44Bei hoher Komplexität ist ein personenorientiertes Management dem faktorenbezogenen Management vorzuziehen. Das bedeutet enge Absprachen, einzelfallbezogene, jedoch alle Einflussfaktoren und Wirkungen berücksichtigende Lösungen, kurze und weniger hierarchische Entscheidungswege, mehr delegierte Handlungs- und Entscheidungskompetenz. Das Vorgehen scheint die Komplexität eher noch zu erhöhen – dem ist zuzustimmen, wenn dies unvorbereitet erfolgt. Folgt man Luhmann, dann müssen komplexe Systeme Instabilitäten schaffen, um den Problemen Rechnung zu tragen (vgl. Luhmann, 1994, S. 23). Es ist eine wesentliche Aufgabe des Personalmanagements und der Führungskräfte, die Organisationsmitglieder auf Phasen hoher Komplexität, beispielsweise durch die Einführung eines Risikomanagements, agiler Projektorganisation, Ganzheitsbearbeitung mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung in der Sachbearbeitung und Feedbackgespräche, vorzubereiten.
Abb. 9:Spannungsfeld zwischen personenorientiertem und faktorenbezogenem Management, eigene Darstellung
Die Einflussfaktoren im Einzelnen:
Digitalisierung
45Die Arbeitswelt befindet sich durch die rasante digitale Entwicklung, die sich bisher weitgehend einer institutionellen Steuerung entzieht, im bedeutendsten Umbruch seit der Industrialisierung. Die Digitalisierung erreicht eine Geschwindigkeit, die es immer schwieriger werden lässt, ordnend einzugreifen, um die wichtigen Fragen nach dem Schutz der Daten und der Regulation von Datenhandel zu beantworten.
46Globalisierung findet nicht nur durch ökonomische Entgrenzung statt. Mit der Digitalisierung ist eine Vernetzung von Menschen weltweit möglich. Damit entstehen bisher nicht gekannte Möglichkeiten der Einflussnahme auf Wirtschaft und Politik. Sie wird als die entscheidende Veränderungskomponente alle anderen Rahmenbedingungen beeinflussen. Digitalisierung wird sogar das Grundverständnis unseres bisherigen gesellschaftlichen Zusammenlebens und unser Rechtsverständnis beeinflussen.
Der digitale Fortschritt lässt sich auch nicht proaktiv steuern. Dafür hinken institutionelle Konzepte meilenweit hinterher. Während Großunternehmen dies erkannt haben und über ausreichend Ressourcen verfügen, um die rasante Entwicklung für sich nutzbar zu machen (z. B. Robotik), ist der öffentliche Sektor noch weitgehend in traditionellen Strukturen und Abläufen verwurzelt. Als Beispiel dafür ist die Einführung von E-Government zur Abwicklung geschäftlicher Prozesse mit Hilfe elektronischer Informations- und Kommunikationstechnik zu nennen, in das die öffentlichen Verwaltungen ihre Hoffnungen legen. Allerdings ist durch das schrittweise, kaum vernetzte Vorgehen die Idee von der virtuellen Verwaltung noch Zukunftsmusik.
Damit könnte auch die Einflussmöglichkeit des öffentlichen Sektors auf das gesellschaftliche Leben schwinden, das sich ebenfalls durch die digitale Durchdringung aller Lebensprozesse verändern wird.
47Schon jetzt werden Überlegungen laut, ob öffentliche Verwaltungen in Zukunft noch Aufgaben für das Gemeinwesen wahrnehmen werden oder ob dies in Zukunft weitgehend der Selbstregulierung freier Marktkräfte überlassen bleibt.
Die „Digitalisierung“ betrifft alle Lebensbereiche – nicht nur die private Kommunikation und die elektronische Bearbeitung von Kundenanliegen, sondern auch Managementprozesse. Die elektronische Abwicklung von Geschäftsprozessen und -abläufen bringt völlig neue Herausforderungen für das Personalmanagement mit sich, angefangen von der digitalen Personalakte bis hin zu digitalisierten Recruitingprozessen. Die Möglichkeit, durch Algorithmen die Personalauswahl vollständig digital abzuwickeln, wird bereits in Experimenten erforscht.
