1 ...8 9 10 12 13 14 ...29 »Ist er nicht das Produkt einer Mentalprojektion?«
»Dachte ich auch, aber anscheinend steckt mehr dahinter. Er behauptete jedenfalls, Neha und ich wären seine Eltern. Am Ende unserer Begegnung, als wir ihn fragten, ob wir ihn wiedersehen würden, meinte er, wir müssten zunächst dafür sorgen, dass es ihn in Zukunft auch wirklich geben werde.«
»Du glaubst, Neha wird ihn demnächst zur Welt bringen?«
»Neha glaubt daran. Ich bin mir nicht so sicher. Gezeugt wurde er aber vor meiner ersten Begegnung mit ihm.«
»Dann könnte es sich um eine von Neha ausgehende Projektion gehandelt haben.«
»Das hatte ich zuerst auch gedacht. Dem widerspricht jedoch die Tatsache, dass unser Freund Ernest Walton ihm schon vor über sechzig Jahren begegnet ist.«
»Das ist allerdings merkwürdig.«
Plötzlich summte Kevins Kommunikator.
»Was gibt’s?«, fragte er.
»Das Tauchboot ist bereit«, hörten sie aus dem Lautsprecher.
»Dann lasst uns abtauchen.«
Eine halbe Stunde später standen sie vor der Einstiegsluke des Tauchbootes. Christopher stieg als erster ein, gefolgt von Neha und Michelle. Kevin bildete den Schluss und verschloss den Einstieg hinter sich. Dann setzte er sich auf den Pilotensessel und aktivierte das Steuersystem.
Kurz darauf setzte sich das Boot an den Gleitschienen entlang nach unten in Bewegung, durchquerte die Dekontaminations- und die Druckausgleichsschleuse und verließ wenig später den Schacht. Die Umgebung außerhalb des Bootes verdunkelte sich sofort. Auch als das Boot die Wasseroberfläche berührte und untertauchte, änderte sich daran nichts. Kevin übergab der Schiffssteuerung die Koordinaten des Sphärenstandortes und schaltete die Scheinwerfer ein.
Michelle saß neben Neha auf einem der beiden hinteren Sitze und beobachtete das Geschehen schweigend. Seit dem Start des Tauchbootes konnte sie bei Neha eine ungewohnte Nervosität erkennen. Ihr Atem ging teilweise ruckartig, und sie änderte häufig ihre Sitzposition im Sessel. Konnte es sein, dass sie von ihrem Vorhaben nicht hundertprozentig überzeugt war?
Kevin beschleunigte und ließ das Boot senkrecht in die Tiefe tauchen. Minuten vergingen, in denen sich weder das Bild im Panoramafenster noch auf den Anzeigen änderte. Nur die Zahl des Tiefenmessers stieg in gleichbleibender Geschwindigkeit.
Michelle wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs waren, als unter ihnen plötzlich das vertraute blaue Leuchten erschien. Die Sphäre schien sie zu erwarten und machte sich bemerkbar.
Kevin drosselte die Geschwindigkeit und steuerte das Boot auf das Licht zu. Dieses verstärkte sich beinahe zu einem Weiß, bevor es den Anschein erweckte, es befände sich überall um sie herum. Wenig später schwächte es sich wieder ab, während sich gleichzeitig das Blau intensivierte.
»Ich bin gespannt, ob wir auch diesmal wieder zusammen mit dem Boot reingeholt werden«, sagte Kevin.
Doch bis es soweit war, mussten sie sich noch gedulden. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Lichtpunkte erschienen, auf sie zuschossen und sie einhüllten.
Michelle erinnerte sich an Christophers Schilderung über seinen ersten Tauchgang zum selben Ort, als die Lichtpunkte ins Innere des Bootes drangen, seinen Körper umhüllten und er sich gleich darauf an einem anderen Ort wiederfand. Damals hatte die Sphäre nur seinen Körper aus dem Boot geholt. Sämtliche anderen Gegenstände, auch seine Kleider und Schuhe, waren zurückgeblieben.
Als sie die mittlerweile vertrauten Lichtpunkte außerhalb des Bootes sah, wartete sie nur darauf, dass sie auch diesmal ins Innere dringen und sie alle umhüllen würden.
Aber sie taten es nicht. Stattdessen wurde das Tauchboot durch immer mehr Lichtpunkte eingehüllt, bis von dem blauen Licht dahinter nichts mehr zu sehen war. Gespannt starrte sie durch das Panoramafenster nach draußen. Die Lichtpunkte schienen beinahe eine hypnotische Wirkung zu entfalten.
Plötzlich verschwanden sie. Von einem Augenblick zum anderen änderte sich das Bild im Panoramafenster.
