1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Bestimmt meinte er nicht so ein Date.
Außer vielleicht doch. Der Gedanke brachte mich ganz durcheinander und ich fühlte mich schwer, sodass ich ihn einfach zur Seite schieben musste.
Dann erschien seine Mutter mit einem Tablett, auf dem zwei Teller und zwei Gläser Wasser standen. Emmet nahm seinen Teller und ein Glas vom Tablett und überließ es seiner Mutter, mich zu bedienen, wofür ich mich bedankte.
»Gern geschehen.« Sie lächelte mich an und reichte mir die Hand. »Hi. Ich bin Marietta Washington. Es freut mich, dich kennenzulernen.«
Ich schüttelte ihre Hand. »J-Jeremey. Freut mich auch.«
Ihr Gesicht war lebhaft und hell, wohingegen Emmets ruhig war. »Wenn du etwas brauchst, sag einfach Bescheid.«
»Mom, geh weg. Ich möchte mit Jeremey allein sein.«
Seine Unhöflichkeit irritierte mich, aber Marietta ging locker damit um. Sie wandte sich an Emmet und streckte wortlos zwei Finger vor ihm aus.
Er verzog das Gesicht und legte drei Finger an ihre.
»Ich bin drinnen, falls einer von euch etwas braucht«, sagte sie und ging zurück ins Haus.
Emmet wippte auf seinem Stuhl und starrte auf die Sonnenschirmkurbel. »Möchtest du essen oder weiterreden?«
Ich war verwirrt. »Können wir nicht beides machen?«
Emmet schüttelte den Kopf. »Nein. Getrennt ist besser. Ich möchte weiterreden, aber es ist unhöflich, einen Gast vom Essen abzuhalten. Ich kann warten, wenn du Hunger hast.«
»Reden ist in Ordnung«, sagte ich. Ich hatte überhaupt keinen Hunger.
Emmet wirkte noch immer aufgewühlt. »Ich wünschte, sie hätte mir geschrieben. Die Unterbrechung kam unerwartet. Ich wollte dir noch weitere Fragen über Depressionen stellen und wie es ist, Angst zu haben.«
Ich blinzelte. »Das wolltest du? Ich meine, du möchtest?«
»Ja. Ich möchte alles über dich wissen. Damit ich keine Fehler mache.«
Tja. Das war… pragmatisch. Nachdenklich lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück. »Darf ich dich etwas über deinen Autismus fragen?«
Er lächelte. Nicht breit und auch nicht lange, aber es war da. Die Geste nahm mich gefangen.
»Ja. Du darfst immer Fragen über meinen Autismus stellen. Dann weißt du es. Wissen ist wichtig.« Sein Wippen wurde sanfter. Es ließ mich glauben, dass es sein glückliches Wippen war. »Aber ich habe dir schon einige Dinge über Autismus erzählt. Jetzt bist du dran, mir etwas über Depressionen zu erzählen. Heute Morgen habe ich meine Recherche darüber aufgefrischt. Es ist faszinierend, aber es scheint nur wenige bestimmbare Fälle zu geben, was eine Behandlung schwierig macht. Welche Medikamente nimmst du?«
»Ich nehme gar keine Medikamente. Sie haben darüber gesprochen, aber… Ich nehme im Moment nichts.«
»Es gibt viele verschiedene Sorten, aber einige Nebenwirkungen sind wirklich schlimm. Es ist ineffizient, dass sie durch Ausprobieren das richtige Medikament finden, und dann sind da noch die Rückfälle. Du solltest Sport und Omega-3-Fettsäuren in Betracht ziehen. Meine Mom ist Ärztin. Du kannst ihr immer Fragen über Depressionen stellen, wenn du möchtest. Und gesundes Essen. Das ist alles, was sie essen will. Aber meine Tante Althea ist schlimmer. Sie ist Veganerin. Mom und Althea streiten sich über Paleo und vegane Diäten. Manchmal lassen mein Dad und ich sie streiten und gehen zu Subway, um uns ein Fleischbällchensandwich zu holen und dann sehen wir zusammen The Blues Brothers.«
Ich lächelte, zog jedoch den Kopf ein, um es zu verstecken.
Er wippte weiter sanft hin und her, doch nun wedelte er auch hin und wieder mit den Händen. »Wie fühlt sich eine Depression an? In dem Artikel stand etwas von schlechter Laune und wenig Selbstbewusstsein, aber sie waren nicht sehr konkret. Bedeutet es, dass du die ganze Zeit traurig bist? In dem Artikel stand auch, dass generalisierte Angststörungen und Depressionen häufig gemeinsam auftreten. Hast du auch Angstzustände?«
»Ich… weiß nicht.« Generalisierte Angststörung? Was zur Hölle war das? Ich wollte sagen nein, das habe ich nicht, was auch immer es war. Es war nicht so, dass ich noch etwas finden wollte, was mit mir nicht in Ordnung war, aber es war schwer zu leugnen, dass ich Angst hatte, wenn ich mich in den Schultoiletten versteckte und nervös wurde, wenn ich nur daran dachte, einkaufen zu gehen.
