»Es tut mir leid.« Jeremey zog die Schultern nach oben und richtete seinen Blick fest auf den Boden. »Das war eine dumme Frage.«
Ich hasste es, dass Jeremey so oft sagte, dass er dumm war. »Es ist eine gute Frage. Ich hab versucht, darüber nachzudenken, ob es funktionieren würde. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir Mitbewohner sein würden.« Ich dachte an die brüllenden, jungen Männer und die öffentlichen, dreckigen Duschen und fing an zu wippen. »Aber ein Wohnheim ist nicht gut für meinen Autismus. Aber die ISU hat Wohnungen, die so ähnlich sind wie ein Wohnheim.«
»Aber wahrscheinlich teuer.«
Das wusste ich nicht. Ich zog mein Handy aus der Tasche und machte einen Vermerk auf meinem Notizzettel, damit ich mich später nach den Wohnungen erkundigen konnte. »Ich müsste mit meinen Eltern reden. Das Problem ist, dass ich nicht gut darin bin, mir all die Dinge zu merken, die man in einem Haus machen muss. Und Mom sagt, dass es schwierig wird, die ganze Zeit zu kochen. Aber ich glaube, der Frederiksen Court hat einen Speiseraum auf dem Gelände.« Ich summte ein wenig, während ich versuchte, mir alles vorzustellen. Eine nette, ruhige Wohnung mit Jeremey.
Ich könnte ihn auf der Couch küssen. Wenn sich herausstellen sollte, dass er auch schwul ist. Und wenn er mit mir ausgehen und nicht nur beste Freunde sein wollte.
»Ich frage mich, ob in diesen Wohnungen viele Partys gefeiert werden. Das wäre sicher nicht gut für deinen Autismus. Oder für mich.«
Nein. Partys wären schrecklich. Ich summte und wippte stärker. Das war ein kniffliges Problem. Ich würde darüber nachdenken und ein wenig recherchieren müssen – aber ich wollte, dass es funktionierte.
Während ich so dasaß, summte und wippte, ging eine Gruppe junger Männer vorbei und ich hörte einen von ihnen murmeln: »Verdammte Freaks.«
Ich schloss die Augen, damit ich mich darauf konzentrieren konnte, meine Wut zu kontrollieren.
Ich verstand, dass ich nicht um mich schlagen konnte, wenn mich jemand beschimpfte. Hin und wieder passierte es, wenn ich mit Jeremey unterwegs war, und es ärgerte mich. Ich hasste es, mich nicht vor meinem besten Freund verteidigen zu können, von dem ich wollte, dass er mein fester Freund wurde. Es frustrierte mich, machte mich wütend und verlegen.
»Was für Arschlöcher«, sagte Jeremey.
Durch das Wissen, dass er sie ebenso hasste, fühlte ich mich besser. »Ich hätte nicht wippen und summen sollen. Deswegen haben sie was gesagt.«
»Warum solltest du nicht wippen und summen? Du hast nachgedacht. Das hilft dir. Die Menschen haben die ganze Zeit lustige, kleine Macken. Was ist so schlimm an deinen?«
All meine Gefühle wallten auf. Es waren gute Gefühle, aber manchmal machten sie es mir noch schwerer, zu reden. Wäre ich mit meiner Familie zusammen gewesen, hätte ich eines meiner Zeichen gegeben, aber ich hatte sie Jeremey noch nicht gezeigt. Also holte ich mein Handy hervor. Es schien ihn nie zu stören, wenn ich ihm eine Nachricht schickte, anstatt laut mit ihm zu sprechen.
Jeremey, hier ist Emmet. Du bist ein wundervoller Freund. Danke.
Jeremey lächelte, als er die Nachricht las und er beugte sich zu mir, als würde er seinen Kopf an meine Schulter legen wollen. Ich erstarrte, weil ich nicht wusste, ob ich das wollte. Ehe ich mich entscheiden konnte, setzte er sich jedoch ruckartig wieder auf. Er schrieb zurück.
Hier ist Jeremey. Du bist auch ein wundervoller Freund. Ich rede mit meinen Eltern über die Wohnung. Das wäre großartig, wenn es klappen würde. Aber mach es nicht, wenn du der Meinung bist, dass es schlecht für deinen Autismus ist.
Normalerweise hatte ich kein Problem mit meinem Autismus, aber in diesem Moment hasste ich ihn. Ich konnte nur daran denken, dass ich zusammen mit Jeremey im Wohnheim sein könnte, wenn ich nicht autistisch wäre. Das war verkehrte Logik, denn wenn ich keinen Autismus hätte, wäre meine Familie nicht in eine andere Stadt gezogen, um bei mir zu sein, während ich aufs College ging, und damit hätte ich auch Jeremey niemals kennengelernt. Ich würde auch nicht ich sein.
