Wurzeln I und II lernen sich kennen
Eines Tages bat Janus seinen Sohn Jóanis zum Schmied zu gehen, um ein paar Meißel schleifen zu lassen. Jóanis wartete, während der Schmied seine Arbeit machte. Der Schmied erhitzte das Eisen in der Esse, bis es glühte. Dann klopfte er die Spitze flach und scharf, wobei Funken in alle Richtungen flogen.
Jóanis wurde auf eine Tasse Tee in die Küche gebeten. Ja, danke, das wollte er gerne. Man war jederzeit gastfreundlich im Dorf. Ein Mädchen namens Anna, das er vorher noch nie gesehen hatte, schenkte ihm Tee ein. Er sah auf ihre Hände. Von nun an half Jóanis immer gerne, alle Meißel seines Vaters scharf zu halten. Er wartete und wurde in die Küche des Schmiedes zu einer Tasse Tee eingeladen. Anna war fest angestellt beim Schmied. Sie wurde Anna á Skælingi genannt. Jóanis’ Herz pochte. Ihre Gefühle zueinander stiegen wie der Dampf aus der Tasse Tee. Anna bemerkte das schüchterne Schimmern in Jóanis’ Augen und errötete. Als sich ihre Blicke über den Teetassen trafen, schaute er verlegen in die andere Richtung. Er war drei Jahre jünger als sie. Sie verliebten sich und wurden ein Paar, was von Janus gebilligt wurde. Anna kam von einem Hof auf einer ganz anderen Insel weit weg. Der Zufall wollte, dass ihre Mutter den gleichen Namen wie Jóanis’ Mutter trug: Birita.
Die jungen Leute hatten auch den gleichen Nachnamen, Joensen, obwohl sie nicht miteinander verwandt waren. Und sie waren beide am Fuße eines pyramidenförmigen, hohen Berges aufgewachsen.
Jóanis’ Vater, Königsbauer Janus, beschloss, ihm ein Grundstück zu schenken, damit er ein Haus für sich, Anna und ihre zukünftige Familie bauen konnte. 1906 war das Haus fertig, und sie heirateten. Im Jahr darauf, 1907, wurde ihre erste Tochter, Birthe Margrethe, geboren. Innerhalb der nächsten sechzehn Jahre brachte Anna neun Kinder zur Welt, von denen sieben lebensfähig waren. Eins dieser Kinder war Sigrid.
Anna á Skælingi und Jóanis í Innistovu wurden Sigrids Eltern.
Das zu unseren Wurzeln. Mit großem Interesse las ich die Jahreszahlen im Buch „Tey byggja land“ von J. Símun Hansen. Ich bin ihm sehr dankbar für seine umfangreiche Arbeit, die es ermöglichte, die Zeiten der Vorfahren zu bestimmen.
Die nördlichste Insel der Färöer – Viðoy
Der Name Viðoy bedeutet Holzinsel und verdankt ihr dem Treibholz, das in Viðvík, Holzbucht, an Land getrieben wird. Viðvík ist eine große Bucht südlich der Ostbucht. Das Gebiet umfasst 41 Quadratkilometer und es gibt elf Berge sowie zwei Dörfer: Viðareiði und Hvannasund. Die Berge auf der Insel sind schwer zugänglich. Der Villingadalsfjall ist 841 Meter, der Enniberg 755 Meter und der Malinsfjall 750 Meter hoch. Es gibt keine Pfade, und es wird nur erfahrenen Bergsteigern empfohlen, sich außerhalb der öffentlichen Wege zu bewegen.
Von Viðareiði kann man bis zur Nordspitze der Insel, dem Enniberg, dem höchsten senkrechten Kliff Europas und vielleicht sogar der ganzen Welt, wandern.
Ende des 17. Jahrhundert zerstörte ein heftiges Unwetter die Kirche von Viðareiði und spülte Teile des Friedhofes samt Gräbern ins Meer. In einem gewaltigen Wintersturm im Jahre 1847 sank die Brigg Marwood vor Viðoy. Die Dorfbewohner retteten die Besatzung, und als Dank schenkte ihnen der britische Staat feines Silber, das man in der Kirche ansehen kann.
Hier befinden sich die Kirche und der Pfarrhof, wo die Hauptperson in Jørgen-Frantz Jacobsens Roman „Barbara“, die Pfarrersfrau Beinta, wohnte.
