39Dynamische Umweltveränderungen erhöhen den Handlungsdruck auf öffentliche Verwaltungen. Abbildung 8verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen veränderten Umweltanforderungen, die auf das System der Gesamtorganisation einwirken und die notwendige Anpassungsgeschwindigkeit innerhalb des sozio-technischen Systems erzeugen.
Aus einer damit verbundenen Komplexitätserhöhung resultiert das Bestreben, die interkommunale Zusammenarbeit, aber auch themenbezogen zwischen Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen, zu intensivieren, beispielsweise durch Vergleichsringe auf der Basis gemeinsamer Kennziffern oder der gemeinsamen Inangriffnahme gesamtgesellschaftlicher Themen wie Demografie und Digitalisierung. Auch Unternehmen, die eigentlich im Wettbewerb zueinander stehen, kooperieren und vernetzen sich projektbezogen, denn die Nutzung von Netzwerken bedeutet, dass Ressourcen sparsamer eingesetzt werden können. Qualitätsunterschiede werden bei vergleichbaren Leistungen und Produkten geringer, der Grad der Standardisierung steigt. Darin besteht die Chance, ein IT-gestütztes evidenzbasiertes Personalmanagementsystem aufzubauen. Ein solches System unterscheidet nach standardisierten Bearbeitungsfällen und Lösungsalternativen für kategorisierte fallbezogene Probleme, deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Risiko im Vorfeld definiert sind.
40Die rasante Veränderungsgeschwindigkeit unserer Umwelt verlangt nach immer neuen Handlungsstrategien. Grenzen zwischen Arbeit und Umwelt sind fließend. Gleichzeitig benötigt der Mensch Routinen in Form von Strukturen und Abläufen, um sich orientieren zu können. Orientierung bedeutet auch, dass der Mensch in der Lage ist, ausgehend von individuell bedeutsamen konstanten Rahmenbedingungen, Annahmen über die Zukunft zu treffen (vgl. Neuberger, 1985, S. 1 f.). Wir können uns beispielsweise am Sonntagabend vorstellen, wo wir am nächsten Morgen die Arbeit weiterführen werden. Ob im Büro oder bei einer Dienstreise können wir uns dadurch orientieren, weil wir eine bildhafte Vorstellung davon haben, was wir am nächsten Morgen vorfinden werden. Wir wissen, wie unser Büro gestaltet ist und erwarten bei einer Reise mit der Bahn die Menschenmengen auf einem Bahnhof an einem Montagmorgen, weil wir bereits Erfahrungen darüber gesammelt haben, was uns erwarten wird. Möglicherweise beschleicht uns ein ungutes Gefühl bei der Vorstellung an den Berufsverkehr und wir stellen uns darauf ein. Aber auch wenn es darum geht, langfristige Pläne zu schmieden, können wir das nur unter der Voraussetzung einiger stabiler Rahmenbedingungen, um die Zukunft gedanklich zu antizipieren. Dafür verwenden wir mentale Repräsentanten auf Basis von Erfahrungswerten und dem Abgleich mit unseren Bedürfnissen, Zielen und Einstellungen. Die Umwelt wird dabei nicht eins zu eins abgebildet, sondern durch einen individuellen Filter wahrgenommen und emotional bewertet. Ein Teil der Beobachtungsfehler resultiert daraus, dass Menschen ihre Umwelt selektiv wahrnehmen und je nachdem, was bewusst oder unbewusst als individuell bedeutsam eingestuft wird, die Aufmerksamkeit darauf gelenkt und andere Dinge ausblendet werden.
Wenn sich jetzt als konstant vorausgesetzte individuell bedeutsame Umfeldfaktoren verändern, beispielsweise durch eine räumlich und zeitlich entgrenzte Arbeit, auf die wenig Einfluss besteht, funktioniert die Orientierung nicht mehr wie gewohnt. Je nach persönlicher Beanspruchungstoleranz können solche entgrenzte Arbeitsbedingungen als Kontrollverlust erlebt werden und Stress auslösen.
