Denknotwendig kann nur derjenige die tatsächliche Gewalt ausüben, wer sie zuvor erworben hat. Umgekehrt führt auch jeder Erwerb nach Nr. 1 zum Besitz iSd. Nr. 2, ohne dass es auf eine besondere Dauer der tatsächlichen Gewalt ankommt. 30
Wie bereits dargestellt, ist der Begriff der tatsächlichen Gewalt in zeitlicher wie auch in räumlicher Hinsicht tendenziell weiter aufzufassen. So verbleiben gemeinhin anerkannt auch Waffen, die in einer Wohnung eingeschlossen sind, in der tatsächlichen Gewalt des Wohnungsinhabers. 31Dieser bleibt Besitzer der in seiner Wohnung befindlichen Waffen, auch wenn er sich räumlich entfernt.
3.Überlassen einer Waffe oder von Munition 32
Eine Waffe oder Munition überlässt, wer die tatsächliche Gewaltdarüber einem anderen einräumt.
Überlassen:
Während der Erwerb die Vorgänge auf der Seite dessen betrifft, der die tatsächliche Gewalt erlangt, beschreibt der Begriff des Überlassens die Handlungen auf der Seite dessen, der die Möglichkeit zum Erwerb einräumt.
Nicht jeder Erwerb setzt ein Überlassen voraus, da auch der Erwerb zB. durch Fund oder Diebstahl möglich ist.
Hingegen führt jedes Überlassen zu einem Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf der anderen Seite.
Am Überlassen sind folglich stets zumindest zwei Personenbeteiligt.
Die in Nr. 3 verlangte Einräumung der tatsächlichen Gewalt erfordert nicht die gänzliche Besitzaufgabe auf Seiten des Überlassenden. Es reicht aus, dass die tatsächliche Gewalt nur teilweise eingeräumt wird (Bsp.: gemeinsamer Zugriff auf Waffenschrank). Voraussetzung ist jedoch immer, dass die überlassende Person bisher Besitz innehatte und die erwerbende Person noch nicht besitzt.
Ein Überlassen setzt keine „aktive, vom Willen getragene Übergabehandlung oder entsprechende Erlaubnis zur Ansichnahme falls auf die Waffe eine Zugriffsmöglichkeit besteht“ 33voraus. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich auch das fahrlässige Überlassen erlaubnispflichtiger Waffen an einen Nichtberechtigten unter Strafe gestellt (§ 52 Abs. 3 Nr. 7, Abs. 4).
Ein Überlassen wird jedoch zumindest dann noch nicht vorliegen, solange der rechtmäßige Inhaber der tatsächlichen Gewalt jederzeit in der Lage ist, auf die Zugriffsmöglichkeit einer anderen nichtberechtigten Person einzuwirken.
Erst wenn der Besitzer sich in dergestalt von der Waffe/Munition entfernt hat, dass der Unberechtigte wissentlich auf die Waffe einwirken kann, ohne dass es hierfür einer Überwindung nennenswerter rechtlicher oder tatsächlicher Hemmnisse bedarf, liegt ein Überlassen im waffenrechtlichen Sinne vor. 34
Merke:
Solange der rechtmäßige Inhaber der tatsächlichen Gewalt jederzeit in der Lage ist, die Waffe vor der Zugriffsmöglichkeit einer anderen nichtberechtigten Person zu sichern, liegt keinÜberlassen vor. 35
Die Abgrenzung kann im Einzelfall problematisch sein.
Fall 3: Der Polizeibeamte P ist berechtigt, seine Dienstwaffe zu Hause privat aufzubewahren. Nach Dienstschluss legt er daheim seine Einsatzmittel, zu denen auch seine dienstlich zugewiesene Schusswaffe gehört, auf dem Wohnzimmertisch ab, um sie sogleich ordnungsgemäß im Sicherheitsschrank einzulagern. Seine Ehefrau sitzt dabei am Tisch und liest Zeitung.
Im Fall 3 kann die Ehefrau zwar objektiv auf die Waffe zugreifen und sie weiß dies auch. Gleichwohl kann ein Waffenerwerb der Ehefrau und damit einhergehend ein Überlassensvorgang noch nichtangenommen werden. Während die Waffe auf dem Tisch liegt, hat P durchgängig den prioritären Zugriff auf diese und ist jederzeit in der Lage, Einwirkungen auf die Waffe durch seine Frau zu unterbinden.
