Conchavez berichtete der Frau mit gleichgültiger Stimme, wie er den Transporter auf seiner Patrouille vorgefunden hatte. Agent Holloway stand währenddessen weiterhin unbeweglich und leicht versetzt hinter ihr und verzog keine Miene.
Vielleicht ein Robo-Agent.
Während Conchavez wiederholt in abfälliger Weise seine persönliche Meinung über diese Art von Fahrzeugen kundtat, erklang aus dem Transporter ein markerschütternder Schrei. Die noch bis vor kurzem so kühle Frau und die Statue des Mannes hinter ihr drehten sich erschrocken um und eilten zur Einstiegsluke. Conchavez lief hinterher. Hastig steckte Colette Hastings ihren Kopf in die Öffnung und zog ihn sogleich wieder zurück. Dann verharrte sie eine Weile und starrte mit aschfahlem Gesicht entsetzt auf die Öffnung.
»Was ist los?«, fragte Agent Holloway verwirrt, der zum ersten Mal menschliche Züge erkennen ließ. »Was haben Sie gesehen?«
Die Frau trat zur Seite und sah ihm in die Augen. Der überhebliche und arrogante Ausdruck war wie weggeblasen. Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht.
Conchavez trat an die Öffnung und steckte vorsichtig den Kopf hinein. Obwohl das Licht im Innern sehr spärlich war, konnte er den Grund von Hastings Entsetzen sofort erkennen. Agent Peters’ Körper lag auf unnatürliche Weise gekrümmt auf dem Boden der Kabine. Das Gesicht und die Hände waren mit einer eigenartigen, dunkelgrauen Substanz überzogen. Mund und Augenhöhlen wirkten wie dunkle Krater. Seine Uniform war in sich zusammengefallen, als wäre der Körper, der vor kurzem noch darin gesteckt hatte, verschwunden. Das Eigenartigste war jedoch, dass sich die dunkelgraue Substanz zu bewegen und zu verformen schien, als würde ein Insektenschwarm einen Kadaver vollständig bedecken und zersetzen. Conchavez kannte keine Insekten, die etwas Derartiges in so kurzer Zeit fertigbrachten.
Angewidert trat er zurück und drehte sich zu Colette Hastings um. »Was ist das?«, fragte er verstört.
»Ich weiß es nicht. So etwas habe ich noch nie gesehen. Scheint irgendeine Art von Insekten zu sein.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Insekten einen menschlichen Körper in so kurzer Zeit vernichten können. Zumindest keine, die in unseren Breitengraden vorkommen.«
Abrupt wandte sie sich von ihm ab, trat unbeholfen einen Schritt vor und sagte mit zittriger Stimme: »Sergeant Holloway, benachrichtigen Sie die Seuchenschutzbehörde. Sie sollen ein Team herschicken.«
»Jawohl, Ma’am«, antwortete dieser kurz.
»Sergeant Conchavez, bitte rufen Sie noch weitere Patrouillen hierher und lassen Sie die Gegend weiträumig abriegeln. Niemand darf sich diesem Transporter nähern.«
Conchavez lief zu seinem Aerobike und benachrichtige über den Kommunikator die Leitstelle.
Eine Stunde später wimmelte es von Menschen. Die Leute der Seuchenschutzbehörde erschienen mit drei Gleitern und einem großen Transporter, der ein fahrbares Untersuchungslabor enthielt.
Die Verkehrspatrouille hatte die Gegend hermetisch abgeriegelt. Niemand konnte sich unbemerkt dem Ort des Grauens nähern. Menschen in weißen Schutzanzügen liefen wild durcheinander. Conchavez’ Vorgesetzter der Traffic Patrol und noch ein paar andere anscheinend wichtige Leute waren ebenfalls erschienen und stellten ihm immer wieder dieselben Fragen. Doch auf seine eigene Frage, was mit Sergeant Peters passiert sei, erhielt er keine Antwort. Langsam begann ihm die ganze Sache gehörig auf die Nerven zu gehen. Zudem wurde er über sämtliche Vorkommnisse zu absolutem Stillschweigen verpflichtet.
Gegen Mittag führten ihn Sicherheitsbeamte zu seinem Aerobike und eskortierten ihn anschließend durch die Absperrungen.