Michelle erkannte sofort die vertrauten blauen Türme und im Vordergrund die vielen unförmigen Plattformen. Das Tauchboot befand sich anscheinend auf einer davon. Am rechten Rand des Panoramafensters konnte sie eine Art Hügel mit einem großen Loch erkennen, was ihr ebenfalls vertraut vorkam. Es handelte sich um einen der Eingänge zum Innern der Sphäre. Allerdings wussten sie bis heute nicht, ob innerhalb einer Sphäre mehrere davon existierten.
»Sieht so aus, als sei wie letztes Mal das ganze Boot hineingeholt worden«, unterbrach Kevin das Schweigen.
»Meine Transfers verliefen bisher anders«, erwiderte Christopher.
»Dann lasst uns aussteigen. Das Wetter scheint angenehm zu sein.«
Einer nach dem anderen erhoben sie sich aus den Sitzen. Kevin öffnete die Luke und stieg als Erster aus, gefolgt von Neha und Christopher. Michelle bildete den Abschluss.
»Scheint eine sehr große Plattform zu sein«, bemerkte Kevin. Er machte ein paar Schritte auf die Höhle zu, blieb stehen und richtete den Blick weiterhin geradeaus. »Ich habe mich letztes Mal schon darüber gewundert, wie man sich hier in den Distanzen täuschen kann.«
»Ging mir beim ersten Mal auch so«, erwiderte Christopher. »Man macht einige Schritte und denkt, man nähere sich dem Ziel, um dann festzustellen, dass man nach wie vor fast gleich weit davon entfernt ist, weil die Distanz viel größer ist, als man gedacht hat.«
Kevin drehte sich um die eigene Achse. »Wie geht es jetzt weiter?«
Michelle, Christopher und Kevin blickten fragend zu Neha.
»Ich schlage vor, wir begeben uns in die Höhle und schauen, was dann passiert«, erwiderte sie.
»Hast du eine ungefähre Ahnung, wann es mit der Geburt soweit sein wird?«, fragte Christopher.
»Ja. Sobald ich in meiner Sphäre bin, wird es geschehen.«
»Aber das hier ist nicht deine Sphäre. Wir werden noch einen Transfer hinter uns bringen müssen. Mindestens einen.«
»Es wird hier im Inneren geschehen.«
»Weißt du, wie es danach weitergehen wird?«
»Nach dem nächsten Transfer?«
»Nein, nach der Geburt. Werden wir mit dem Kind einfach wieder zurückkehren?«
»Dann hätten wir gar nicht erst hierherkommen müssen«, meinte Michelle lakonisch.
»Ich glaube nicht, dass Ahen mit uns zurückkehren wird«, antwortete Neha.
»Wenn es so ist, nehme ich an, dass du auch bleiben wirst. Irgendein menschliches Wesen muss sich um den Säugling kümmern.«
»Ich weiß es nicht.«
Michelle sah Neha verwundert an. Eigenartigerweise machte sie trotz ihrer unschlüssigen Antworten einen sehr entschlossenen Eindruck.
Neha drehte sich um und ging mit zügigen Schritten auf die Höhle zu. Christopher, Michelle und Kevin folgten ihr unverzüglich.
Nachdem sie über eine Viertelstunde ins Innere der blauen Höhle eingedrungen waren, ging Neha plötzlich in die Knie und griff sich mit den Händen an den Kopf. Sofort eilten die anderen herbei und knieten sich neben ihre Gefährtin.
»Was ist mit dir?«, fragte Michelle besorgt.
Neha antwortete nicht. Ihr starrer Blick war auf den Boden gerichtet. Sie atmete heftig.
Nach einer Weile sagte sie: »Etwas Schlimmes wird passieren oder ist bereits geschehen.«
»Etwa hier?«
»Nein.«
»Wo dann?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was wird passieren?«, wollte Michelle wissen.
»Es ist etwas mit meiner Sphäre.« Nehas Stimme klang verzerrt.
»Sie wurde doch nicht etwa zerstört.«
»Das glaube ich nicht. Sonst würde ich keine Signale mehr von ihr empfangen. Aber ich kann nicht sagen, was es ist. Ich spüre nur einen sehr starken mentalen Druck, der von ihr ausgeht.«
Kaum hatte Neha zu Ende gesprochen, entstand unmittelbar vor ihnen ein winziger Lichtpunkt, der sogleich zu wachsen begann. Er dehnte sich in alle Richtungen aus und nahm immer mehr die Form eines senkrecht stehenden Ovals an. Michelle wusste, um was es sich dabei handelte. Die Sphären benutzten diese Lichtobjekte, um Gegenstände von einem Ort zu einem anderen zu transferieren. Obwohl sie mittlerweile schon mehrmals solche Transmissionen erlebt hatte, spürte sie aufgrund Nehas vorheriger Aussage eine große Anspannung. Was würde sie in der anderen Sphäre erwarten?
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