Ein Abend im Frühsommer am großen Stein
Die Sonnenstrahlen färbten die Berge rotorange. Es war fast eine Stunde vor Mitternacht. Draußen am großen Stein versammelten sich die Jugendlichen. Henry hatte eine kleine diatonische Harmonika, einen kleinen flotten Einreiher, bekommen. Einer seiner älteren Kameraden besaß auch eine. Sie spielten vom Licht des Sonnenuntergangs hinter dem Villingadalsfjall. Die spröden, melodischen Töne inspirierten die Jugendlichen zu Versen und färöischen Liedern. Es herrschte Leben rund um den großen Stein. Es hieß, dass der Stein Zauber enthielte. Ein Mann kam schwankend den Pfad hoch. Er sang fröhlich und schwang lustig eine Flasche. Er kniete sich neben den großen Stein, und während die Jugendlichen zusahen, legte er die Hand auf den Stein und forderte: „Öffne dich, öffne dich.“ Die Worte waren auf Dänisch mit starkem färöischem Akzent. „Denn huldufólk , Trolle, müssen auf Dänisch angesprochen werden“, sagte er. Nichts geschah und die Jugendlichen sangen und spielten weiter.
Skizze des Hauses, das Jóanis baute. Das Elternhaus der sieben Geschwister.
Auf dem Gipfel des Malinsfjalls lagen immer noch Schneewehen, und die letzten Strahlen der Abendsonne ließen den Schnee leuchtend rotorange gegen den dunklen, roten Hintergrund des Berges scheinen. Ein roter Widerschein der untergehenden Sonne.
Der Villingadalsfjall stand im Schatten wie eine dunkle scharfe Silhouette gegen den helleren Himmel.
Vogelgezwitscher erklang die ganze helle Nacht. Der Regenbrachvogel, der Goldregenpfeifer und die Bekassine ( spógvi , lógv , mýrisnípa ) waren einige der charakteristischsten Vögel.
Der Wind hatte sich gelegt, man spürte nicht die eiskalte Luft. Es biss ein wenig in der Nase, und der Atem wurde zu weißem Dampf. Die Erwachsenen genossen die Abendstimmung und die Farben, sie besuchten sich gegenseitig, es wurde Tee und Selbstgebackenes serviert. Man plauderte und erzählte sich Geschichten.
Die Kinder wollten nicht ins Bett und niemand zwang sie. Das Leben war einfach nur schön.
Dies war der echte, färöische Sommer. Das Dorf lag im Schatten, die Sonne ging nordnordwestlich im Atlantik unter, um in wenigen Stunden wieder nordnordöstlich am Horizont aufzusteigen, nördlich von Fugloy. Der Himmel blieb hell und sternenlos. Es war die Zeit der hellen Nächte. Die Jahreszeit ohne Petroleumlampen.
Dieser wunderschöne Sommer, wo die Natur Schönheit und Frieden atmete.
Torf – Erlebnisse – Wärme
Sigrid erwachte.
Hahnenschrei und ihre innere Uhr weckten sie um fünf. Es war völlig hell. Die Sonne schien durch den Gardinenschlitz. Sie drehte sich vorsichtig im Bett um, um ihre große Schwester, Schwester genannt, nicht zu wecken, die mit tiefen Atemzügen schlief. Deshalb lag sie ganz still und lauschte den Geräuschen, die durch die dünnen Holzwände des Hauses drangen.
Die Hähne im Dorf krähten und antworten einander. Es hieß, dass sich die Hühner mit einem Hahn im Hühnerhof am wohlsten fühlten und mehr Eier legten. Sigrid war morgens immer gut aufgelegt, im Gegensatz zu Schwester, der es schwerfiel aufzuwachen. Sie war die Erste, die zu Bett ging, da sie abends müde war. Zu den sanften Klängen der Harmonika war sie in den Schlaf gefallen. Sie schlief in der Kammer, die zum Pfad und dem großen Stein hin lag. Sigrid liebte die Harmonika, das einzige Musikinstrument der Dorfbewohner.
Sie erinnerte sich an die Abmachung, am Morgen mit zum Torfstechen zu gehen und freute sich darauf, obwohl sie erst fünf Jahre alt war. Am 10. August wurde sie sechs.
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