»Also gut. Ich mach was. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel davon. Erwarten Sie nichts von der Polizei, die sind auch schlecht.«
»Oh«, freute sie sich und holte ihm ein süßes Stückchen, das Birne schwer kauend unter ihren verliebten Blicken und begeistertem Schweigen zu sich nahm.
Als er dankend gehen wollte, sagte sie: »Treffen wir uns morgen bei meinem Bruder, er wird Sie auf einen Tee einladen.«
»Wo?«
»Sie kennen die Bahnhofstraße?«
»Ja.«
»Bevor sie zur Fußgängerzone wird, gibt es rechts zwei türkische Imbisse, der vordere ist der von meinem Bruder. Dort treffen wir uns.«
»Geht in Ordnung. Vielen Dank.«
»Ich danke.« Sie machte ihm die Tür auf zum Hinausgehen.
Auf dem Weg zurück zum Geschäft wurde Birne unwohl, weniger im Bauch als im Kopf. Er hätte sich darauf nicht einlassen sollen. Was sollte er in der Wohnung finden? Er war kein Detektiv, er hatte keine Erfahrung im Suchen von Hinweisen in fremder Umgebung. Er war nicht professionell. Sie mussten noch mal darüber reden, worauf er aufpassen sollte, wenn er drin war. Sie sollten es am besten ganz abblasen. Das würde nichts bringen. Auf der anderen Seite klammerte man sich nun mal an die letzte Hoffnung, wenn der Mann wegen Mordes im Gefängnis saß.
Wenn er das Geld fände, wäre wirklich bewiesen, dass es kein Raubüberfall gewesen war. Aber wieso sollte dann jemand die alte Frau Zulauf umbringen? Wieso stieg nicht der Bruder ein, fand das Geld und brachte es zu Birne, der damit ja dann zur Polizei laufen könnte? Waren die Türken am Ende gerade dabei, ihm eine Grube zu graben, damit er als Verdächtiger dastünde? Birne habe die Alte ermordet, das Geld aber nicht finden können. Nun, da ein Unschuldiger im Gefängnis sitze, suche er noch einmal in Ruhe nach der Beute.
Die Frau sah ehrlich aus, wenn man Birne aufrichtig danach fragte.
»Hoi, warst du doch beim Essen?« Tim hatte ihn erwischt und war ebenfalls auf dem Rückweg.
»Unterzucker plötzlich, hab unbedingt was holen müssen. Kommt bei mir ganz oft, weiß auch nicht, wieso. Sollte vielleicht wirklich mal zum Arzt gehen. Am Ende ist es was Ernstes.«
Tim schaute auf die Uhr. »Wird schon nicht so schlimm sein. Du, wir könnten noch ein Weilchen. Hast du noch Lust auf einen Kaffee?«
»Den können wir auch im Büro. Heute ist das Wetter eh nicht so.«
Birne hatte gewonnen, sie gingen schweigend zurück. Den einsamen Abend und die einsame Nacht hatte er vor sich, um die Sache zu überdenken.
Er wollte noch etwas für den Körper tun; wenn auch nicht mit Leibesertüchtigung, so konnte er es vielleicht brauchen. Er würde in eine fremde Wohnung einsteigen, das erforderte Kraft und körperlichen Mut. Allerdings würde er einen Schlüssel haben.
Er würde nicht in eine Wohnung einsteigen, wer war er?
Er war, die Sporttasche geschultert, auf dem Weg ins Studio. Er wollte zurück, heim zu Weizen und Zeitung. Ihm war eingefallen, dass er den Kommissar Bruno treffen könnte, er wollte den nicht treffen, der nahm ihm seinen Fall weg.
Er war wieder wichtiger geworden in dem Fall, er würde vielleicht entscheidende Hinweise liefern, die der faule Bulle nicht hatte. Er würde ihm ganz anders entgegentreten diesmal, er war nicht mehr neu, er wusste, wie der Hase lief.
Es war weniger los an diesem Tag. Birne durchlief ein Programm, das sie ihm als Anfänger empfohlen hatten, und hatte es dann eilig rauszukommen. Die blonde Schöne war ihm nicht begegnet, die anderen Frauen hatten ihn nicht interessiert, er wollte Bruno nicht sehen.
Er kam, als er ging, grüßte ihn nebenbei nickend. Birne war ihm wurst.
Jetzt ließ er es krachen und sprach ihn an: »Bist auch öfters hier?«
»Ja, ab und zu.«
»Ich auch.«
»Willst danach mal was trinken gehen?«
»Gern. Wenn es dir nicht zu früh ist mit dem Schnaps.«
»Für Schnaps ist es nie zu früh, aber oft zu spät.« Er lachte. Birne auch, sie würden nie was trinken gehen, schwor er sich.
