Birne schwieg. Wenn sie nicht wollte, dass er mit ihr redete, dann schwieg er eben. Wenn ihr das verschissene Bettzeug wichtiger war als sein Leben, dann blutete er eben weniger und leise, das konnte er, kein Problem für ihn, sie hatte das Messer.
Ihr wurde unwohl von der Stille, das hatte sie davon. »Wenn Sie wirklich unschuldig sind, dann wird sich das klären, dann gibt es ein Verhör bei der Polizei, und Sie sind wieder draußen.«
Birne erwiderte nichts, er hatte keine Lust mehr, Liebe war sein einziges Verbrechen, Liebe, und jetzt blutete er dafür, Liebe zahlte sich nicht aus.
Schritte auf der Treppe. Mehr als eine Person. Aufgestoßene Türen. Polizisten, die Birne sehr unsanft packten, ihn zu Boden schleuderten, als hätte er wirklich was angestellt, als ginge wirklich eine Gefahr von ihm aus. Birne, der all das mit sich geschehen ließ, der resigniert hatte, seine Liebe dahinschwimmen sah wie einen Eisblock im Polarmeer, der sah, wie Bernd, der Affe, seine Simone in die Arme nahm, ihr wieder Trost spendete aus denselben Händen, die ihm gerade Blut beschert hatten.
Die zwei Polizisten steckten in grünen Uniformen, waren jung, nahmen alles noch sehr wichtig und so, wie sie es auf der Polizeischule gelernt hatten. Es war allerdings nur ein Streifenwagen. In München wären es mindestens sieben gewesen, dazu Kombis, und nicht nur, wenn er womöglich ein gefährlicher Mörder gewesen wäre, nein, auch beim Schwarzfahrer, der aufmuckte, oder beim Fahrradfahrer ohne Licht.
Birne wurde gefragt, ob er Handschellen wolle oder lieber keinen Widerstand. Birne entschied sich gegen den Widerstand. Einer, der Blonde, der fast eine Glatze rasiert hatte, warf ihn auf die Rückbank und setzte sich neben ihn. Der andere, der hatte fast schwarze Haare und trug diese länger, saß vorne und lenkte den Wagen. Sie fuhren schweigend. Sie hatten halt jetzt einen Einbrecher festgenommen, brachten ihn aufs Präsidium, damit die dort sich um ihn kümmern konnten. Von den Anrufern wollten sie auch nichts mehr wissen. Was wäre gewesen, wenn die die Einbrecher gewesen wären und er der, der zu Recht in der Wohnung war? Dann hätten die ihn und die Polizei sauber an der Nase herumgeführt. Dann hätte Birne allerdings auch einen Aufstand geschoben. So saß er nur da, sah aus dem Fenster, wie er durch die Stadt gefahren wurde, und blutete ein bisschen. Er hatte immer noch das Gefühl, kein großes Unrecht begangen zu haben und nicht viel befürchten zu müssen. So kam er zum ersten Verhör in seinem eigenen Fall. Immerhin.
Für diese Jahreszeit unpassend, begann es, draußen unendlich grau zu werden und nach wenigen Augenblicken zu schneien, als ob der Himmel nur noch diese eine Möglichkeit hätte, etwas von sich zu geben. Im April. Erst heute hatte er sich die Schuhe zum Wetter besorgt. Es war, als zögen die Schuhe das Wetter erst an.
Im Revier kam es ihm vor, als ob sie ihm eine Show vorführten. Er musste lange auf einem unbequemen Holzstuhl warten. Ein paar Mal reklamierte er wegen der Schmerzen. Er verlangte nach einem Aspirin, das ihm irgendwann auch gegeben wurde, damit er still war. Er verlangte daraufhin einen Arzt, und weil er ignoriert wurde, einen Anruf bei seinem Anwalt, was ebenfalls still übergangen wurde. Dann wartete er geduldig, da er hoffte, durch sein Mitspielen den Vorgang beschleunigen zu können. Sie ließen ihn dennoch relativ lange mit seinen Wunden sitzen. Einige davon waren Platzwunden und hörten auch die lange Zeit über nur unwesentlich auf zu bluten. Birne überlegte sich, eine Ohnmacht vorzutäuschen, und musste dann lachen, als er weiterdachte, ob es nicht besser und wirkungsvoller wäre, eine Marienerscheinung zu simulieren.
Als ihn endlich der muffige Beamte hereinbat, war bereits eine Dreiviertelstunde vergangen. Er ließ sich Birnes Personalien herunterbeten. Birne war kooperativ und dachte: Zwischen hier und Bananenstaat sind es nur drei Kilometer.
Wieder warten, wieder keine Antworten auf Fragen. Birne überlegte, ob er aufs Klo gehen sollte, dann kam ein großer Moment, an sich ein kleiner, aber für diesen Tag etwas Gewaltiges: Er wurde hereingebeten zum Kommissar.
