6. Kapitel
»Jetzt kommt der Sommer aber richtig in Gang!« Christian wischte sich mit einer für ihn typischen Bewegung über die Stirn. »Ich gehe erst mal unter die Dusche.«
Monika hatte sich ebenfalls regelrecht erschrocken, als sie zum Feierabend aus dem klimatisierten Büro nach draußen trat. Inzwischen trug sie nur noch ein dünnes Top und einen bunten Rock und fühlte sich eigentlich recht wohl. Ihr gefiel der Sommer viel besser als der Winter. Sie hatte bereits ein paar leichte Salate angerichtet, aber auch Fleisch und Würstchen gekauft. Sie hoffte, dass Christian mit ihr einer Meinung war und sich für einen Grillabend begeistern konnte. Nicht, dass Monika ein besonders großer Grillfreund gewesen wäre, aber an solch einem herrlichen Sommerabend musste man sich nicht an den Herd stellen und drin sitzen. Sie liebte ihr kleines Häuschen, am Ortsrand im Grünen gelegen. Im angrenzenden Garten baute sie etwas Obst und Gemüse an, und frische Kräuter waren auch immer verfügbar. Manchmal hatte sie schon scherzhaft zu ihrem Mann gesagt, dass sie dadurch nicht verhungern müssten, auch wenn er über ein oder zwei Monate kein Geld verdiente. Doch ganz so schlimm war es noch nie gekommen, die Bauern in der Gegend und auch ein Fuhrunternehmer schätzten sein fachliches Können und ließen ihn manche Durststrecke überstehen.
Förmlich ohne Worte hatte Christian den Plan seiner Frau durchschaut, als er die Salate stehen sah. Er lief direkt auf die Terrasse und bereitete den Grill vor. Jetzt konnte er durchaus etwas Essbares vertragen.
»Morgen werde ich das Auto bekleben«, erzählte er, während er das erste Steak auf den Grill legte. »Da ist es gar nicht so schlecht, wenn es warm ist. Besser warm als zu kalt.«
»Ist die Lieferung angekommen?« Monika wusste, dass er die Logos extra in einer reprografischen Werkstatt bestellt hatte. Manchmal dauerte das etwas länger.
Mit einem kurzen Nicken beantwortet Christian die Frage und wendete das Fleisch. Inzwischen strömte ein herrlicher Duft durch den Garten. »Wenn das die Nachbarn riechen, wird es gleich klingeln«, scherzte er.
Monika holte ein Bier und ein Radler aus dem Kühlschrank und dann stand dem gemütlichen, rustikalen Abendessen nichts mehr im Weg.
Genüsslich kauend dachte Christian an früher. Da hatten sie mit den Eltern auch oft gegrillt. Früher, das war inzwischen über 40 Jahre her. Selbst wenn es sicherlich in der DDR manchen Mangel gegeben hatte, hungern musste keiner. Und mit etwas Organisationstalent kam man auch an gute Sachen ran. Er hatte jedenfalls nichts vermisst und behielt seine Kindheit und Jugend mit Carola in bester Erinnerung. Dass er es seinem Vater nie wirklich recht machen konnte, war auf einem anderen Blatt geschrieben.
Am nächsten Morgen stand Christian mit Monika zusammen auf. Er wollte lieber etwas früher in der Werkstatt arbeiten, als später in der Nachmittagshitze. Außer an seinem Rennauto arbeitete er auch noch an einem Getriebe für einen Sportfreund, den er nicht länger warten lassen wollte. An der Tür verabschiedete er sich von Monika und lief den kurzen Weg bis zu seiner Werkstatt. Ein lauer Wind schubste am strahlend blauen Himmel ein paar Schäfchenwolken vor sich her. Kaum zu glauben, dass fast schon September war.
Er ließ seinen prüfenden Blick noch einmal über die frisch lackierte Karosse gleiten, ehe er an die Fertigstellung ging. Jetzt kam es auf eine ruhige Hand und ein geschultes Auge an. Schief sitzende Starternummern oder Blasen in den Logos, das wollte er tunlichst vermeiden. Also schaltete er auch sein Handy lautlos und legte es in den Schrank. Jetzt wollte er auf keinen Fall gestört werden. So war es dann bereits Mittag durch, als er wieder drauf sah und bemerkte, dass Carola ihn erreichen wollte. Rasch drückte er die Wahltaste, um sie zurückzurufen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis seine Schwester den Anruf mit einem kurzen »Ja« annahm.
