»Weiß nicht, nein.« Der Kommissar wirkte verwirrt.
»Dann pack ich es jetzt.«
»Nein, wart noch kurz, bis wir mit dem fertig sind.« Als er die Enttäuschung bemerkte, die er auf ihrem Gesicht auslöste und die es nur noch süßer machte, fügte er hinzu. »Wir haben es in fünf Minuten. Zehn höchstens.«
Die hübsche Sekretärin verschwand, stöckelte demonstrativ laut zu ihrem Platz zurück und raschelte mit der Zeitung: Sie hatte hier nichts mehr zu tun, das waren jetzt Überstunden, die der Staat zu bezahlen hatte.
»Ich hab unser kleines Verhör aufgezeichnet, ich lass das jetzt abtippen, du unterschreibst deine Aussage, und ich füge die kleine Geschichte den Beweisen hinzu.« Er öffnete ein Diktiergerät, das er in seiner offenen obersten Schublade liegen hatte, und wollte die Kassette zu Tina bringen, um sie noch einmal zu sehen und sicher zu sein, dass sie ihm nicht einfach abhaute.
Da sagte Birne: »Und wenn ich nicht unterschreibe?«
»Was du gesagt hast, hast du gesagt. Wenn du nicht unterschreibst, wird dieses Wochenende ungemütlich, dann bleibst du wegen dringendem Tatverdacht hier.«
»Ich bin unschuldig.«
»Das glaub ich dir meinetwegen, aber wenn erst mal ein Verfahren läuft, hast du deine Unschuld zu beweisen mit Alibi und allem Pipapo, was euch Junggesellen schwerer fällt als den anderen. Willst du das?«
»Nein.«
Abraham pokerte, denn er hatte selbst am allerwenigsten Lust auf diesen Idioten und Arbeit mit ihm. Er wollte ihn auf schnellstem Wege abschieben und dann selbst gehen.
»Okay, ich denke, ich kann mich drauf einlassen, wenn du mir versichern kannst, dass ihr den armen Türken nicht umsonst eingesperrt habt.«
»Jetzt hör mal zu: Ich weiß nicht, was die dir erzählt haben, aber ich kann es mir vorstellen. Glaub mir, die würden jetzt alles tun, um ihren Mann wiederzubekommen, du bist denen gerade wurst und maximal noch ein Bauernopfer wert. Ich weiß, was ich tue, ich erledige meinen Job nicht erst seit zehn Jahren, das heißt, wenn ich einen verhafte, dann ist das in 99 von 100 Fällen der Richtige.«
»Ist ja gut.«
»Nein, ich mein nur. Da kommt einer neu in eine Stadt, weiß nicht viel mit sich anzufangen, weil ihm gerade die Frau davon ist, dann lässt er sich einspannen von irgendetwas oder jemand, meint, weil er aus München ist, er sei gescheiter als 60.000 Menschen hier, und meint, er könnte uns von der Polizei die Arbeit abnehmen.«
Irgendwie hatte der Polizist schon recht, das musste Birne zugeben.
»Vielleicht suchst du dir einfach eine Frau, gibt genug hier, auch schöne, du hast eine Fachhochschule vor der Haustür, Mann.«
Er hatte ja so recht.
»Und eines sag ich dir: Wenn ich dich noch einmal erwische, wie du dich in die Angelegenheiten von der Polizei einmischst, dann sorge ich dafür, dass du blutest. Und das meine ich durchaus in der doppelten Bedeutung des Wortes. Freundschaft mit Werner hin, Freundschaft mit Werner her.«
Birne war soeben geschrumpft, hier in Brunos Zimmer. Die hatten ihn ausgenutzt, die hatten ihn zum Affen gemacht. Und der Mann, von dem er zunächst nichts gehalten hatte, war nun der, der ihm die Welt wieder gerade rückte, der ihm zeigte, wie die Uhren hier tickten.
»Du hast recht«, bestätigte er.
»Natürlich.«
Die hübsche Sekretärin schaute noch mal rein in die Stube und wünschte den Herren – und damit auch ihm – ein schönes Wochenende und wollte verschwinden. Als Birne sich wieder Bruno zuwendete, wirkte der eindeutig traurig und enttäuscht. Birne verstand schon wieder was und hatte ebenfalls das Bedürfnis, die Sache schnell zu bereinigen und seinem Stammtischkollegen den Abend nicht zu versauen.
