Der redete mit ihm wie in der Schule, das konnte Abraham nicht ausstehen, ihn wunderte nicht, dass sein Sohn, der Oliver, manchmal dort austickte. Verstand er jetzt einwandfrei.
»Ist in Ordnung. Lassen Sie die Akte kommen, ich kümmere mich darum, persönlich.«
»Das will ich hoffen. Nix für ungut.«
»Nix für ungut.«
Abraham legte auf und fühlte sich beschissen. Nachbessern. Wie demütigend. Ihm war schlecht.
Er hatte sieben Tassen Kaffee getrunken und dazu nichts gemacht als trübe geschaut. Er war aufs Klo gegangen und hatte sich übergeben. Er hatte zunächst versucht, leise zu würgen, um unauffällig zu bleiben, als dann aber nichts kam als Speichelwasser, hatte er laut geschrien über das Ungeschick auf der Welt zu sein, und die Schweinshaxe war ihm vom Mund gefallen, war dem Ruf den Weg aus dem Magen über die Speiseröhre gefolgt, hatte Säure und Galle mitgebracht und fiel nun laut platschend als Brunos Kommentar zur Lage in die Schüssel, deren Rand mit jedem Schwall mehr Spritzer aus kleinen unverdauten Speisefetzen zierten.
Auf dem Rückweg schauten sie ihn an, doch er schritt, ohne sie eines Blickes zu würdigen, zurück an seinen Arbeitsplatz. Dort trank er noch eine Tasse und überlegte nur, ob er gleich noch einmal kotzen gehen sollte, oder versuchen, sich zusammenzureißen vor den anderen im Revier – in seinem Revier.
Dann war die wunderschöne Tina erschienen, nicht weniger als engelsgleich, und hatte in der Hand ein Stück Unglück, diese kleine schnucklige Pandora.
»Soll ich’s dahin legen?«
»Gib gleich her. Danke.«
»Brauchst du eine Tablette?«
»Nein, das hilft alles nichts, das Einzige, was mir noch helfen könnte, ist ein Rasseweib wie du.«
Sie stand kurz an seinen Türrahmen gelehnt und wusste nicht, wie sie reagieren sollte, ob sie sich beleidigt umdrehen und gehen sollte. Sie sagte: »Putz dir erst mal die Zähne, bevor ich mir überlege, ob ich dich küsse.«
Das war kein klassischer Korb. Abraham schenkte ihr zwei Stoßlacher und beugte sich über die Akte, die sie ihm vor die Nase gelegt hatte, sodass sie, ohne von ihm angestarrt zu werden, den Raum verlassen musste. Abraham schaute freilich gleich wieder hoch, nur um keinen Blick auf ihren geilen Hintern herschenken zu müssen. Keine Frage, sie wusste, wie sie wirkte, und er war so nah dran, sie zu knacken.
Freitagnachmittag. Das Revier leerte sich nach und nach. Die Kollegen winkten kurz rein und schenkten ihm ein bedauerndes Lächeln, bevor sie abhauten. Trimalchio wollte solidarisch wissen, ob er noch was tun könne. Abraham winkte ab und blätterte lustlos in seinen Papieren und konnte sich nicht entschließen, was zu unternehmen. Ein paar Mal hatte er den Telefonhörer in der Hand, aber noch, bevor er drei Ziffern gewählt hatte, legte er jedes Mal auf. Er stand auf und ging in das Vorzimmer, wo Tina immer noch geschäftig war oder nur so tat und wartete, bis sie allein waren. Er ging zur Kaffeemaschine, blieb dort hinter ihr in ihrem Nacken so lange stehen, bis sie sich umdrehen und fragen musste: »Gibt’s was?«
»Nein, nein, ich denke nur. Hast du heute so viel Arbeit?«
»Ich bin am Freitag öfter so lang hier, da ist es ruhig, weißt du.«
Abraham musste sich beherrschen, um vor Glück nicht loszuzittern. Außer ihnen beiden waren nur noch drei Beamte von der Bereitschaft auf dem Revier.
»Hast du Ärger wegen dem Mord bekommen?«
»Kann man so nicht sagen – ich meine, die Frau war 86. Wer soll da noch Ärger machen? Ein paar Kleinigkeiten. Bürokratenkram. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich nicht damit belästigen.«
Zu dem Satz »Macht mir nichts, keine Sorge« schenkte sie ihm das süßeste Lächeln, das er, hätte ihn jemand gefragt, je bekommen hatte.
Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und kehrte an seinen Schreibtisch zurück, den Kaffee ließ er nach dem ersten Schluck stehen und kalt werden. Der Spätnachmittag brach herein, das Wetter wurde schlechter, wurde sogar richtig übel. Aber sein Kater wurde kleiner, verschwand sogar ganz gegen 17 Uhr, als ein Anruf reinkam, ein Notruf, er bekam’s aus dem Vorraum mit. Ein Einbrecher. Den wollte er noch sehen, bevor er heimging.
