»Der Mann?«
»Ja. Er hat mich geschlagen, dabei weiß ich wirklich nicht, wo Flor ist.«
»Und dieser Mann hat gesagt, er sei für die Presse oder das Fernsehen tätig?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Am Telefon haben Sie das behauptet«, sagte Jakob.
»Ach, dann waren Sie das, der angerufen hat?«
Er nickte. Sie deutete auf einen Stuhl.
»Darf ich mich setzen?«
»Es ist Ihre Wohnung, nicht wahr?«
Sie nahm am Tisch Platz, zündete sich eine Zigarette an.
»Florian hat das mit dem Fernsehen oder so erwähnt«, sagte sie resigniert. »Nicht konkret, einfach so wie zwischen den Zeilen. Dass er einen guten Kontakt hätte, und dass bald alles in Ordnung wäre. Mit Geld, mit allem, keine Sorgen mehr. Mehr allgemein alles. Er hat sich ja nie richtig in die Karten gucken lassen, immer ein Geheimnis daraus gemacht. Aus allem.«
»Wieso glaubte er, von denen Geld bekommen zu können?«
»Ich weiß es nicht, ich glaube, er war auf was gekommen, auf eine große Sache, die viel Geld wert sein sollte.«
»Denken Sie nach!«
Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Er hat doch aus allem ein Geheimnis gemacht. Erst mit diesem Esoterikkram, dann sogar aus sich selbst.«
»Was heißt das?«
Ihre Schultern bewegten sich nach oben. »Dass er Macht gewinnen würde und all dieser Kram ... Genaues kam ja nie von ihm ‚rüber...«
»Was wissen Sie von ihm?«
»Nicht viel«, sagte sie, den Rauch ausstoßend, »so gut wie nichts, wenn ich ehrlich bin. Er hat sogar geschwiegen, als er seine Stellung verloren hat. Erst als dieser Mensch vom Jobcenter auftauchte und ihn hier sprechen wollte, kriegte ich davon mit. Und dass er Stück für Stück unsere Sachen verschleudert hat, das weiß ich jetzt auch. Wo es zu spät ist«, fügte sie bitter hinzu. Sie strich sich über den Unterleib. »Mich stellte ja auch keiner mehr ein, aber er hätte es mir rechtzeitig sagen können, dann wäre vieles besser gelaufen, keine Verzweiflung, keine verdammten Lügen und nicht diese vergeblichen Hoffnungen, endlich mal sorgenfrei leben zu können.« Ihre Blicke richteten sich auf ihn. »Warum suchen Sie ihn? Was hat er Ihnen getan?« Sie deutete auf seinen durchbluteten Halsverband. »War er das?«
Jakob ignorierte ihre Fragen.
»Wie sah der Mann mit dem großen Gesicht aus? Die Haare, seine Statur? War er schlank, war er dick, wie bewegte er sich, wie sprach er?«
»Ich kann so schlecht beschreiben und behalten kann ich auch nichts.«
»Hatte er Ihre Größe?«
»Viel größer, noch größer als Sie. Wie ein Bär.« Sie strich sich über die geschundene Wange. »Dicke Pranken und dicke Lippen, und langes Haar. Er war total nass.«
»Augen?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, sie waren irgendwie grün oder gelb, ich weiß es einfach nicht mehr, weil er mich so erschreckte, und ich hatte Angst, dass ich das Kind verliere.«
Von den Fragen, die ihr der »Bär« gestellt hatte, waren ihr so gut wie alle entfallen. Gesprochen hatte er »wie hier alle sprechen«, sie war überzeugt, er sei aus der Gegend gewesen, ein Jemand, der seine Worte zu setzen verstand, ein Intellektueller, »voll von Jähzorn«, und mit einem Schlag, der noch immer in ihrem Gesicht brannte. »Und«, fügte sie, in sich hineinhorchend, hinzu, »er hat gedroht, Florian wegen Täuschung und Betrug vor Gericht zu bringen.«
»Das ist alles?«
»Wirklich und wahrhaftig.«
»Deskin hat auch nicht angerufen?«
»Wirklich und wahrhaftig nicht!«
»Ich bemühe mich, Ihnen zu glauben«, sagte Jakob. »Ich werde irgendwann nachfragen, und ich hoffe, Sie werden dann genau so kooperativ sein.«
»Warum suchen Sie ihn eigentlich?«
»Der Bär hat es richtig beschrieben: Deskin hat betrogen - ihn, sich selbst und - das ist der Grund seiner ewigen Verdammnis – die Allmacht.« Jakob presste die Lippen zusammen, schien die Haltung zu verlieren, kämpfte und fasste sich schnell wieder. Wie nebenbei und mit einem Blick auf die gereizte Wange des Mädchens: »Warum hat der Bär Sie geschlagen?«
»Er glaubte mir nicht. Und ich habe ihn angeschrien, dass er mich in Ruhe lassen solle, und dann hat er wütend zugeschlagen.«
»Das tut mir leid.«
Sie schwieg. Jakob betrachtete sie einige Sekunden lang aus weit offenen Augen, nickte kaum merklich und ging zur Tür. Die Hand an der Klinke blieb er stehen.