»Warte, Tina«, flehte Bruno und wedelte mit seiner kleinen Kassette. »Kannst du mir diesen Gefallen noch erledigen, ist nicht viel, nur ein paar Minuten.«
»Chef.« Die Sekretärin wirkte wie ein Engel in dem Raum. »Tut mir leid«, sagte sie und verzog dabei ihre frisch nachgeschminkten Lippen zum Niederknien. »Ich kann jetzt bitte wirklich nicht mehr länger warten. Ich habe noch einen Termin im Fitnessstudio, das kostet nicht wenig Geld, und ich will das halt nicht unbedingt verfallen lassen. Ich würd dann gehen, wenn’s geht. Leg’s hin. Ich mach’s am Montag zuerst – versprochen.«
Birne hatte was gut zu machen: »Du, ich denke, wir haben es, ich will dich nicht länger aufhalten, du hast meine Nummer im Geschäft, ruf an, sobald ihr’s habt, ich komm, setz meinen Servus drunter, kein Problem.«
Bruno blickte tatsächlich böse auf ihn unter seinen dunklen Augenbrauen hervor, er überlegte sich noch eine Strafe für Birne und brachte ihn zum Schwitzen. Dann gab er den Gedanken auf. Er wurde ruhig, fast zärtlich sagte er: »Wart, ich bring dich hin.« Und zu Birne: »Wenn du Montagvormittag Zeit hast, dann klären wir das in Ruhe.«
Birne war erlöst. »Muss dann halt gehen. Ich sag meinem Chef, dass ich in einer wichtigen Polizeiangelegenheit weg muss. Dafür wird er Verständnis haben.« Er konnte es sich nicht verkneifen zu der Sekretärin hinüberzwinkern. Sie lächelte ihn an.
»Sag mal, soll ich dich auch noch ein Stück mitnehmen? Wenn ich eh schon fahre?«, fragte Bruno auf einmal großzügig.
»Gern«, nahm Birne an.
Sie brachten die Frau, die sich mit einem kleinen Kuss auf Abrahams Wange bedankte, zum Studio für Frauen und schauten ihr beide verträumt auf den Hintern, als sie ausstieg.
»Tolle Frau«, stellte Birne fest.
»Ja, aber sehr anspruchsvoll. Da muss schon ein besonderer Mann her.«
»So einer wie du?«
»Du, lass mich in Ruh mit den Weibern.«
Birne lachte. »Du kannst mich gleich hier rauslassen, ich hab’s nicht mehr weit.«
»Ich muss in deine Richtung, wir machen das komplett.«
»Wo wohnst du?«
»Waltenhofen.«
»Echt?«
Hinter ihnen hupte ein Auto, weil sie vor einer Ampel standen, die nun grün war.
»Ich fahr ja schon, du Arschloch.« Und zu Birne gewandt fuhr Abraham fort: »Verstehst du, was ich meine?«
»Ein bisschen schon.«
»Du hast ein bisschen Spaß zu zweit, dann lässt sie dich fallen, weil sie einen Arzt findet oder einen Unternehmensberater mit wirklich Geld in der Tasche. Da sind wir kleine Amüsierbrocken zwischenrein.«
»Zweifellos.«
»Mir ist auch die Frau davon und ich habe darüber furchtbar geflucht, aber mittlerweile bin ich ehrlich froh. Mir fehlt gar nichts. Ich schieb ab und zu mal eine Nummer mit einer Barbekanntschaft, und das genügt, den Rest meiner Zeit bin ich der freieste Mann der Welt.«
»Versteh schon«, erwiderte Birne, obwohl er Bruno durchschaute: Er würde gern die kleine Sekretärin haben, doch die zierte sich.
»Du wohnst hier, gell. Ich lass dich jetzt raus.«
»Du, vielen Dank.«
»Gern geschehen. Sauber bleiben, Birne.«
»Na klar.«
Birne stieg aus.
Bruno Abraham fuhr an, als sein Handy furchtbar vibrierte und schreckliche Piepsgeräusche von sich gab. Er nahm es und schaute nach, von wem die SMS kam.
»Heute steht Leibesertüchtigung in meinem Mondkalender, Bär«, stand da und die Nachricht war von Tina.
*
Birne trabte trotzig durch das Sauwetter. Bruno hatte ihn eine Kreuzung zu früh rausgelassen. Alles wurde nass in Sekundenschnelle, sein leichter Kittel war zu dünn für diesen Sturm. Er fühlte sich gereinigt, er fühlte seine Kraft wachsen. Er kehrte durch den Regen zurück nach Hause, wo so viel Schicksal und Prüfung auf ihn warteten, wie noch nie an einem Ort, den er Zuhause genannt hatte.
Er musste niesen und beschloss, einer Erkältung keine Chance zu geben, sich jetzt in ihm breitzumachen. Er würde kämpfen gegen alles. Er hatte neu angefangen, nichts konnte ihn umwerfen. Seine Schuhe, seine Socken waren wie ein einziger feuchter Brei an seinen Füßen. Ihm war nicht kalt, er konnte schneller gehen als jede Kälte, die in ihm aufziehen wollte.
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