Marie Louise Fischer
Gisela und der Frauenarzt
Roman
SAGA Egmont
Gisela und der Frauenarzt
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)
Originally published 1955 by Andermann Verlag, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711718858
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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»Frau Müller, bitte!« rief Gisela Schmitt. Mit einem einladenden Lächeln blieb sie in der Tür zum Sprechzimmer des Frauenarztes stehen, ein schlankes achtzehnjähriges Mädchen im schneeweißen, kniefreien Kittel.
Dabei suchten ihre ausdrucksvollen braunen Augen den sehr besetzten Warteraum ab, um festzustellen, ob eine neue Patientin eingetroffen war. Sie entdeckte Ulrike Simons, die neben der Garderobe hockte, und erkannte sie sofort.
»Ulrike!« Mit ein paar raschen Schritten war sie bei der Fünfzehnjährigen. Ulrike hatte zu einer Gruppe gehört, die Gisela im vorigen Sommer in einem Ferienlager betreut hatte.
Ulrike wurde rot. »Du hier?« Sie trug Rock und Bluse und wirkte kindlich jung.
»Ja, wußtest du denn nicht, daß ich bei Doktor Burg arbeite? Schon seit einem Monat! Ich bin fertige Arzthelferin. Und du? Drückst du immer noch die Schulbank?«
»Klar! Ich will doch das Abi machen.«
»Na, dann viel Spaß.« Ulrike zog Block und Kugelschreiber aus der Kitteltasche. »Gib mir mal deine genauen Personalien. Bist du versichert?«
Während Gisela schrieb, überlegte sie, was Ulrike wohl zum Gynäkologen führen mochte. Offensichtlich war es ihr nicht angenehm, sie hier zu treffen.
»Ist er nett?« fragte sie jetzt nervös.
Gisela verstand sofort. »Ja, sehr. Du wirst schon sehen.
Ich rufe dich dann auf, wenn du an der Reihe bist. Es wird aber noch eine Weile dauern.«
Eilig kehrte sie in das Sprechzimmer zurück, denn Dr. Burg hatte es nicht gerne, mit einer Patientin allein gelassen zu werden.
Der Nachmittag verging, und allmählich leerte sich der Warteraum. Dr. Burg, der jüngste von drei Frauenärzten in der oberbayrischen Kleinstadt, nahm sich, wie immer, Zeit für jede seiner Patientinnen.
Gisela mußte auf Trab sein, aber nicht einen Augenblick vergaß sie Ulrike, die draußen immer noch auf ihre Untersuchung wartete. Sie konnte sich vorstellen, wie deren Nervosität immer mehr stieg. Sie war erleichtert, als sie sie endlich hereinrufen durfte.
Das Sprechzimmer war ein freundlicher kleiner Raum mit zwei Schreibtischen und einer Sitzecke. Auf dem Boden lag ein farbenfroher Teppich, an den Wänden hingen Reproduktionen guter Gemälde.
Dr. Hans Burg kam vom Waschbecken her und trocknete sich noch die schlanken, kräftigen Hände ab, ein drahtiger Mann Anfang dreißig, dessen braun gebrannte Haut einen starken Kontrast zu dem weißen Kittel bildete. Sein blondes, aus der Stirn gebürstetes Haar hatte die Neigung sich zu locken, und seine intensiv blauen Augen strahlten Willenskraft aus.
»Ulrike Simons, Herr Doktor«, stellte Gisela vor, »ich habe ihre Personalien aufgeschrieben.«
»Sie sind noch nie bei uns gewesen, nicht wahr?« fragte er mit einem Blick auf das Karteiblatt, das Gisela inzwischen ausgefüllt hatte, und warf das kleine Handtuch hinter sich in einen Drahtkorb.
»Nein!« Es fiel Ulrike sichtlich schwer, dieses kleine Wort herauszubringen.
»Kein Grund, nervös zu sein. Kommen Sie, setzen Sie sich.« Er wies ihr einen Stuhl neben seinem Schreibtisch zu und nahm selber Platz. »Ich hoffe, Sie haben einen Kalender über Ihre Regel geführt.«
»Das ist es ja gerade! Sie ist ausgefallen!«
»Und wann war die letzte Periode?«
»Am zweiten März!« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
»War diese Periode normal stark? Das heißt, war sie genau so lang und so stark wie die vorhergegangenen Blutungen?«
»Ja. Ich … ich habe keinen Unterschied bemerkt.« Ulrike verkrampfte die Hände im Schoß.
