1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 »Der muss sich auch was gefragt haben.«
»Aber sie hat echte Angst.«
»Nicht, als sie das so heftig sagt, ich meine, dem oder der anderen gegenüber.«
»Genau. Diese Person ist nicht die Quelle ihrer Angst. Das ist das andere, vielleicht der Brennende oder der ihn in Brand gesetzt hat.«
»Sie muss mitgekriegt haben, wie das passiert ist, und sie muss den Täter gesehen haben.«
»Aber sie erwähnt ihn nicht. Warum, wenn sie ihn gesehen hat?«
»Angst lähmt, Ulli. Und sie ist eine junge Frau, sie ist durchgedreht und fix und fertig.«
»Das ist sie eben nicht!«
»Natürlich ist sie im Eimer! Der ganze Text ist reine Panik, das hast du vorhin doch selbst gesagt!«
»Sie hatte den Nerv, die Polizei anzurufen, zwar hektisch, aber überlegt. Und diese aggressive Phase, als sie die Begleitperson - nehmen wir an, sie hatte eine - anpfiff, zeigt, dass ihr Zorn zumindest in diesem Augenblick die Angst überwog. Also hatte sie sich unter Kontrolle. Daraus ist zu folgern, dass sie nicht um sich selbst, um ihre Sicherheit fürchtete. Wäre die gefährdet gewesen, hätte sie wahrscheinlich nicht unter den zu diesem Zeitpunkt herrschenden Bedingungen bei der Polizei angerufen.«
»Die Täter müssen sie ja nicht gesehen haben«, sagte Termöhlen wenig überzeugt.
Reineking tippte sich an die Stirn.
»Ich danke dir für deinen konstruktiven Widerspruch, aber ich denke, bei dem Geschrei wären die ganz sicher auf sie aufmerksam geworden.«
»Nicht, wenn sie weit genug weg gewesen ist.«
»Hier oben gibt es kein Weit-genug-weg, hier kriegst du mit, wenn einer so schreit.« Er deutete nach draußen auf den Vorplatz. »Wo willst du hier weit genug weg sein?«
»Dann bleibt als Schlussfolgerung, dass die Täter bereits abgezogen waren.«
»Genau.«
Reineking stieg aus dem Bus und betrachtete den Vorplatz. Neben der linken der beiden Treppen, die zu den oberen Plattformen und letztlich zum Kaiser unter dem steinernen Baldachin führte, stand ein rostender Anhänger, auf dem ein verzinkter, langer Tank angebracht war. Dessen vordere Felgen leuchteten rot in der Sonne. Die hinteren waren blaugrau gestrichen. Rote Schläuche hingen am Heck herab. Offenbar diente das Gefährt den Bauarbeitern als Wasserreservoir.
»Von hier aus«, sagte Reineking und deutete auf das hohe Bauwerk des Baldachins, unter dem das Kaiserdenkmal und daneben ein hohes, mit hellgrünen Plastiknetzen verhängtes Baugerüst zu sehen war, »ist es unmöglich, das Podest des Denkmals zu sehen. Es geht zu steil nach oben. Da hinten, wo der Tankwagen steht, sieht es anders aus. Wenn du ihm gegenüber irgendwo an der Umfassungsmauer bist, kannst du die linke Treppe, das Absperrgitter vor dem Denkmal und die Seite des Sockels sehen, an der unser Opfer verbrannt ist. Von dort aus hast du auch einen relativ freien Blick über den Vorplatz. Und dort hinten, vielleicht hat sie auf einer der Ruhebänke gesessen, muss die junge Frau postiert gewesen sein und das Geschehen beobachtet haben. Und zwischen ihr und dem Sockel oben muss unser Opfer mit irgendwas überschüttet und entzündet worden sein.«
Er setzte sich in Bewegung. Termöhlen folgte ihm nach kurzem Zögern, nutzte die Gelegenheit, sich eine Zigarette anzuzünden. Sie passierten auf knirschendem Split den Tankanhänger, hielten sich dich an der Begrenzungsmauer, hinter der sich der Blick in das Wesertal öffnete.
