1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 »Wir können jedenfalls bei Annahme eines Unfalls - und danach sieht es ja aus - nicht so lange warten, bis unserem Finanzminister einfällt, zur Sanierung seines Haushalts Eintritt für die Show Erleben Sie unsere Polizei in Aktion zu fordern. Also?«
»Heben Sie auf.«
»Gut, ich sorge für den Beschluss und Sie lassen die Rentner vor Ort von der Leine.«
»Jawohl, Herr Oberstaatsanwalt.«
»Sehr schön. Und dann hätte ich noch gerne gewusst, ob Sie - post investigativum - eine eigene Meinung zum Geschehen haben?«
Reineking beschlich Unbehagen. Er verspürte eine starke Abwehr dagegen, eine Meinung zu äußern, die nicht durch Anhaltspunkte belegt war. Auch witterte er eine Falle.
»Es ist schwer«, begann er zögernd, »in diesem Augenblick auch nur einen Verdacht auszusprechen. Es gibt keinerlei Hinweise, die in eine bestimmte Richtung deuten. Das Opfer ist nicht identifiziert, wir haben keine Ahnung, wie es zum Denkmal gekommen und warum es dort verbrannt ist. Auch die Düsseldorfer Kollegen haben trotz anfänglichen Optimismus letztendlich kapitulieren müssen.«
»Wenn man Sie so hört, sieht man das UFO, aus dem das Bein dem Kaiser vor die Stiefel geschmissen wurde, direkt vor sich«
»Derartige Geschichten können leicht entstehen, wenn wir jetzt nicht vorsichtig genug sind.«
Wieder eine kurze Pause, dieses süffelnde Schmatzen, als wenn von Vennebeck genüsslich nachschmeckte.
»Ja, da haben Sie wohl recht, Herr Hauptkommissar. Wir sollten alles, was zur Entstehung von Gerüchten beitragen kann, tunlichst vermeiden, wobei, ich gebe es gerne zu, mir die ganze Geschichte wie ein Bilderbuch ohne Bilder erscheint. Sie hatten ja bereits die Presse vor Ort, und ich denke, eine Erklärung müssen wir uns schon einfallen lassen.«
»Tut mir leid, zurzeit habe ich keine, und mehr kann ich im Augenblick nicht sagen.«
»Mit anderen Worten, wir stehen vor einem kriminalistischen Rätsel?«
»Nur vorübergehend, denke ich.«
Von Vennebeck schwieg. Reineking klopfte sich mit der linken Hand eine Zigarette aus der Packung. Durch das Fenster des Dienstbusses sah er einen Trupp Schutzpolizisten über die Auffahrt zum Denkmal gehen. Dahinter stampfte klein und unter einem breitkrempigen Hut verborgen, Termöhlen schwerfällig heran.
»Na gut«, sagte von Vennebeck, »Sie halten mich auf dem Laufenden. Wann erwarten Sie die endgültigen Laborergebnisse?«
»Morgen telefoniere ich mit den Düsseldorfern.«
»Na gut, informieren Sie mich bitte umgehend. Ich bin kein Rätselfreund, ich bin ein Rätselfeind, verstehen Sie?«
»Ich verstehe«, sagte Reineking, drückte die Austaste und zündete sich die Zigarette an.
Termöhlen erreichte schwer atmend den Bus.
»Ich habe den Mitschnitt der Anzeige von der Wache mitgebracht«, sagte er und stellte einen silberfarbenen Kassettenrecorder auf die Sitzbank. »Ich muss schon sagen, dass das ziemlich abartig ist, dass da einer so was mitkriegt und sich einfach dünne macht. Ich sag dir, diese Leute kannst du echt in der Pfeife rauchen! Nicht die Spur von Verantwortungsgefühl, nur noch der blanke Egoismus, und ´n Mädchen war das auch noch!«
Termöhlen kletterte in den Wagen und warf sich kopfschüttelnd auf eine Sitzbank. Er schaltete den Rekorder ein. In das Rauschen des Bandes platzte zunächst die klare Stimme des Dienst tuenden Pultbeamten mit der Standortmeldung, wurde unterbrochen von der sich überschlagenden einer Frau, in der Entsetzen und - wie Reineking fand - auch Angst mitschwangen.