Natalia Kirova traute ihren Augen nicht, als sie die Messdaten der Untersuchung auf dem Display sah. Sie hatte den ganzen Nachmittag und die halbe Nacht damit verbracht, die dunkelgrauen Partikel zu analysieren. In ihren zweiundzwanzig Jahren als Mikrobiologin hatte sie schon manche Ungereimtheit erlebt. Bisher hatte sich alles auf irgendeine Weise erklären lassen. Doch dieses Mal zweifelte sie entweder an der Funktionstauglichkeit der Geräte oder an ihrem Verstand. Was sie hier zu sehen bekam, war schlicht und einfach nicht möglich.
Bei den Partikeln schien es sich um Einzeller in Molekülgröße zu handeln. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie nicht biologisch, sondern synthetisch waren. Ursprünglich, denn sie fand heraus, dass die Partikel mit den organischen Zellen von Agent Peters Körper eine Verbindung eingegangen waren.
Kurz nachdem sie mit ihrem Team am Unfallort eingetroffen war, hatten sie den Leichnam, oder das, was von ihm noch übrig war, mit Trockeneis besprüht und danach in eine Isolierbox verpackt. Im mobilen Untersuchungslabor wurden Proben entnommen und analysiert. Das Ergebnis hatte das gesamte Team vor den Kopf gestoßen.
Natalia Kirova hatte ein einziges Partikel isoliert und es unter dem Elektronenmikroskop beobachtet. Es passierte überhaupt nichts. Das einzelne Partikel war völlig inaktiv. Als sie jedoch eine ganze Kolonie von Partikeln beobachtete, konnte sie rege Aktivitäten feststellen. Die Partikel funktionierten also nur im Kollektiv!
Sehr eigenartig war, dass Agent Peters’ Zellen anscheinend noch lebten und sich teilten. Kirova konnte allerdings nicht feststellen, ob sie eine eigenständige Existenz führten oder ob sie von den synthetischen Einzellern am Leben erhalten und gesteuert wurden.
Die wohl verblüffendste Tatsache war jedoch, dass die organischen Zellen zwei verschiedene DNS-Codes enthielten. Der eine war mit jenem von Agent Peters identisch. Für den zweiten hatte sie keine Erklärung. Hastig aktivierte sie ihren Kommunikator und wählte die zentrale Datenbank an.
»Natalia Kirova, Identifikationscode SD463-89a23f7, ich benötige die Daten zu folgendem DNS-Code.«
Sie betätigte ein paar Tasten und übermittelte den DNS-Code.
»Zugriff genehmigt und Datenempfang bestätigt«, klang eine synthetische Stimme aus dem Gerät. »Die angeforderten Daten werden sofort übermittelt.«
Kirova leitete den Empfang auf ihren Rechner um, ein längliches Gerät mit einem breiten Display, das um ihren linken Unterarm geschnallt war.
Wenig später erklang ein kurzes Signal und bestätigte den Empfang der Daten. Sie blickte auf das Display und las: »DNS-Code Jennifer Rosenberg, 26 Claremont Street, Boulder City.«
7.
Kim wurde durch Schreie und anderen Lärm aus dem Schlaf gerissen. Flackerndes Licht drang von draußen durch den Flur in ihr Schlafzimmer. Ein Blick auf die digitale Zeitanzeige sagte ihr, dass es kurz nach fünf Uhr morgens war. Vom Schlaf immer noch halb gelähmt, rappelte sie sich hoch, schlurfte ins Wohnzimmer und blickte zwischen den Lamellen hindurch aus dem Fenster.
Draußen standen zwei Gleiter der örtlichen Polizei mit Blaulicht. Zwei uniformierte Beamte lehnten sich an die Fluggeräte und schienen zu warten. Der Lärm kam allerdings nicht von ihnen, sondern vom Haus der Rosenbergs. Es machte den Anschein, als hätte Benjamin Probleme mit zwei weiteren Beamten.
Kim ging zurück in ihr Schlafzimmer, zog sich Shorts und ein T-Shirt an und verließ das Haus. In diesem Moment sah sie, wie sich Benjamin zwischen zwei Beamten wand und sich zu befreien versuchte. Anscheinend hatten sie ihm Handschellen angelegt, denn seine Hände befanden sich auf dem Rücken.
Kim näherte sich der Grundstücksgrenze. Sofort kamen die beiden Beamten von den Gleitern auf sie zu.
»Bleiben Sie zurück, Miss«, sagte der eine und breitete beide Arme aus, um sie daran zu hindern, zwischen den Sträuchern hindurchzutreten.
»Was ist hier los?«, fragte sie verärgert.
»Das sehen Sie doch, wir nehmen eine Verhaftung vor.«
»Sie verhaften Ben Rosenberg?«
»Genau! Nun gehen Sie wieder zurück in ihr Haus. Sie können hier nichts tun.«
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