Aber es war nicht fair, dass Autismus es so schwer machte, mit Jeremey zusammenzuwohnen.
Als ich meine Mom nach der Wohnung fragte, trug ich mein Stitch-T-Shirt. Das war mein Code dafür, dass mir die Frage sehr wichtig war.
Ich habe Zeichen und Codes, die ich mit meiner Familie benutze. Feinheiten in der Sprache kann ich nicht immer verstehen und Gesichtsausdrücke sind für mich unmöglich zu lesen und Mom sagt, dass Unterhaltungen an dieser Stelle für gewöhnlich stecken bleiben. Sie sagt, dass das Internet deshalb so voller Missverständnisse ist. Ich komme im Internet eigentlich gut klar, aber das liegt vielleicht daran, dass ich mich nicht auf verbale oder sichtbare Zeichen verlasse, wenn es um das Verstehen geht.
Wenn ich im richtigen Leben mit Menschen spreche, erwarten sie von mir, dass ich mich wie eine Person ohne Autismus verhalte, und Mom sagt, dass sogar sie manchmal vergisst, es nicht vorauszusetzen. Deshalb haben wir den Code ausgearbeitet. Ich habe T-Shirts, die unterschiedliche Dinge bedeuten, und wenn ich sie trage, wissen alle, dass ich etwas sehr intensiv empfinde. Wir haben Handzeichen, damit Mom mir in der Öffentlichkeit signalisieren kann, dass ich mich unhöflich verhalte und sie hält mich auf, damit ich nicht jeden aus Versehen wütend mache. Wenn ich überfordert bin, fällt mir das Sprechen manchmal schwer, also haben wir alle vor langer Zeit die amerikanische Zeichensprache gelernt, die wirklich sehr praktisch ist. Jeder sollte sie als Zweitsprache lernen, wirklich.
Auf meinem Stitch-T-Shirt steht Ohana heißt Familie, Familie heißt, dass alle zusammenhalten und füreinander da sind. Ich trage dieses T-Shirt, wenn ich über etwas sprechen möchte, das mir wichtig ist. Als ich sie in unsere Rede-Sessel im Wohnzimmer setzte und sie das T-Shirt sah, sagte sie nicht, dass sie es für keine gute Idee hielt, eine eigene Wohnung zu haben. Sie erinnerte mich auch nicht daran, wie das Wohnheim gewesen war. Stattdessen sagte sie: »Erzähl mir, warum das für dich wichtig ist, Emmet.«
Ich hatte meine Gründe auf Karteikarten geschrieben und in meinem Zimmer geübt und ich hatte sogar ein Essay geschrieben, das ich ihr vorlesen oder überreichen konnte, aber ich wollte ihr zeigen, wie sehr ich mich bemühte, und wählte stattdessen den Redeweg.
»Jeremey ist mein bester Freund. Er hat Angst davor, aufs College zu gehen, aber seine Eltern zwingen ihn. Ich glaube, seine Depression ist genauso nervös darüber, in einem Wohnheim zu sein, wie mein Autismus. Außerdem glaube ich, dass er einen Angstgehirnoktopus hat, von dem er nichts weiß. Und ich möchte mit ihm in einer Wohnung leben, wie ein ganz normaler Collegestudent. Auf dem Frederiksen Court gibt es eine Kantine und einen eigenen Supermarkt. Es ist der perfekte Ort für uns, um in unsere Selbstständigkeit zu starten.«
»Liebling, haben sie spät im Jahr noch freie Plätze?«
Ich wusste es nicht und machte mir deswegen Sorgen. Wir würden eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern für zwei Personen brauchen und auf der Website hieß es, dass diese Wohnungen sehr begrenzt waren. Sie hatten das Wort sehr in Großbuchstaben und kursiv geschrieben, also war es ihnen ernst. »Mom, ich muss das tun.«
»Das verstehe ich. Unglücklicherweise richtet sich die Welt nicht immer nach dem, was wir wollen.« Sie rieb über ihren Oberschenkel, als sie sich zurücklehnte. »Das ist eine schwierige Situation, Schatz. Ich bin nicht sicher, ob du für eine normale Wohnung bereit bist, selbst auf dem Campus. Du arbeitest hart und bemühst dich, aber wenn du von etwas frustriert bist, brauchst du schnell Hilfe. Wir würden unser Bestes geben, dich zu unterstützen, aber es ist nicht so einfach, wenn du nicht mehr mit uns unter einem Dach wohnst. Vielleicht können wir mit deinem Dad reden, endlich den Keller in eine Wohnung umzubauen.«
Читать дальше