41Zahlreiche Publikationen beschäftigen sich mit der Frage, wie die unterschiedlichen Generationen mit den Herausforderungen in Technik, Gesellschaft, Natur und der Arbeit umgehen. Während der Generation „X“ (Geburtenjahrgänge 1970 bis ca. 1985) ein eher unflexibler Umgang mit den Anforderungen sich rasch verändernder Rahmenbedingungen zugeschrieben wird, sind für Arbeitgeber besonders die Generationen „Y“ (Geburtenjahrgänge ab 1985 bis 2000) und „Z“ (Geburtenjahrgänge ab 2000 bis 2015) in das Blickfeld gerückt (vgl. Scholz [II], 2014, S. 73 f.). Sie verkörpern jene Altersgruppen, die die Digitalisierung für soziales Netzwerken zu nutzen wissen, bzw. mit der Digitalisierung aufwachsen und für die Agilität kein Fremdwort ist.
Der Klassifizierung in Kohorten liegt ebenfalls die Prägung nach gemeinsam geteilten gesellschaftlichen, ökonomischen, technischen und politischen Rahmenbedingungen zugrunde.
Die kommende Generation potenzieller Bewerber weist eine wesentlich heterogene Biografie auf. Die Fachkräftegewinnung wird sich deshalb nicht auf altbewährte Marketingstrategien der öffentlichen Verwaltung beschränken können. Das Werben mit sicheren Arbeitsplätzen und die Tätigkeit für das Gemeinwohl allein, werden nicht genügen, um Potenzialträger für den öffentlichen Dienst zu interessieren. Behörden müssen in Sachen Digitalisierung und neue Arbeitsformen mit Unternehmen mithalten. Auch in der öffentlichen Meinung werden die sich verändernden Rahmenbedingungen mit Nachdruck und unter Bezugnahme auf die Veränderungsnotwendigkeit der Personalarbeit wiederholt und an die Personalpraktiker adressiert. Dies erschwert zusätzlich die Chance auf einen proaktiven Umgang mit der Thematik, der für Innovation unabdingbar ist.
Personalmanagement kann zum Aufbau einer Arbeitgebermarke und damit zur Attraktivität als potenzieller Arbeitgeber sowie zur Bindung von Beschäftigten beitragen (vgl. Jetter, 2008, S. 19 f.).
42Ob ein Arbeitgeber jedoch für potenzielle Mitarbeiter attraktiv ist, wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, so beispielsweise auch davon, ob der potenzielle Arbeitgeber als Teil der Gesellschaft soziale und ökologische Verantwortung wahrnimmt und dies nicht nur auf seiner Website bewirbt, sondern als Philosophie bis hin zum Produkt lebt.
Es kommt in der Außenwirkung weniger darauf an, möglichst viele kostenintensive Benefits einzuführen. Damit kann Personalmanagement nur noch selten punkten. Allerdings kann eine verfehlte Personalpolitik, mit strukturellen Mängeln, Defiziten in der Führungskultur oder unzureichendem Gesundheitsschutz, zu einer hohen Fluktuationsrate und damit zu sinkender Arbeitgeberattraktivität beitragen. Ein wirkungsorientiertes Personalmanagement blockiert sich nicht selbst durch viele teure Angebote und unflexible Konzepte, sondern richtet sich nach den zu lösenden Fragen der Kunden und ist deshalb nah an den dezentralen Struktureinheiten.
43Für die beispielhaft beschriebenen Unsicherheitsfaktoren gibt es bereits mit dem Akronym VUCA-Umwelt ein Etikett (vgl. Lenz, 2019, S. 51 f.).
Es steht für:
• Volatility ( Unbeständigkeit),
• Uncertainty ( Unsicherheit),
• Complexity ( Komplexität) und
• Ambiguity ( Mehrdeutigkeit).
Erhöht sich die Komplexität durch vielfältige Umfeldanforderungen, wie Abbildung 9zeigt, ist es wenig sinnvoll, durch eine Verstärkung normativer Regelungen gegensteuern zu wollen. Dies führt zu einer Spirale der Komplexität. Beispielsweise sollte ein steigendes Anspruchsverhalten oder ein sprunghafter Anstieg der Kundenanliegen nicht dazu führen, die leistungserbringenden dezentralen Strukturbereiche grundsätzlich mit mehr normativen Regelungen auszustatten, die infolge Zeitdrucks unübersichtlich und nicht widerspruchsfrei die Fehlerquote eher noch steigern. Bei hoher Komplexität ist eine Personalführung mit effizientem Personaleinsatzmanagement gefragt. Als Dominoeffekt wirkt auch hier eine Komplexitätssteigerung dadurch, dass Kapazitäten für die Einleitung personalwirtschaftlicher Maßnahmen gebunden werden.
Abb. 8:Wirkungen komplexer Umfeldfaktoren, eigene Darstellung
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