Wahrscheinlich war eine generalisierte Angststörung die Kehrseite einer klinischen Depression. Warum hatte der Arzt nicht danach gefragt? Vielleicht, weil ich ihnen nichts von den Panikattacken erzählt hatte? Falls ich es ihnen erzählt hätte, hätten sie mir dann gesagt, dass ich auch eine generalisierte Angststörung hatte? Würde das bedeuten, dass ich zu verkorkst war und sie mich in eine Einrichtung stecken würden?
Winzige Klauen der Angst gruben sich in mein Gehirn und ich dachte: Ja, du hast definitiv eine generalisierte Angststörung. Du hast beides. Das muss etwas Schlimmes sein.
Ich pulte an dem Brot herum, hauptsächlich, um meine Hände zu beschäftigen. »Ich hatte nicht immer Depressionen. Aber ich war schon immer still. Erst auf der Highschool wurde es schlimmer.«
Ich versuchte, eine Antwort auf Emmets Frage zu finden, wie es sich anfühlte. Die Frage nach der Angststörung steckte ich in eine Kiste in meinem Kopf und verschloss sie gedanklich mit Panzertape. »Depression fühlt sich an, als würde eine Schüssel über dir liegen. Eine Glasschüssel, aus der du hinaussehen kannst, durch die die Welt jedoch weiter weg erscheint. Es fühlt sich einsam und schwer an. Aber manchmal ist die Schüssel wie in den Wolken.«
Ich konnte die Schüssel in meinem Kopf sehen, mich selbst im Glas. »Obwohl ich in der Schüssel bin, kommt alles von außen hinein, zu laut. Ich bin also unter dem Glas, das voller Wolken ist, mit einem Lautsprecher, der alle Geräusche hinein leitet, und die Gerüche und Lichter kommen auch rein. Manchmal sorgen sie dafür, dass ich in Panik verfalle, aber manchmal ist es laut und ich fühle mich einfach nur leer und stumpf. Oder ich fühle überhaupt nichts. Das macht es schwer für mich, mit anderen Leuten zusammen zu sein, aber wenn ich nicht mit ihnen zusammen bin, fühle ich mich noch einsamer.«
Mit ernstem Gesicht beugte sich Emmet näher zu mir. »Du brauchst Menschen, Jeremey. Menschen sind soziale Tiere. Wir werden krank ohne Kontakt.«
Als ob ich das nicht wüsste. Ich liebte diesen Kontakt gerade. Es war seltsam – ich vergaß immer wieder, dass er autistisch war, obwohl es jedes Mal, wenn ich ihn ansah oder mit ihm sprach, offensichtlich war. Größtenteils fühlte er sich jedoch wie jemand an, der nicht von mir genervt war oder sich in meiner Gesellschaft unwohl fühlte. Jemand, durch den ich mich wie eine reale Person fühlte.
Ein Freund.
»Ich bin froh, dass wir Freunde geworden sind.« Sein Blick huschte auf meine Brust.
Ich lächelte ihn an. »Ich bin auch froh, dass wir Freunde sind.«
Emmet wippte sanft. »Ich möchte jetzt mein Bananenbrot essen. Ist es in Ordnung, wenn wir so lange nicht reden, bis wir gegessen haben?«
»Natürlich.« Ich lächelte noch immer. Es war so einfach – er war einfach. Das fühlte sich gut an.
»Wir können weiterreden, wenn wir fertig sind. Ich rede gern mit dir.«
Die angespannten Nerven, die mich seit heute Morgen geplagt hatten, lösten sich langsam, Millimeter für Millimeter. »Mir gefällt es auch.«
Emmet und ich trafen uns nicht jeden Tag, aber wir schrieben immer miteinander. Zuerst kamen die Nachrichten zufällig, aber am dritten Tag fragte er, ob wir unsere Gespräche auf neun Uhr abends festlegen könnten, und er brachte mich sogar dazu, die Sache auf Google Talk zu verlegen, anstatt unsere Handys zu benutzen.
Ich wünschte, du hättest einen iMac oder ein iPhone, schrieb er eines Abends. Die Verbindung von iMessage ist viel besser und wenn du auch Apple Produkte hättest, könnten wir einfacher zwischen dem Computer und Handy hin und her wechseln.
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