Plötzlich kippte Christoper zur Seite und blieb regungslos auf dem Boden liegen.
»Nein«, rief Michelle verzweifelt, »nicht du auch noch.«
Sie griff nach seiner Schulter und drehte ihn auf den Rücken. Er lag einfach nur da, die Augen geöffnet und den Blick starr nach oben gerichtet. Sein Atem ging regelmäßig und ruhig.
Das leuchtende Oval hatte sich mittlerweile vergrößert und ließ bereits die ersten funkelnden Punkte erkennen. Doch dann geschah etwas, mit dem niemand gerechnet hatte. Die Lichtpunkte schossen nicht auf sie alle zu, umhüllten nicht jeden der Gruppe. Sie umschlossen nur Neha.
Ratlos und verblüfft knieten Michelle und Kevin daneben und starrten auf den leuchtenden Kokon, der sich mittlerweile um Neha gebildet hatte. Ihre Gestalt war kaum mehr zu erkennen.
Als Michelle schon fast nicht mehr daran glaubte, dass sich etwas verändern würde, war der Spuk plötzlich vorbei. Verschwunden waren die Lichtpunkte und das leuchtende Oval. Mit ihnen auch Neha.
Christopher lag immer noch reglos auf dem Boden und hatte von all dem nichts mitbekommen.
»Jetzt geht es wieder los mit diesen ungewissen Situationen«, lamentierte Michelle.
»Noch ist nichts Schlimmes passiert«, versuchte Kevin sie zu beruhigen. »Anscheinend wollte die Sphäre nur Neha zu sich holen. Zudem kommt mir Christophers Zustand sehr bekannt vor.«
»Du denkst, er hat wieder einen dieser Wachträume?«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Die Frage ist nur, wohin ihn seine Mentalprojektion dieses Mal verschlagen hat.«
»Falls es seine eigene Mentalprojektion ist.«
6.
Sergeant Luis Conchavez von der Traffic Patrol lehnte an seinem Aerobike und inhalierte den blauen Dunst einer synthetischen Zigarette. Während er die Augen schloss und den Rauch durch die Nase wieder entweichen ließ, zerbrach er sich den Kopf darüber, was hier mitten in der Nacht geschehen sein könnte. Er mochte die Nachtschichten lieber als den Tagesdienst, da es nachts auf den Freeways wesentlich ruhiger zuging. Er konnte es nicht mehr hören, wenn seine Kollegen von den vielen Vorfällen erzählten, die sich täglich aufgrund von Fahrlässig- und Leichtsinnigkeit der Verkehrsteilnehmer ereigneten. Die meisten Fahrer waren viel zu sehr mit ihren elektronischen Spielereinen beschäftigt, statt auf den Verkehr zu achten, und stellten daher eine große Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar. Auch die Automatisierung der Fahrzeuge mit den modernsten Leitsystemen und Autopiloten hatte die Zahl der Unfälle nicht wesentlich reduzieren können. Lediglich die Unfallursachen hatten sich verändert. Man vertraute zu sehr der Technik oder man bediente und konfigurierte sie falsch, sodass es zu Störungen und Pannen kam.
Es war kurz vor drei Uhr morgens. Auf dem gegenüberliegenden Fahrstreifen stand ein Robo-Transporter. Solche Fahrzeuge wurden über ein satellitengesteuertes Leitsystem auf einer festgelegten Route von einem Ort zum anderen befördert. Die mit modernsten Sicherheitssystemen ausgerüsteten Gefährte wichen jedem Hindernis aus und hielten, wenn nötig, sogar an. Nun stand eines von ihnen mitten auf dem Freeway 40, etwa dreißig Kilometer westlich von Ash Fork, und rührte sich nicht mehr vom Fleck.
Vor gut einer halben Stunde hatte Conchavez den technischen Sicherheitsdienst herbestellt. Nach seinen Erfahrungen dürfte es gut und gerne noch einmal solange dauern, bis von denen jemand hier aufkreuzte. Zum Glück war dies eine wenig befahrene Gegend, sonst wäre es bestimmt schon längst zu einem Verkehrschaos gekommen.
Obwohl es außer ein paar harmlosen Pannen mit solchen Transportern bisher noch nie Probleme gegeben hatte, hasste sie Conchavez. Fahrzeuge, die nicht von Menschen gelenkt wurden, wirkten auf ihn unheimlich und beängstigend. Er traute der Technik nicht. Er hatte auch keine Lust, in das Gefährt einzusteigen, um nachzusehen, was nicht in Ordnung war. Sollten sich doch die Spezialisten darum kümmern.
