1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 143Nach § 112 Abs. 1 BGBist der Minderjährige, der durch seinen gesetzlichen Vertreter mit Genehmigung des Familiengerichts zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ermächtigt wurde, für solche Geschäfte, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt, grundsätzlich unbeschränkt geschäftsfähig. Dasselbe gilt nach § 113 Abs. 1 BGBfür Rechtsgeschäfte welche die Eingehung bzw. Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses oder die Erfüllung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen betreffen, soweit der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen ermächtigt hat, in Dienst oder Arbeit zu treten.
Fall:
Der 16-jährige Ferdinand bekommt monatlich 40 € Taschengeld von seinem allein sorgeberechtigten Vater, und kann damit machen was er will. Ferdinand will ein Pay-TV-Abo für 20 € monatlich erwerben und schließt einen entsprechenden Vertrag (Laufzeit: 12 Monate), den er fortan von seinem Taschengeld bezahlt. Nach sechs Monaten fällt dem Vater auf, dass Ferdinand in der Schule schlechter wird. Ferdinand beichtet, täglich mehrere Stunden fernzusehen. Der Vater schreibt einen wütenden Brief an den Pay-TV-Sender und fordert Rückzahlung des Entgelts für die vergangenen Monate. Zu Recht?
Lösung:
Der Vater könnte in Vertretung Ferdinands einen Anspruch auf Herausgabe der für die vergangenen sechs Monate entrichteten 120 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB haben.
Voraussetzung dafür wäre, dass der Pay-TV-Sender die entsprechenden Gelder von Ferdinand ohne rechtlichen Grund bekommen hätte. Als rechtlicher Grund kommt vorliegend der zwischen Ferdinand und dem Sender geschlossene Vertrag in Betracht. Fraglich ist jedoch, ob dieser wirksam ist.
Nachdem Ferdinand mit 16 Jahren gem. § 106 BGB in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist und eine Einwilligung des Vaters gem. § 107 BGB zu dem konkreten Vertrag nicht vorliegt, könnte sich dessen Wirksamkeit aus § 110 BGB ergeben. Danach gilt ein vom Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die vertragsgemäße Leistung u. a. mit solchen Mitteln bewirkt, die er zur freien Verfügung von seinem Vertreter erhalten hat.
Vorliegend hat Ferdinand das Taschengeld, von dem er die Kosten des Abonnements beglichen hat, von seinem Vater als gesetzlichem Vertreter zur freien Verfügung bekommen. Der Abschluss eines Abos war auch nicht in einem Ausmaß unvernünftig, dass von vornherein davon ausgegangen werden konnte, dass dieser von der konkludent erteilten Einwilligung nicht umfasst wäre.
Fraglich ist jedoch, wie es sich auswirkt, dass Ferdinand noch nicht die Kosten der gesamten Vertragslaufzeit von 12 Monaten beglichen hat. Insoweit ist darauf abzustellen, ob Leistung und Gegenleistung teilbar sind. Nur in diesem Fall wäre der Vertrag für die vergangenen Monate voll wirksam.
Eine solche Teilbarkeit wird von der Rechtsprechung u. a. bei Mobilfunkverträgen angenommen, die monatlich abgerechnet werden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb bei dem Pay-TV-Vertrag etwas anderes gelten sollte.
Damit scheidet eine Versagung der Genehmigung des Vertrags für die vergangenen Monate aus und liegt ein rechtlicher Grund für die Zahlung der 120 € vor.
Der Vater kann den Betrag deshalb nicht aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern.
Anmerkung:
Für die Zukunft ist die Leistung nicht bewirkt und der Vertrag daher schwebend unwirksam. Insoweit kann der Vater die Genehmigung verweigern.
