Eines Tages, sie standen vor der Schule und unterhielten sich, da kam, lässig die Tasche über die rechte Schulter gehängt, Beate auf sie zu.
»Hallo, ihr zwei«, sagte sie, hängte sich bei Thea ein und lächelte Andreas an.
Von dem Moment an war Thea Nebensache. Beate belegte Andreas so mit Beschlag, dass er nur noch selten dazu kam, Thea bei den Aufgaben zu helfen. Dabei hatte Beate Nachhilfe gar nicht nötig gehabt. Sie war bei allen Lehrern beliebt und bekam immer gute Zensuren. Trotzdem war sie noch vor dem Abitur von der Schule gegangen.
›Blöde Tucke‹, dachte Thea und seufzte.
So glücklich war sie morgens aufgewacht. Eigentlich musste sie bis Freitag arbeiten, aber gestern war der Chef zu ihr gekommen und hatte gemeint:
»Sie haben doch sicher noch einiges vorzubereiten bis zu Ihrer Hochzeit. Nehmen Sie sich ein paar Tage frei, ich habe mich kurzfristig zu dem Kongress in Berlin angemeldet. Am nächsten Donnerstag bin ich zurück.«
Überglücklich wollte sie dann Maik anrufen, hatte es sich aber anders überlegt. Sie wollte ihn überraschen.
Die Überraschung war perfekt, nur leider auch für sie selbst! Sie seufzte tief, und wieder wollten die Tränen kommen, aber mit einem heftigen Schlucken unterband sie energisch den warmen Strom. Zorn breitete sich in ihrem Gemüt aus und verbannte jetzt alle anderen Gefühle.
Sie sah Maiks entgeistertes Gesicht vor sich. Sie hatte einen Schlüssel zu seiner Wohnung. Mit einem Korb voller Leckereien fürs Frühstück war sie schon in der Frühe zu ihm gefahren. Leise war sie hineingeschlüpft und hatte sich gewundert, dass am Garderobenhaken ein grellrotes Cape hing.
Gerade als sie überlegte, wer es wohl hier vergessen haben könnte, hörte sie leises Lachen aus dem Schlafzimmer. Sie schrak zusammen und blieb unwillkürlich stehen. Sie hörte eine weibliche Stimme.
»Und wie stellst du dir unser Zusammensein vor, wenn du verheiratet bist? Ich habe keine Lust, wegen dieser Bauerndirn Schwierigkeiten zu bekommen.«
»Lass mich nur machen, sie hat doch bisher nichts gemerkt, warum sollte sie dann?«
Maiks Stimme klang selbstbewusst. Also ging das schon länger! Thea wollte gerade voller Wut ins Schlafzimmer stürmen, als sie erneut Maik vernahm:
»Thea hat auch gute Eigenschaften, sonst würde ich sie ja nicht heiraten.«
Mit klopfendem Herzen und mittlerweile hochroten Kopf stand Thea bewegungslos vor der Zimmertür. Den Frühstückskorb schwer am Arm. Sie hörte die Frau laut lachen, und jetzt erkannte sie Beates Tonfall.
»Mein Gott, ich verstehe dich wirklich nicht! Sie ist so hässlich! Formlos und dürr wie eine Bohnenstange und ihr Haar erst, wie bei einem Straßenköter und wie sie sich anzieht …!«
Thea wollte etwas tun, aber sie stand nur steif da. Dann erklang wieder Maiks Flüstern: »Komm, lass uns von etwas anderem reden.«
Beates helles Organ platzte dazwischen: »Mein Gott, Maik, wie kannst du nur so dumm sein, sie ist sicher völlig mittellos, oder?«
Hier wurde sie ärgerlich unterbrochen: »Sei still. Das geht dich nichts an.«
Beate ließ sich nicht abspeisen und triumphierte: »Aha! Also doch!«
Jetzt konnte und wollte Thea nichts mehr hören, sie drückte die Klinke heftig herunter. Wie die beiden entsetzt hochgefahren waren! Zu jeder anderen Zeit hätte sie darüber schallend gelacht. Beates volle Brüste lugten über die Decke, die sie hastig hochzog und Maik machte ein total belämmertes Gesicht.
»Aber … aber … Thea?!«, stotterte er, und hüpfte auf die Füße, schnell mit dem Kopfkissen seine Blöße verdeckend.
Thea staunte noch immer, wie ruhig sie in diesem Moment gewesen war! Sie zog ihren Verlobungsring vom Finger und warf ihn auf das Bett.