*
Arschlöcher. Alles Arschlöcher, da oben, an ihren fetten Schreibtischen, Arschlöcher. Das war ihm jung mal passiert, ganz jung, und seitdem nicht mehr. Unerhört. Der eine Arm des Gesetzes hielt den anderen fest, wenn er nicht aufpasste, haute er ihn ab, der eine den anderen.
Bruno Abraham hatte keine Lust mehr auf den Mord, er hatte einen Verdächtigen verhaftet, er hatte noch kein Geständnis, aber er hatte Beweise, die den Mann in der Zelle durchdringen würden wie ein Bohrer, der sich durch eine Maus schob. Er hatte seine Arbeit für erledigt gehalten, die Akte heute Vormittag, noch nach Hustenbonbons riechend, unterschrieben und geschlossen und an die Staatsanwaltschaft in Kopie weitergegeben, sodass die damit anfangen konnten, was sie wollten. Und irgendeiner von den Arschlöchern hatte dort auf die Gelegenheit gelauert, ihm das Bein vollzupissen, denn als er und Trimalchio vom Mittagessen wiederkamen, lag eine Notiz auf seinem Schreibtisch, eine Notiz mit Tinas traumhaft-eleganter Schulmädchen-Handschrift. Er solle kurz drüben in der Staatsanwaltschaft anrufen, man bitte um Rücksprache. Es ging um den Mord, den er so lehrbuchhaft innerhalb einer Arbeitswoche seiner Klärung zugeführt hatte.
Was er beim Rückruf zu hören bekam vom Arschloch am anderen Ende der Leitung, war nicht schmeichelhaft. Man warf ihm vor, ein Dilettant zu sein, alles zu verstümpern, was ein Polizist falsch machen könne. Im ganzen Akt sei von drei Verhören die Rede, alle Beweise, die er im Moment habe, stützten sich auf Fingerabdrücke, er habe nicht einmal gewartet, bis die im Labor fertig gewesen seien, wo doch in der modernen Kriminalistik die DNA das A und O sei. Er habe den Deckel auf das oberste Blatt fallen lassen, bevor die eigentliche Arbeit angefangen habe.
»Ich meine, Sie haben kein Geständnis aus Ihrem Mann kitzeln können. Das ist kein Verhör, was Sie da geführt haben – das ist höchstens ein Pseudoverhör. Wenn wir so vor Gericht treten mit Ihren Beweisen aus Papier und Mehl, dann ist das je nach Richter wie eine Münze zu werfen. Bei Kopf sind wir durch und Ihr Mann hinter Gittern« – der Staatsanwalt sagte dauernd »Ihr Mann«, und Abraham fand es blöd, warum sollte es sein Mann sein – »und bei Zahl haben wir verloren, die Justiz einen ihrer schwarzen Tage und Kempten einen Mörder mehr auf freiem Fuß – wir müssen warten, bis ihm danach ist, wieder zu töten – welch Armutszeugnis.«
Bruno Abraham schluckte, statt zu antworten, ihm war schlecht, er wollte kotzen, sein Vortagesrausch wich einem Kater, der kein kleineres Arschloch war als das, das er gerade am Telefon hatte. Er hatte zum Mittagessen in einer Stehmetzgerei mit Trimalchio eine Schweinshaxe, eine recht fette, zu sich genommen in der Hoffnung, dass sie ihn von seiner Magenrebellion befreie oder ihn ein Herzinfarkt ganz dahinraffe. Nichts davon war eingetreten. Er saß mit seinem Elend am Schreibtisch, telefonierte und betrachtete seinen Zustand als eine Art Strafe für seine verkorkste Existenz und fand es auf mysteriöse Weise auf einmal irgendwie in Ordnung.
Das Schweigen auf der Seite Abrahams bewirkte, dass die Stimme des Arschlochs entspannter wurde, und sie davon sprach, dass er das verstehen müsse. »Wir gehen wie Sie davon aus, dass Sie den richtigen Mann verhaftet haben, aber verstehen Sie, wenn wir ihm vor Gericht den Strick drehen wollen, dann brauchen wir Säcke, die so gut verschnürt sind, dass aus ihnen kein Tropfen Wasser mehr sickert. Verstehen Sie?«
»Ja, schon.«
»Ich lasse Ihnen die Akte heute Nachmittag noch einmal zukommen und Sie überlegen sich, wie Sie sie noch ein wenig aufpeppen können. Legen Sie sie in einen Kübel mit Wasser und schauen Sie, wo noch Luftblasen aufsteigen, dort flicken Sie noch ein wenig nach und der ganze Käse ist gegessen. Verstehen Sie? Suchen Sie Nachbarn von der Alten, die sie mit Geldscheinen haben wedeln sehen, finden Sie Kebabkunden, die mit dem Messer bedroht wurden, nachdem sie versucht haben, mit zu großen Geldscheinen zu bezahlen. Und so weiter.«
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