Zwei Beamte fuhren los mit einem Streifenwagen, er war fast allein mit Tina und wurde nervös. Jedes Blatt hatte er schon zig Mal studiert und dennoch hörte er nicht auf, in der Akte zu blättern. Gleich würde er rausgehen zu ihr und sie zum schönsten Wochenende ihres Lebens einladen. Gleich.
Die Streife war nicht lange aus, ein Unwetter war über der Stadt hereingebrochen, es schneite wieder. Abraham konnte hören, wie sie den Einbrecher brachten: Sie ließen ihn eine Weile zappeln vor der Tür. Das war in Ordnung, das machte den Gauner kleiner. Am Anfang maulte er, dann wurde er still. Sie ließen ihn seine Taschen leeren, nahmen Fingerabdrücke und führten ihn ab. Abraham lauschte in den Nebenraum und wartete, bis der Mann in der Zelle war, dann ließ er ihn stehenden Fußes und mit maulenden Beamten zu sich kommen und staunte nicht schlecht, als er erkannte, dass der Wernerfreund vor ihm stand.
»Auweh zwick. Du?«, begrüßte er ihn.
Der war gar nicht fertig, eher im Gegenteil enthusiastisch, nun endlich bei der Polizei auspacken zu dürfen. Abraham versprach sich nichts davon, ihm zuzuhören, höchstens einmal mehr mitzubekommen, wie Menschen sich zum Affen machen, nur um einmal in der Mitte zu stehen.
»Endlich«, sagte Birne.
»Was endlich?«
»Bin ich hier.«
»Du bist in einer fremden Wohnung erwischt worden. Einbruch ist kein Kavaliersdelikt. Ich bin ehrlich froh, auf dieser Seite des Schreibtischs zu sitzen.«
Birne erwiderte nichts.
»Versteh mich nicht falsch, auch mein Wochenende steht vor der Tür, ich will die Sache zu Ende bringen vor der Tagesschau. Ich denke, das ist ganz in deinem Sinne.«
Birne nickte.
»Wer hat dich so zugerichtet?« Abraham fragte, weil man Birne immer noch ansah, dass er geschlagen worden war.
»Das war der Mann, der mich da drin erwischt hat – ich vermute, das ist der Enkel von der Zulauf, sie wollten die Wohnung ausschlachten.«
»Was wolltest du da drin?«
»Ich habe den Schlüssel von der Türkin, die bei uns im Haus wohnt, deren Mann ihr eingesperrt habt.«
»Frau Kemal.«
»Genau.«
»Wieso hat sie ihn dir gegeben?«
»Sie glaubt nicht, dass ihr Mann schuld ist, sie wollte, dass ich noch einmal nach Unschuldsbeweisen suche.«
Abraham schnaufte schwer und schüttelte seinen Kopf. »Wie ist das gegangen? Wie haben sie dich gekriegt?«
Birne erzählte, wie er im Imbiss angesprochen worden war. Abraham legte seine Stirn in Falten, als Birne vom Imbiss sprach, er suchte zwischen den Worten nach Hinweisen, nach Umständen. Birne erzählte weiter von ihrem zweiten Treffen im Laden des Bruders und seinem Auftrag.
»Was solltest du da suchen?«
Birne wurde vorsichtig, er zögerte ein bisschen. »Weiß nicht genau. Geld vielleicht.«
»Geld? Hast du was gefunden?«
Eine Sekunde verstrich unter knisterndem Schweigen. »Nein«, antwortete Birne.
Abraham schaute ihm tief in die Augen: »Sonst noch was?«
Birne, schneller mit seiner Antwort: »Ich war wohl zu kurz drin – Gebetbücher.«
»Sag mal im Ernst: Warum, glaubst du, haben die dich da reingeschickt?«
»Weil die Polizei einem Deutschen mehr glaubt als einem Türken, sagen sie.«
Abraham lachte laut auf. »Ich glaub dir, keine Sorge, keine Sorge, glaub auch, dass du ein ausgewachsenes Rindvieh bist.«
»Ich? Wieso?«
»Na ja, ich will’s mal so ausdrücken: Wenn du deinen Kopf in der Schlinge liegen hast, bist du einem, der deinen Platz einnimmt, umso dankbarer.«
»Wie?«
Birne war vorhin schon aufgefallen aus dem Augenwinkel, dass der vielleicht größte Schmuck dieses Reviers im Vorzimmer von Bruno saß. Die Frau schaute jetzt rein, schaute auch kurz ihn an, was ihn in Verlegenheit brachte, weil sie so hübsch und er so verhaut war. »Brauchen Sie noch etwas, Herr Abraham?«
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