»Beten Sie«, sagte er sanft, »beten Sie für ihn. Und auch für Ihr Heil.«
Dann riss er die Tür auf und verließ die Wohnung.
Schon als Kind hatte Reineking die Menschen bewundert, die zu wichtigen oder unwichtigen Anlässen die richtigen Worte und damit den Beifall der Autoritäten fanden. Das Schlimme war, er kannte die Regeln aus dem ff, aber er begriff sie nicht in ihrem Wesen. Fast immer hatte er das Gefühl, Hohles, Doppelbödiges oder Unaufrichtiges zu sagen, wenn er sich einer der Serienfloskeln bediente. Auch jetzt, dem Oberstaatsanwalt gegenüber, den er aus dem Leitbus anrief, war er unfähig, eine entschuldigende Phrase anzuwenden.
»Reineking, Sie wollten mich sprechen«, sagte er, nachdem der Oberstaatsanwalt sich schnaufend gemeldet hatte.
»Ach, den Eindruck hatten Sie? Das rührt mich aber tiefstens! Dass Sie sich meiner überhaupt erinnert haben, wird meine Dankbarkeit über mein Ableben hinaus prächtig gedeihen lassen.«
»Wollen Sie Streit oder Informationen?«
Von Vennebeck schnaufte.
»Nun ja, vergessen wir ‚s für den Augenblick. Wie weit sind wir denn? Können wir diese von Ihnen geforderte Geländesperre endlich aufheben? Da braut sich nämlich eine Menge Unmut in Besucherkreisen auf, und beim zuständigen Amtsrichter, dessen Telefon angeblich zum Folterinstrument verkommen ist, erst recht. Mir wurde gesagt, dass einige Dutzend Busse den unteren Parkplatz blockieren und der erste deutsche Rentneraufstand zu befürchten sei.«
»Die Sache mit den Bussen trifft halbwegs zu, obwohl von Aufstand keine Rede sein kann.«
»Was fanden Ihre so heiß ersehnten LKA-Leute heraus?«
Reineking berichtete im Telegrammstil.
»Na, da scheinen Sie ja mal Recht gehabt zu haben«, sagte von Vennebeck. »Sie auch noch recht hoffnungsvoll aus, wenigstens für die gestressten Denkmalenthusiasten! Oder, mein lieber Herr Hauptkommissar, behindert etwa eine den Genialhirnen entatmete Konklusion die Aufhebung der den Tourismus behindernden Sanktion?«
Ein zartes Schmatzen drang an Reinekings Ohr. Möglicherweise genoss der Oberstaatsanwalt nicht nur die Situation, sondern auch irgendeine alkoholische Delikatesse, deren Gaumenreize seine Sprache vielleicht auch deshalb in leichten Trab versetzte, weil ihm die geneigte Assessorin zur Seite saß. Ganz in der Rille schien der Vorgesetzte ihm jedenfalls nicht zu sein.
»Mit der Geländeabsuche sind wir zwar noch nicht durch, aber, nein, eigentlich gibt es keinen Grund, die Sperre aufrecht zu erhalten«, sagte er vorsichtig.
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