»Hallo, kleine Schwester, was gibt es?«
»Sorry Chris, ich bin schon bei der Arbeit, muss mich also kurz fassen«, erwiderte Carola. »Ich wollte auch nur wissen, ob es bei euch passt mit dem Termin für die Beisetzung. Morgen sollen die Anzeigen in der Zeitung erscheinen. Aber nun isses eh für Änderungen zu spät.«
»Na sicher klappt das«, beruhigte Christian seine Schwester. »Sonst hätte ich mich doch gemeldet.«
»Was ist mit deinen Töchtern?« Carola stellte Ines und Victoria in dieser Beziehung auf eine Stufe.
»Nein, da kommt keine mit. Ist ja irgendwie verständlich«, fügte er erklärend hinzu. »Aber das müssen wir jetzt nicht diskutieren. Ich will dich auch nicht weiter von der Arbeit abhalten.«
»Na gut. Mir wäre es ja egal, aber meinem Chef nicht«, lachte Carola. »Dann mach´s gut, großer Bruder!«
»Mach´s gut, meine Kleine!«
Ach ja, überlegte Christian, an Carola blieb jetzt alles hängen. Obwohl sie die Jüngere war, hatte sie schon von Kindheit an die Fäden in der Hand. Er war einfach zu ruhig, reden war nicht sein Ding, und schreiben eigentlich auch nicht. Von seiner Exfrau wurde er dafür immer kritisiert. Erst Monika wusste ihn zu nehmen, wie er war.
Er putzte sich die Hände ab und griff zur Wasserflasche, die er schon fast ausgetrunken hatte. Mit Sicherheit war die Temperatur längst wieder über 30 Grad gestiegen. Nein, an das Getriebe ging er heute nicht mehr. Dafür fühlte er sich zu abgespannt. Christian griff zum Handy und tippte eine Nachricht an Monika. » Kommst du nachher pünktlich heim? Was hältst du von einer Runde schwimmen ?«
Kaum eine Minute später erklang schon das »Pling«, was den Eingang einer Nachricht signalisierte.
» Super! Bin spätestens 16.00 Uhr da .« Ein grinsender Smiley vervollkommnete den Text.
Er lächelte. Noch immer fühlte er so etwas wie Verliebtheit, wenn er an seine Frau dachte. Nach all den Beziehungen, die er hinter sich hatte und die auch durch seine Schuld nicht hielten, was sie versprachen, fühlte er sich jetzt einfach wohl. Hier bei Monika war er angekommen. Mit ihr wollte er alt werden.
Christian räumte seine Arbeitsmaterialien zusammen, brachte den Müll nach draußen in die Tonne und begab sich auf den Heimweg. Nachdem er geduscht hatte, setzte er sich ins Auto und fuhr zum Bäcker. Dort ließ er sich ein paar belegte Baguettes einpacken. Wieder zuhause angekommen, schnippelte er noch Gurke, Melone und Tomaten in mundgerechte Stücke und packte alles zusammen mit ein paar Weintrauben in eine Kühltasche. Im Kühlschrank vorgekühlte Getränke ergänzten seine Proviantbox. Der Blick auf die
Uhr zeigte ihm, dass Monika jeden Moment kommen musste. Flink stopfte er noch die Handtücher und die Badesachen in die Sporttasche, als er auch schon Monikas roten Mini um die Ecke biegen sah.
»Da bist du ja!«, begrüßte er sie erfreut. »Wirf dich rasch in ein paar zivile Klamotten, dann können wir los.« Das Sommerkleid, was sie im Büro trug, war zwar hübsch, aber für ein Picknick am Wasser nicht so optimal.
»Dann werde ich mich mal deiner Kleiderordnung anpassen«, entgegnete sie mit Blick auf Christian, der in Shorts und Muskelshirt vor ihr stand. Sie überlegte gar nicht lange und griff zu dem Top und dem Rock vom Vortag. Um sich ins Gras zu setzen, waren die Sachen noch gut. Während sie sich umzog, hatte Christian schon die Kühlbox und die Tasche in den Mini getragen.
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