der DDR innerhalb von zwei Jahren um 45 Prozent durch Stilllegungen von DDR-Betrieben und Einrichtungen. Über zwei Millionen Menschen verloren dadurch ihre Arbeit und ihre Existenzgrundlage. Das war jeder vierte Beschäftigte. Sie wanderten aus. Inzwischen haben seit 1989 über vier Millionen Bürgerinnen und Bürger – mehr als in Zeiten der »offenen Grenzen« – das Gebiet der DDR verlassen, um in westlichen Gefilden ihr Glück zu suchen, überwiegend jung und weiblich. Glücksritter aus der BRD wanderten ein, besetzten die Führungspositionen in Wirtschaft, Politik, Justiz.
Arbeit ist inzwischen zu einem begehrten Luxusgut geworden. Millionen Menschen haben sie verloren. Diejenigen, die Arbeit haben, sind in einer Arbeitswelt angekommen, die ihnen fremd ist. Arbeit hat in der kapitalistischen BRD einen ganz speziellen Sinn. In einem Artikel stellt die Professorin Marianne Gronemeyer diesen treffend vor: »Es geht gar nicht um Arbeit und Arbeit ist auch nicht erstrebenswert. Es geht um Geld. Die Frage: ›Wie viel Arbeit braucht der Mensch?‹, und jene andere: ›Wie viel Geld braucht der Mensch?‹, sind gleichbedeutend … Vom Geld kann man halt nie genug haben. … Die Zeit, die wir in sinn- und bedeutungslosen Arbeitsvollzügen zubringen, geben wir als Lebenszeit schon verloren … Arbeitszeit fällt als Zeit sinnerfüllten Lebens aus.«
In diesen wenigen Sätzen ist das Credo nicht nur moderner Arbeitsphilosophie, sondern moderner Lebensphilosophie verankert. Eine Auffassung, die in erschreckendem Maße Eingang in die Lebensgestaltung des Einzelnen gefunden hat. Das Leben »genießen«, Konsumieren, Feiern, Verreisen wurden zunehmend zum Inhalt des heutigen Lebens.
Natürlich diente auch in der DDR die Arbeit dem Erwerb des Lebensunterhaltes. Der DDR-Bürger lebte von und durch Arbeit. Er erwarb sein Einkommen nur durch Arbeit. Einkünfte durch Nichtstun aus Börsenspekulationen jeder Art, Gewinne aus Geschäften mit Grundstücken und Immobilien gab es nicht. Die Folge war eine geringe Spreizung der Einkommen und Vermögen.
Der Durchschnittsverdienst der arbeitenden Bevölkerung lag monatlich bei 1.320 Mark brutto. Das Nettoeinkommen betrug 1.140 Mark, das waren 86 Prozent vom Brutto. In der BRD verbleiben den Arbeitenden vom Brutto lediglich ca. 65 Prozent netto. Abgaben wurden in der DDR nicht vorrangig von der arbeitenden Bevölkerung erhoben, sondern von den Volkseigenen Betrieben erwirtschaftet. Die Höhe der Entlohnung in den Betrieben hing nicht von der »Streiklust« der Werktätigen und ihrer Gewerkschaften ab. Sie war staatlich differenziert nach volkswirtschaftlicher Bedeutung und Anforderungen an die Arbeit. Die höchsten Verdienste waren in der Energiewirtschaft mit 1.470 Mark, die geringsten in der Leichtindustrie mit 1.320 Mark zu erzielen.
Ein »Spitzenmanager« – Generaldirektor eines Kombinates – erhielt monatlich brutto 3.800 Mark, ein Minister 4.250 Mark. Ein DAX-Vorstand bekam 2019 als Jahresvergütung im Schnitt 5,8 Millionen Euro.
Arbeit war aber in der DDR mehr als nur Geldverdienen. Bereits Friedrich Engels stellte in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen fest: »Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums, sagen die politischen Ökonomen. … Aber sie ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.« Wer heutige Exzesse von weitgehend von vernünftiger Arbeit Ausgeschlossenen der Gattung Homo sapiens auf Straßen, Plätzen, in Stadien und Hallen randalierend erlebt, stellt fest, dass auch der Umkehrschluss zulässig ist: Ohne Arbeit kann der Mensch zum Affen werden.
Das Recht auf Arbeit ist Bestandteil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO vom 10. Dezember 1948 (Artikel 23): »Jeder hat das Recht auf Arbeit … sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit. Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.«
In der DDR wurde dieses Menschenrecht nicht nur in der Verfassung verankert, es wurde konsequent umgesetzt. Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Bettler, Tafeln und Suppenküchen waren Fremdworte. Ihr praktisches Erleben nach der Wende war für viele DDR-Bürger – auch für mich – ein Schockerlebnis. Mir war es glücklicherweise erspart geblieben, mich als bettelnder Arbeitnehmer bei arroganten und von Geld strotzenden Arbeitgebern anzudienen. Die heutige Arbeitswelt ist geprägt davon durch die Allmacht des Kapitals und deren Besitzer.
In der BRD, wo die Würde des Menschen nach Artikel 1 des Grundgesetzes unantastbar ist, fehlt die Umsetzung des elementaren Menschenrechtes auf Arbeit. Arbeit ist im Interesse des Kapitals Kostenfaktor und damit Quelle des Profits. Arbeit muss nach dieser Logik eingespart und die Kosten dafür müssen ständig gesenkt werden, damit der Profit steigt.
Die Auswüchse der bundesdeutschen Arbeitswelt legt nun ein Virus offen. Menschenverachtende Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen in der Fleischindustrie und Landwirtschaft kommen ans Tageslicht. Es ist nur die nicht mehr zu verheimlichende Spitze eines großen Eisberges.
In Deutschland ist Schweinekönig Clemens Tönnies nicht nur wegen rassistischer Äußerungen, sondern wegen Dumpinglöhnen sowie menschenunwürdigen Arbeits- und Wohnbedingungen seiner weltweit 16 500 Mitarbeiter in Verruf gekommen. Das brachte ihm ein Vermögen von knapp zwei Milliarden Euro ein. Am Stammsitz »wohnen« die Arbeiter – vorwiegend aus Osteuropa – mit neun Personen in einer Dreizimmerwohnung in einem Hochhaus, Monatsmiete 300 Euro pro Person. Hätte man nicht in diesem Milieu aktuell weit über 1500 Coronafälle registriert, wären diese Zustände nicht an die breite Öffentlichkeit gedrungen – Kapitalismus pur zum Anfassen.
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