»Ich wünsche weiterhin viel Vergnügen!«, sagte sie, drehte sich um und warf die Tür hinter sich zu.
Und nun saß sie allein in ihrem Auto und fuhr durch die Gegend. Was hatte Beate gesagt? Himmel, sollte es etwa wahr sein! Aber wieso? Verflixt, so konnte es gar nicht sein! Maik Lohberg war hinter ihrem Erbe her? Warum? Wegen dem bisschen Geld, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten? Sie wusste zwar nicht genau wie viel, aber Maik war doch nicht arm! Er war der Sohn eines bekannten Anwalts!
Sie kannte Maik schon länger, aber erst seit zwei Jahren, sie war damals neunzehn, waren sie zusammen. Sie konnte sich noch genau daran erinnern.
Es war an einem kalten, nassen Oktobertag gewesen. Sie hatte gerade mit ihrer Ausbildung begonnen und musste länger arbeiten, weil wichtige Briefe verschickt werden sollten. Als sie endlich das Büro verließ, war es schon sieben Uhr abends. Sie wollte rasch eine Kleinigkeit einkaufen, aber es regnete so stark, dass sie schon auf dem Weg zu ihrem Auto völlig durchnässt war. Wie ein begossener Pudel stand sie vor dem Discount, als die Tür gerade von innen verriegelt wurde.
»Verdammt«, fluchte sie laut, und hinter ihr antwortete jemand: »An der Tanke ist immer auf!«
Als sie sich erschrocken umdrehte, wäre sie fast mit Maik zusammengestoßen. Sie lachten beide herzlich darüber und fuhren dann gemeinsam zur Tankstelle, kauften Spaghetti, Gehacktes, Ketchup und Wein.
Maik lud sie zum gemeinsamen Kochen und Essen in seine Wohnung ein. Seit dem Tag waren sie ein Paar.
Nie wäre ihr der Gedanke gekommen, Maik könne es auf ihr Geld abgesehen haben. Aber sie wäre auch nie auf die Idee gekommen, dass er etwas mit Beate hatte!
Wenn Beate recht hätte, dann könnte es sich doch wohl nur um den Hof handeln. Maik war leidenschaftlicher Jäger. Sein Vater hatte mit einigen anderen Jägern eine größere Jagd gepachtet. Wenn er sie heiratete, würde er irgendwann in den Genuss einer eigenen Jagd kommen, wenn Onkel Franz tot war.
Da musste es noch etwas geben, etwas wovon sie nichts wusste. Maiks Vater war Notar und führte die Anwaltskanzlei, die ihre Erbangelegenheiten regelte. In einigen Wochen, gleich nach ihrer Hochzeit, ihrer geplanten Hochzeit, dachte sie grimmig, wenn sie einundzwanzig Jahre alt wurde, sollte sie über ihr Erbe verfügen können. Obwohl sie schon mit achtzehn volljährig war. Ihr Vater hatte es so bestimmt. Es konnte sich aber nur um Bargeld handeln. Davon besaß Maik garantiert genug, denn er hatte erst vor zwei Wochen einen tollen Wagen gekauft. Und überhaupt, das Testament war nicht einsehbar. Maiks Vater hatte ihr gesagt, der Erbvertrag wurde versiegelt. Erst am Tag ihres einundzwanzigsten Geburtstages dürfe der Notar das Siegel brechen. Also konnte Maik gar nichts wissen! Alles Angeberei! Sollte er doch selig werden mit dieser Tussi!
Der Gedanke an ihr Erbteil ließ sie nun nicht mehr los und lenkte sie von ihrem Ärger ab. Theas Vater stammte von einem Gutshof, der Onkel Franz, dem Bruder ihres Vaters, gehörte. Das heißt, er beaufsichtigte den Hof nur, denn er war Arzt, besser gesagt, Chefarzt am städtischen Krankenhaus. Da er keinen Wert auf den Hof legte, ließ er ihn von einem Verwalter bewirtschaften und hatte die Jagd, die dazugehörte, verpachtet. Sie würde den Hof frühestens nach Onkel Franz‘ Tod erben. Da ihr Onkel sich hervorragender Gesundheit erfreute und erst vierundvierzig Jahre zählte, dürfte das wohl vorläufig nicht in Betracht kommen. Wenn er noch heiraten würde und selbst Kinder hätte, wäre das auch vorbei.
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