48Es muss Aufgabe des Personalmanagements sein, den Einsatz digitaler Medien sorgfältig und kritisch unter ethischen und datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und auf Fehlentwicklungen hinzuweisen.
Dafür wird sich das Personalmanagement von der bisherigen reinen Unterstützungsfunktion verabschieden und eine eigene strategische Funktion übernehmen. Dies setzt voraus, dass Personal-, Organisations- und Finanzmanagement eine Einheit bilden. Der IT-Bereich übernimmt dann die Unterstützungsfunktion, die bislang dem Personalwesen oblag.
Dies bedeutet auch, dass ein Großteil der bisherigen unterstützenden Personal- und Organisationsprozesse künftig stärker durch den IT-Bereich mit elektronischer Unterstützung übernommen werden müssen. Diese Prozesse und Aufgaben sind zu identifizieren und von jenen abzugrenzen, die keine weitgehende Digitalisierung erlauben.
Um diesen Veränderungsprozess wirkungsvoll in Gang zu setzen, darf keine Personal- und Organisationsleistung mehr denkbar ohne die Beteiligung des IT-Bereiches sein.
Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Altersstruktur im öffentlichen Bereich
49Die sozio-ökonomischen Konsequenzen einer im Durchschnitt immer älter werdenden Bevölkerung gehören zu den zentralen Herausforderungen westlicher Industrienationen. Deutschland ist hierbei vergleichsweise stark betroffen.
Die Bevölkerung im Erwerbsalter wird infolge des demografischen Wandels nach Schätzungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2013) um gut 6 Mio. bis zum Jahr 2030 sinken (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2013, S. 8).
Diese Entwicklungen sind seit langem bekannt und werden aus volkswirtschaftlicher und soziologischer Perspektive eingehend in wissenschaftlichen Studien analysiert. Auch im öffentlichen Sektor finden demografische Aspekte zunehmend Aufmerksamkeit, zumeist in Hinblick auf den Umgang mit der Altersstruktur als Anlass für Personalplanungsprozesse.
Eine große Anzahl von Behörden hat sich jedoch vor dem Hintergrund bisheriger Einsparvorgaben insbesondere im Personalbereich noch nicht bzw. noch nicht systematisch mit den Konsequenzen beschäftigt. Hierfür sind vor allem zwei Gründe maßgeblich.
50Der erste Grund liegt in einer scheinbar geringen Präsenz des demografischen Wandels.
Der Charakter einer sich langsam aber stetig vollziehenden Entwicklung veranlasst viele Personalverantwortliche die langfristigen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu unterschätzen und die vermeintlich zur Verfügung stehende Vorbereitungszeit hierauf zu überschätzen.
51Ein zweiter Grund ist eher pragmatischer Natur. So ist von Personalverantwortlichen immer wieder zu hören, dass geeignete Instrumente vermisst werden, die eine spezifische Analyse und Bewertung demografischer Effekte für eine mittelfristige Personalplanung, wie in folgendem Beispiel, ermöglichen.
Potenzielle Risikeninfolge des demografischen Wandels lassen sich durch zwei Kernfragen, die weiter differenziert werden können, erfassen:
• Wie verändert sich die Bevölkerungsstruktur aufgrund des demografischen Wandels ?
– Welche Leistungen des öffentlichen Dienstes in welchem Umfang werden künftig benötigt?
– Wie wirkt sich das auf die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der öffentlichen Haushalte aus?
• Welche Effekte ergeben sich für die externe und interne Verfügbarkeit von Fachkräften?
– Werden potenziell geeignete Fachkräfte in ausreichender Anzahl für alle relevanten Berufe vorhanden sein?
– Muss der öffentliche Dienst aufgrund des Fachkräftemangels in einigen Berufen, verstärkt in benachbarten EU-Ländern werben oder möglicherweise viel früher ansetzen und Schulabgänger zuerst anlernen und später aus- und fortbilden?
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