»Hier etwa«, sagte Reineking und blickte nach oben auf das Denkmal, »von hier aus haben wir den freien Blick. Das muss ihre Position gewesen sein. Siehst du?«
Termöhlen sog an der Zigarette. »Für einen Brennenden ein verdammt langer Weg«, sagte er düster. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das schaffen konnte. Der sieht nichts mehr, der hat irrsinnige Schmerzen, er ist dem Wahnsinn nahe ...«
»Es hat keinen Sinn zu spekulieren. Wir müssen die Zeugin finden.«
»Wer macht so was? - Nazis?«
»Wieso müssen es immer Nazis sein?«
»Wegen der ins Auge springenden Symbolik. Die schnappen sich einen, jagen den hier hoch, zünden den an und hoffen, weil es ja ein echtes deutsches Symbol ist, auf das entsprechende Echo.«
»Umgekehrt kannst du es genauso konstruieren.«
»Dass das ein Nazi war, den sie ...«
»... oder ein gehörnter Ehemann, der ...«
»Ach Scheiße!«
»Aus einer Telefonzelle hat sie jedenfalls nicht telefoniert.«
»Nee, die einzige steht unten am Restaurant.«
»Also?«
»Heutzutage kommen die Kinder schon mit ‚nem Handy am Ohr auf die Welt.«
»Das ist unsere Chance!«, sagte Reineking und ballte die rechte Faust.
»Das heißt, wir müssen jeden Anrufer überprüfen, der hier in der Gegend telefoniert hat!«
»Das machen die Computer. Wir haben die Uhrzeit. Wir wissen, dass es sich um eine Frau handelt. Der Stimme nach um eine jüngere. Und so viele Frauen werden gestern spät abends nicht vom Denkmal aus angerufen haben. Ich denke, das lässt sich relativ einfach eingrenzen.«
»Wenn wir da mal nicht wieder eine Überraschung erleben«, sagte Termöhlen.
»Das sehen wir dann«, sagte Reineking. »Jetzt leiten wir die Anfrage bei den Telefongesellschaften ein. Ganz sicher verlangen die Betreiber entsprechende gerichtliche Anordnungen, aber die kriegen sie notfalls nachgereicht. Dann müsste allerdings unser allseits beliebte Dr. von Vennebeck eingeschaltet werden. Ich denke, das übernehme ich selbst. Schalte dich bitte mit Wehner zusammen. Er müsste irgendwo auf dem Gelände zu finden sein, und arbeite mit ihm die Absuchergebnisse auf. Wäre nett, wenn ich das morgen auf dem Schreibtisch hätte.«
Termöhlen verzog wie unter Schmerzen den Mund.
»Muss das mit dem sein?«
»Was hast du gegen Wehner?«
»Eigentlich nichts, aber ... in letzter Zeit tickt der nicht mehr richtig. Ich glaub, der ist anders rum.«
»Was meinst du mit anders rum?«
»Der ist ´ne Tunte, verdammt noch mal! Beobachte den mal richtig wie der mit dem Arsch wackelt!«
»Er ist verheiratet.«
»Glaubst du, ich sag das nur so? Er ist gesehen worden. Mit Puppenjungen. In einschlägigen Lokalen.«
»Das ist ganz alleine sein Bier, solange er dir nicht an die Eier geht! Und außerdem, was soll die Denunziererei?«
Termöhlen hob erschreckt die Hände. »Entschuldige«, sagte er, »so habe ich das nicht gemeint. Ich habe ja auch nichts gegen ihn, es ist mir nur unangenehm und ... Tut mir leid, wirklich, es tut mir leid.«
»Vergiss es. Kriegt ihr die Sache bis morgen früh hin?«
»Das wird zu schaffen sein.«
»Na fein. Gleich wird das Gelände wieder von Touristen überschwemmt. Trotzdem sollten wir weiter nach einem Fahrzeug suchen, mit dem unser Mann hier heraufgekommen sein könnte. Vielleicht ist er ja tatsächlich, wie du vermutest hast, mit Fahrrad, Moped oder Motorrad hergekommen. Dann allerdings könnte er von den Leuten, die unten an der Straße wohnen, beobachtet worden sein. Die ungefähre Zeit haben wir ja. - Wie spät ist es?«
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