Conchavez mochte auch die Leute vom technischen Sicherheitsdienst nicht. Alles aufgeblasene Angeber und Möchtegernagenten. Spielten sich groß auf, obwohl sie nur eine kleine Unterabteilung der Bundespolizei bildeten.
Aus purer Neugier überquerte er die Straße, näherte sich dem Transporter und umrundete ihn mit einer Stablampe in der Hand. Plötzlich hielt er inne. In der Seitenwand des Gefährts klaffte ein Loch mit ausgefransten Rändern. Zuerst dachte er an ein Geschoss, das hier eingeschlagen sein könnte. Doch sogleich verwarf er diesen Gedanken wieder, denn die Ränder der Öffnung konnten unmöglich von einer Rakete oder etwas Ähnlichem verursacht worden sein.
Er ging noch näher heran und richtete den Lichtstrahl direkt auf das Loch. Dann zuckte er erschrocken zurück. War da nicht eine Bewegung?
Fast zufällig zeigte der Lichtstrahl auf den Rand des Lochs. Conchavez stockte beinahe der Atem. Rund um die Öffnung krabbelte es, als wäre ein Insektenschwarm am Werk. Aber das konnten unmöglich Insekten sein. Die einzelnen Partikel waren viel zu klein.
Wahrscheinlich das Ergebnis irgendeines chemischen Experiments, mutmaßte er. Sofort trat er zurück, überquerte die Fahrbahn und begab sich wieder zu seinem Aerobike. Kurz darauf entdeckte er am Horizont einen nahenden Fluggleiter.
Na endlich, dachte er. Sollten die sich mit dem Zeugs auseinandersetzen.
Die blinkenden Positionslichter wurden größer und heller. Wenig später setzte der Gleiter mitten auf der Straße zur Landung an. Er hing eine Weile in der Luft und senkte sich langsam auf die Fahrbahn. Als er aufgesetzt hatte, verstummte das Heulen und Summen. Die Positionslichter blieben eingeschaltet. Starke Scheinwerfer tauchten den Ort des Geschehens in taghelles Licht.
»Na, kommt schon, ihr Idioten«, murmelte Conchavez vor sich hin. »Steigt endlich aus und übernehmt den Fall. Ich will weiter.«
Es dauerte noch fünf Minuten, bis zwei Männer und eine Frau in Uniformen ausstiegen und sich ihm mit energischen Schritten näherten.
»Ich bin Special Agent Colette Hastings vom Technical Security Service. Dies sind die Agents Frank Peters und Don Holloway!«, herrschte ihn die Frau sogleich an. »Was ist hier los?«
Anscheinend hatte sie das Sagen. Die beiden Männer blieben schweigend und mit finsterer Miene hinter ihr stehen.
Fehlt nur noch die Sonnenbrille, dachte er belustigt.
»Sergeant Luis Conchavez von der Traffic Patrol«, antwortete er kühl, blieb weiter an sein Aerobike gelehnt und nickte zum Transporter. »Sehen Sie doch selbst nach. Der Scheißklotz soll ein sogenannter Robo-Transporter sein, aber er rührt sich keinen Zentimeter vom Fleck. Laut Kontrollcode gehört das Ding dem Pharmakonzern Norris & Roach. Die haben hier irgendwo in der Wüste eine Niederlassung. Und da ist ein Loch in der Seitenwand.«
»Mir ist bestens bekannt, dass es sich hier um einen Robo-Transporter handelt. Ich bin zwar eine Frau, aber nicht dumm«, blaffte sie ihn an. »Wir haben die Meldung über eine Störung erhalten. Wir wollen wissen, was Sie bis jetzt festgestellt haben.«
So eine eingebildete Zicke.
»Nichts! Außer diesem Loch«, sagte er gelassen. »Es gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich, den Grund für liegen gebliebene Fahrzeuge technisch zu analysieren. Meine Aufgabe besteht lediglich darin, solche Fälle zu melden.«
Die Frau schnaubte verächtlich und nickte Agent Peters zu, worauf sich dieser wie von der Tarantel gestochen umdrehte und sich in Richtung Transporter in Bewegung setzte. Er umrundete ihn und kehrte kurz darauf wieder zurück.
»Da ist tatsächlich ein Loch in der Seitenwand«, sagte er mit monotoner Stimme.
»Schauen Sie im Innern nach, was los ist«, befahl sie ihm kühl.
Daraufhin drehte er sich erneut um, öffnete die Noteinstiegsluke und verschwand darin.
Der Transporter besaß keine Führerkabine im üblichen Sinne, sondern nur eine Notfallsteuerkonsole, die sich auf der Seite des Fahrzeugs befand. Damit konnte es manuell zur nächsten Wartungszentrale gelenkt werden.
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