»Wann soll ich denn zum Verhör kommen?«
»Ach, du«, antwortete der Kommissar. »Wir melden uns dann. Deine Nummer haben wir, nicht?«
»Ja.«
»Also dann, bis dann. Ich muss rein, ich bin verabredet nachher, du verstehst.«
»Freilich. Schönen Abend.«
»Ebenfalls.«
Schöner Abend, Scheiße schöner Abend. Die Begegnung mit dem Wichtigmacher und Kollegen von Werner hatte gefehlt. Den würde er bestimmt so wenig verhören, wie er mit ihm Schnaps trinken würde nach dem Studio. Der Fall nervte ihn, den würde er so schnell wie möglich zu den Akten legen. Der Besuch bei der Türkin hatte nichts gebracht außer neuem Geschrei. Er hatte sich den Platz zeigen lassen, wo die Messer hingen, er hatte sich zeigen lassen, wie die Frau und ihr Mann den Laden abends verließen, wie sie ihn absperrten. Alles aufregend wie ein verkaterter Sonntagnachmittag vor dem Fernseher. Dann hatte sie wieder wissen wollen, was denn als Nächstes geschehe. Er hatte nichts Tolles auf den Lippen, sie hatte geschrien, er zurück, dann war er gegangen, und die Welt hätte ihn schon jetzt gern haben können. Tina hatte wieder keine Zeit gehabt, sie war weg, als er ins Revier kam, er rief ihr nach aufs Handy, wollte sie einladen und sich den Tag retten. Sie redete von Kreislauf und sich hinlegen und maximal noch ein bisschen glotzen. Er hätte sich dazu gelegt, sagte das aber nicht, sondern wünschte einen schönen Abend – sie auch – und hoffte, dass sie nicht versuchte, mit ihm zu spielen, und ihn zwang, sie das bereuen zu lassen. Er war nach Hause gefahren und hatte seinen Sohn, seinen Oliver, wortkarg vor einem Computerspiel vorgefunden. Er hatte dagegen nichts. Wenn er sich hier abreagierte und auf Nazis und Zombies schoss, würde er draußen den Mitmenschen gelassener begegnen. Freilich widersprachen ihm da die Pädagogen, aber immerhin war er einer, der von wahrer Kriminalität auch ein bisschen Ahnung hatte; und als Fachmann konnte er sagen, dass er wenig Gewalttäter festnahm, die sich mit Computerspielen hochgeheizt hatten, dafür relativ viel Ausländer – wie bei seinem jüngsten Fall. Aber wehe, darüber redete man mal, dann hieß es gleich wieder, man sei Rassist. War Abraham nicht, aber dafür war er auch nicht, für die ganzen Ausländer überall.
Sein Sohn hatte Probleme in der Schule, und eigentlich war das Abraham zu viel, er hatte selbst genug am Hals, sollte der Junge halt diese Klasse wiederholen, er hatte schließlich genug durchgemacht mit seiner Mutter, das dürfte jedem Personalchef als Entschuldigung genügen, und wenn nicht, dann könnte er immer noch zur Polizei gehen. Hauptsache, Abraham verlor nicht seinen besten Kameraden, seinen Sohn.
Jetzt würde er etwas für seinen Körper tun und sich den Frust rausschwitzen, später würde er sich heillos und gründlich besaufen. Er wunderte sich, warum er sich nicht besser fühlte.
*
Birne hatte jetzt seinen einsamen Abend. Er schlief schlecht, irgendetwas kratzte im Hals, er schaute eine Stunde und 24 Minuten an seine Zimmerdecke. Die war furchtbar montiert. Sie war verzogen, Latten waren zu kurz geschnitten, sie war in zwei Farben, die dieselbe sein sollten, gestrichen. Birne verstand nichts davon, aber wer auch immer das gemacht hatte, war ein Pfuscher.
Birne schlief ein, ohne einen Entschluss gefasst zu haben.
Der letzte Tag der ersten Woche. Birne erwachte mit dem zufriedenen und guten Gefühl, einen kleinen Berg bestiegen zu haben. Was würde der Tag bringen? Birne konnte es schaffen, er konnte ein neues Leben haben, wenn er wollte. Nichts bereitete ihm Sorgen. Er hatte eine Zeitung, er hatte ein beinahe zwischenfallloses Frühstück: Ein bisschen Kaffee lief auf den Tisch. Was sollte es? Ein Lappen, nass gemacht, weggewischt und sich auf den Weg begeben.
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