143aVon der Geschäftsfähigkeit zu unterscheiden ist die Fähigkeit, in medizinische Behandlungeneinzuwilligen. Nach § 630d Abs. 1 S. 1 BGB ist der Behandelnde vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Willenserklärung, sondern um eine geschäftsähnliche Handlung. Da diese eine Entscheidung über ein höchstpersönliches Rechtsgut enthält, ist dafür nicht die Geschäftsfähigkeit, sondern die Einwilligungsfähigkeit maßgeblich. 29
143bDie Einwilligungsfähigkeiterfordert die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten hinsichtlich der Art und Notwendigkeit, der Bedeutung sowie der Folgen und Risiken einer Maßnahme. 30Ist ein minderjähriger Patient einwilligungsfähig, muss zwischen geringfügigen und nicht geringfügigen Eingriffen unterschieden werden. Für geringfügige Eingriffe bedarf es zunächst nur der Einwilligung des Minderjährigen, während für nicht geringfügige Eingriffe die Einwilligung sowohl des Minderjährigen als auch der Sorgeberechtigten erforderlich ist (sog. Co-Konsens). 31Ist der Patient nicht einwilligungsfähig, bedarf es generell nur der Einwilligung der Sorgeberechtigten. Steht den Eltern die elterliche Sorge gemeinsam zu, müssen beide der Behandlung zustimmen. Wenn allerdings das Kind in Begleitung eines Elternteils beim Arzt erscheint und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Eltern unterschiedlicher Meinung sein könnten, ist zumindest bei Routineeingriffen davon auszugehen, dass der das Kind begleitende Elternteil durch den anderen dazu ermächtigt wurde, die Einwilligung für beide zu erklären. 32
143cKann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare (Notfall-)Maßnahmenicht rechtzeitig eingeholt werden, darf die ärztliche Behandlung gem. § 630d Abs. 1 S. 4 BGB ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. 33
Praxishinweis:
Vor dem Hintergrund dessen, dass die Einwilligungs- und die Geschäftsfähigkeitzu unterscheiden sind, müssen die gesetzlichen Vertreter bei beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen nach § 107 BGB in den Abschluss des Behandlungsvertrags einwilligen bzw. diesen selbst abschließen. Soweit eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, ist die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit nach § 36 SGB I maßgeblich, die grundsätzlich ab einem Alter von 15 Jahren besteht, aber von den gesetzlichen Vertretern eingeschränkt werden kann. 34
144Bei der Vertretung wird eine Willenserklärung durch den Vertreter innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgegeben, § 164 Abs. 1 BGB.
145Daraus folgt zunächst, dass die Stellvertretung im Grunde überall da zulässig ist, wo wir es mit Willenserklärungen zu tun haben. Ausgenommen sind aber sog. höchstpersönliche Rechtsgeschäfte. Hierzu zählen das Verlöbnis gem. §§ 1297 ff. BGB, die Eheschließung gem. § 1311 BGB und die Sorgeerklärung gem. § 1626c Abs. 1 BGB.
146Weiter ergibt sich das Erfordernis entsprechender Vertretungsmacht. Diese kann sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben (gesetzliche Vertretungsmacht) oder durch Rechtsgeschäft erteilt werden (Vollmacht).
147So verfügen aus dem Bereich des Familienrechts sorgeberechtigte Eltern gem. § 1629 BGB, Vormünder gem. § 1793 Abs. 1 BGB, Pfleger gem. § 1915 i. V. m. § 1793 Abs. 1 BGB und Betreuer gem. § 1902 BGB über gesetzliche Vertretungsmacht.
148Die Erteilung einer Vollmachtrichtet sich demgegenüber nach § 167 BGB; sie erfolgt durch Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden (sog. Innenvollmacht) oder dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll (sog. Außenvollmacht). Sie kann sich auf ein einzelnes oder auf mehrere Geschäfte beziehen. Werden mehrere Bevollmächtigte bestellt, ist sowohl eine Einzelvertretung, bei der jeder Bevollmächtigte allein handeln darf, als auch eine Gesamtvertretung, bei der die Bevollmächtigten gemeinsam handeln müssen, denkbar. Die Vollmacht ist dabei grundsätzlich formfrei, kann also mündlich oder sogar konkludent erteilt werden.
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