»Waren Ihre Blutungen sonst immer regelmäßig?«
»Ja.«
»Wie oft trat die Blutung auf? Alle achtundzwanzig, alle dreißig Tage oder öfter?«
»Nein, immer regelmäßig alle achtundzwanzig Tage. Sie kam höchstens manchmal einen oder zwei Tage zu spät.«
»Schade, daß Sie das nicht aufgezeichnet haben. Jedes Mädchen sollte unter allen Umständen einen Kalender über ihre Regel führen, das ist für die Diagnose des Frauenarztes immer wichtig«, erklärte Dr. Burg und notierte: »Periode alle achtundzwanzig bis dreißig Tage regelmäßig. Letzte Periode am zweiten März.«
Er hob den Kopf und blickte Ulrike prüfend an. »Haben Sie einen Freund?«
Ulrike errötete. »Ja … nein … so kann man das nicht sagen … ich habe …« Sie nestelte an ihrem Gürtel.
»Aber es könnte sein, daß Sie schwanger sind?«
Ulrike nickte stumm.
Gisela biß sich auf die Unterlippe. Das war es also!
»Fühlen Sie sich schwanger?«
»Nein. Ich weiß nicht.«
»Ich habe damit gemeint: erbrechen Sie am Morgen? Oder ist Ihnen manchmal schlecht?«
»Nein, nein, ich habe nur … wahnsinnige Angst.«
»Davor, daß Sie schwanger sein könnten?«
»Das darf nicht sein, Herr Doktor, ich kann kein Kind bekommen … ich …«
»Nur nicht aufregen! Vorläufig wissen wir ja noch nichts.« Dr. Burg blieb ganz gelassen. »Dann bringen Sie die junge Dame bitte mal nach nebenan, Gisela!«
Gisela schob sachte ihre Hand unter Ulrikes Arm und führte sie in den Nebenraum, in dessen Mitte der große Untersuchungsstuhl stand. Außerdem gab es eine Liege und einen Schrank, hinter dessen Glaswand Instrumente blitzten. Der Boden des Raums war blank und aus leicht zu reinigendem Kunststoff.
»Mach dich bitte frei«, sagte Gisela und fügte, als Ulrike ihr Blüschen aufknöpfen wollte, rasch hinzu: »Nein, unten rum. Den Rock kannst du anlassen, wenn du keine Angst hast, daß er zerknautscht. Den schieben wir dann einfach hoch.« Sie legte ein sauberes Tuch auf den Sitz.
Ulrike verschwand hinter den Wandschirm.
»Es ist alles so schrecklich, Gisela!« Ulrike zitterte, als sie barfuß wieder zum Vorschein kam. »Wenn du wüßtest, wie mir zumute ist!«
»Ich kann es mir lebhaft vorstellen!« Gisela half Ulrike auf den hohen Stuhl. »Du mußt die Beine spreizen … ja so … rutsch noch ein bißchen vor!« Sie legte die Beine der Patientin auf die beiden Beinhalter, die dreißig Zentimeter über dem Sitz angebracht waren.
Ulrike drehte das Gesicht zur Seite und schloß die Augen.
Dr. Burg zog sich, eintretend, hauchdünne Plastikhandschuhe über. Gisela reichte ihm den sogenannten gynäkologischen Spiegel, mit dessen Hilfe der Frauenarzt Scheideneingang und Scheide untersuchte.
Die Scheidenschleimhaut war blaßblau verfärbt. Das wies auf eine Schwangerschaft hin – sie ist sonst rosig. Dr. Burg rechnete im stillen nach: heute haben wir den achtzehnten April, das wären etwa sieben Wochen!
Vorsichtig schob er zwei Finger in die Scheide und fand den Uterus, die Gebärmutter, leicht vergrößert und aufgelockert. Im normalen Zustand ist sie derb und klein.
Zweifellos wies das Untersuchungsergebnis auf eine Schwangerschaft hin, aber es berechtigte ihn nicht, das der Patientin zu eröffnen, denn noch war ein Irrtum nicht ausgeschlossen.
Mit undurchdringlichem Gesicht richtete er sich auf. Auch Gisela, die ihn gespannt ansah, gab er kein Zeichen.
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