»... die Polizei? Habe ich die Polizei?«
»Ja, die Polizei. Was kann ich für Sie tun?«
»Der brennt, Sie müssen sofort kommen, sofort, der steht in vollen Flammen, der verbrennt ...!«
»Bitte nennen Sie Ihren Namen und den Ort, an dem Sie sich befinden.«
»Scheiße, das ist hier am Denkmal!«
»Sie müssen mir bitte sagen, wo genau und an welchem Denkmal Sie zu finden sind!«
»Hier oben, hier am Denkmal von dem Wilhelm, da ist das.«
»Das Wilhelmdenkmal in Barkhausen also?«
»Genau.«
»Und Sie sagen, das Denkmal steht in Flammen?«
»Scheiße nein! Der Mann, nicht das Denkmal! Der Typ, der hier raufgelaufen is! Und der schlug plötzlich um sich und dann schrie er und brüllte und liegt jetzt da oben und verbrennt ... Das ist keine Verarsche, das ist so wie ich sage ... Halt doch mal die Schnauze, verdammt noch mal, ich sag doch schon! Sie müssen jemand schicken, weil ... ich sag, das ist keine Verarschung, der brennt, der verbrennt ...« Ein polterndes Geräusch, ganz dünn: »Scheiße noch mal, jetzt ist ...«
Der Wachhabende in der Zentrale: »Also am Wilhelmdenkmal sind Sie, und es ist nicht das Denkmal, das brennt ... Hallo, hören Sie mich? Hallo? Sind Sie noch da? Hallo, bitte melden Sie sich...« Das Rauschen des Bandes. Der Wachhabende: »Ich glaube, da ist nichts mehr ...«
»Verstehst du?«, fragte Termöhlen. »Einfach abgehauen, obwohl da einer lichterloh brannte und um sein Leben kämpfte.«
»Spule zurück und lass es noch mal laufen«, bat Reineking.
Termöhlen bediente mit verbittertem Gesicht das Gerät. Die Stimmen erklangen erneut.
»Angst«, sagte Reineking, »blanke Angst, geradezu Panik. Vielleicht konnte sie nicht helfen, weil das, was sie in Angst und Schrecken versetzte, ihr gefährlich werden konnte. Geh noch mal bis an die Stelle, wo der Kollege bestätigt haben will, dass das Denkmal in Flammen steht.«
»Der muss auch nicht ganz dicht gewesen sein«, sagte Termöhlen. »Die hat doch ganz klar gesagt, dass es der Mann brannte.«
»Überlege mal, wenn dich solch ein Anruf kalt erwischt!«
»Kann ja sein«, lenkte Termöhlen ein und drückte erneut die Wiedergabetaste.
Die Stimme des Beamten. Dann die der Frau.
»Stopp!«
Termöhlen hielt das Band an.
»Als wenn sie gehindert worden wäre!«
»Ja. Aber vorher schreit sie ohne erkennbares Motiv: Halt die Schnauze, verdammt noch mal, ich sag es doch schon! - Wem sagt sie das?«
»Mich hat das auch gewundert, dass sie plötzlich so aggressiv geworden ist.«
»Aber wem sagt sie das?«
»Frag mich was Leichteres.«
»Der Beamte in der Wache hat ihr keinerlei Anlass geboten, sich in der Weise zu äußern, ihn meinte sie meines Erachtens auch nicht. Halt die Schnauze, verdammt noch mal, ich sag es doch schon! - Das klingt, als wenn sie nicht alleine ist, ich meine, war, als wenn da jemand neben ihr gestanden hätte, einer, der sie in irgendeiner Weise gestört hat. - Geh noch mal zurück!«
Sie hörten das Band noch dreimal in der Hoffnung ab, eine Bestätigung der Vermutung zu finden.
»Du hast recht«, sagte Termöhlen nickend, »da ist noch jemand, der ihr was zu verstehen geben will.«
»Er mischt sich ein.«
»Und sie will das nicht! Deshalb die plötzliche Aggression.«
»Eindeutig dem Begleiter, nicht dem Wachhabenden gegenüber.«
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