Fall 4:Der Jäger J lebt mit seiner Ehefrau und drei Kindern in häuslicher Gemeinschaft. Gegen 18.30 Uhr kommt er vom Jagen nach Hause. Eilig stellt er den nicht abgeschlossenen Waffenkoffer im Flur ab, und begibt sich unter die Dusche. Während der J sich duscht, bemerkt der 12jährige Sohn (S) den Waffenkoffer im Flur. Er nimmt die Waffe aus dem Koffer und untersucht diese interessiert.
Anders ist der Sachverhalt im Fall 4 zu bewerten. Hier kann der S ohne weiteres auf die Waffe des Vaters J einwirken und weiß dies auch. J hat infolge seiner Abwesenheit auch keine unmittelbare Möglichkeit, dem Zugriff durch S entgegenzuwirken.
Hier ist zumindest ein fahrlässiges Überlassen anzunehmen und damit eine Straftat nach § 52 Abs. 3 Nr. 7, Abs. 4.
Fall 5:Der Sportschütze S lebt in häuslicher Gemeinschaft mit seiner Freundin F. In der Nachbarschaft hat es in den vergangenen Wochen vermehrt Einbrüche und Einbruchsversuche gegeben. Die verängstigte F fordert den S auf, Schutzmaßnahmen zu treffen. Fortan verwahrt der S mit Wissen der F seine Sportpistole in seinem nicht abgeschlossenen Nachttisch.
Im Fall 5 liegt zunächst ein Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht aus § 36 Abs. 5 WaffG iVm. § 13 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AWaffV vor. Dieser Verstoß wird als Ordnungswidrigkeit nach § 34 Nr. 12 AWaffV geahndet.
In Betracht käme weiter eine Straftat nach § 52 Abs. 3 Nr. 7a WaffG. Dafür müsste der Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschrift vorsätzlich begangen worden sein, was vorliegend angenommen werden kann. Allerdings müsste für die Erfüllung des Tatbestandes auch die Gefahr des unbefugten Zugriffs auf die Waffe vom zumindest bedingten Vorsatz des S umfasst sein. Der Vorsatz bezogen auf die Gefahr des unbefugten Zugriffs dürfte hier abzulehnen sein, weshalb der Tatbestand des § 52 Abs. 3 Nr. 7a nicht vorliegt.
Allerdings muss im Fall 5 ein zumindest fahrlässiges Überlassen an die Nichtberechtigte F geprüft werden. Die F kann auf die Waffe einwirken und weiß dies auch. Der S hat sich als rechtmäßiger Besitzer seinerseits dergestalt von der Waffe entfernt, dass die F ohne Überwindung nennenswerter Hindernisse auf die Waffe einwirken kann. Dieser Umstand musste dem S klar sein, auch wenn er sich ggf. darauf verlassen hat, dass F tatsächlich nicht auf die Waffe einwirken werde. Hier hat S die Waffe zumindest fahrlässig an die F als nichtberechtigte Person überlassen und sich daher nach § 52 Abs. 3 Nr. 7, Abs. 4 strafbar gemacht.
Hinweis für die Waffenbehörde:
Die Grenze des Überlassens ist insbesondere bei Verstößen gegen Aufbewahrungsvorschriften nach § 36 Abs. 5 WaffG iVm. § 13 AWaffV von praktischer Bedeutung.
Diese werden „nur“ als Ordnungswidrigkeit (§ 34 Nr. 12 AWaffV) geahndet.
Hier ist jeweils zu prüfen, ob der Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschriften ggf. zugleich ein (typischerweise fahrlässiges) Überlassen an Unberechtigte und damit ein Vergehen nach § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG darstellt.
Dieser Aspekt hat nachhaltige Auswirkungen auf die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Waffenbesitzers.
Eine Waffe führt, wer die tatsächliche Gewaltdarüber außerhalbder eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums oder einer Schießstätte ausübt.
Die Umgangsart des Führens bezieht sich nur auf Waffen, nicht auf Munition.
Das Führeneiner Waffe ist ein Unterfall des Besitzes, insofern reicht für das Führen die Ausübung der tatsächlichen Gewalt aus.
Auch der Transport einer nicht schuss- und nicht zugriffsbereiten Waffe stellt ein Führen iSd. Nr. 4 dar. Die tatsächliche Gewalt wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Waffe nicht schuss- und nicht zugriffsbereit ist. 36Dies wird nicht zuletzt vom Wortlaut des § 12 Abs. 3 Nr. 2 bestätigt, wonach der nicht zugriffs- und nicht schussbereite Transport einer Waffe explizit als „Führen“ benannt ist.
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