Plötzlich hörten sie einen lauten Pfiff. Jóanis erschien und kam mit raschen Schritten auf sie zu. Er war mit seinem Tageswerk fertig. Das Boot war geteert, und das Fischernetz und die Haken in Ordnung gebracht. Er roch nach Teer, den man schwer von den Händen bekam. Teer setzte sich in den Hautfältchen fest, und Flecken auf der Kleidung ließen sich nicht vermeiden.
„Gibt es etwas zu essen?“, fragte er.
„Natürlich!“, lautete die Antwort.
Die Reste vom getrockneten Lammschenkel kamen hervor, ebenso Dolch, Brot und Margarine, und die noch hungrig waren, aßen. Auch für Vater gab es ein Stück Kuchen.
Wie man doch Appetit und rote Wangen von der frischen Luft bekam. Selbst Anna hatte ein wenig Farbe in ihrem sonst kreideweißen Gesicht bekommen. Mit Jóanis in der Nähe fühlte sie sich sicher, er würde schon mit dem Stier fertig werden, wenn es sein musste. Es ist gut, dass Jóanis gekommen ist und uns nach Hause begleitet, dachte sie. Sie begnügte sich mit diesem Gedanken, denn so etwas sagte man nicht laut. Man drückte seine Gefühle nicht aus.
Es wurde Abend. Der Weg nach Hause war anstrengender als der Hinweg. Alle waren müde nach der schweren Arbeit des Tages und der frischen Luft. Die Jungs liefen nicht vorneweg, und außerdem ging es den Hügel hoch nach Uppi við Garð . Auf dem Heimweg holten sie Borghild ab. Jóanis trug sie auf den Schultern. Sie quietschte vor Wonne, als er mit ihr zu rennen begann. Nach einer warmen Tasse Tee und einem dicken Stück Schwarzbrot gingen alle zu Bett. Selbst Schwester ging zeitig ins Bett und schlief ein. Anna dankte Gott in ihrem Abendgebet, dass Jesus sie beschützt und dafür gesorgt hatte, dass der Stier sie nicht mit den Hörnern getötet hatte. Jesus hatte ihren Angstruf gehört.
Im Spätsommer wurde der Torf in große luftdurchlässige Stapel gelegt, damit der Wind durchziehen konnte. Der getrocknete Torf war hart und schwarz und färbte nicht an den Fingern ab. Er hatte Form und Größe von Mauersteinen mit ungleichmäßiger Struktur. Die Familie war unzählige Male draußen im Tal, denn es hing von Wetter und Wind ab. Dann musste der getrocknete Torf eingesammelt und sicher untergebracht werden. Erst wurde ein krógv , ein Steinfundament, gebaut. Der Torf wurde im krógv aufgeschichtet und zuletzt mit dicken Grassoden bedeckt. Regen drang nicht durch die Grassoden, der Torf blieb trocken. Dieses Steinfundament wurde Jahr für Jahr benutzt, und als kein Torf mehr übrig war, wurde es für die Schafe als Unterstand verwendet. Es war harte Arbeit, den Torf nach Hause, nach Uppi við Garð zu bringen. Jóanis folgte der Mode und baute einen modernen Handwagen mit zwei großen Rädern. Es bedurfte dreier Personen, um diesen Handwagen, voll mit Torf, zu bewegen.
„Man muss es sich so vorstellen: Zwei Kinder gingen vorneweg, jedes mit einem Seil über der Schulter den Wagen ziehend. Hinten am Wagen waren zwei Handgriffe. Hier ging ein Kind und lenkte den Wagen und passte auf, dass er nicht umkippte. Schwester bestimmte, dass sie lenkte und wir anderen ziehen sollten, was am schwersten war. In der Außenmark gab es keinen Weg, wir mussten über Grasbüschel, Steine, Löcher und Unebeheiten gehen. Näher am Dorf gab es einen holprigen Pfad. Man musste aufpassen, dass die Ladung auf dem zweirädrigen Handwagen nicht umkippte.
Zu Hause wurde der Torf in den hjallur, den Schuppen, oder in eine Kellerecke gelegt und ordentlich gestapelt. Wenn man sich die Mühe machte, konnte man viel Torf unterbringen. Ostwärts, in der Ostbucht, hatte Vater einen weiteren Schuppen gebaut. Wir brachten den Rest des Torfs so weit wie möglich vom Tal in den östlichen Schuppen, bevor der Schnee kam. So konnten wir an schönen Wintertagen den Rest holen und ihn mit dem Handwagen die drei Kilometer bis nach Hause und den Hügel hoch bringen. Viele Familien hatten sich einen Handwagen angeschafft, der Platz für viel Torf bot, da es die Arbeit erheblich erleichterte. Als mein Großvater Janus jung war, gab es keine Handwagen. Damals trug man den ganzen Torf in einem leypur auf dem Rücken. Am leypur war ein starkes Seil befestigt, das mit einem alten Strumpf umwickelt wurde, damit es nicht in die Stirn schnitt. Der leypur wurde mit der Stirn als Stütze und dem Gewicht auf dem Rücken getragen. Man trug sowohl mit dem Rücken als auch mit der Stirn.
Wir begannen im Alter von sechs, sieben Jahren im Torf zu arbeiten. Wenn wir beim Torfstechen und der Heuernte waren, blieben die Schularbeiten liegen, wir durften keine Zeit damit vergeuden. Wir mussten arbeiten. Das war in den 1920er Jahren. Kinder sollten tatsächlich arbeiten.
Kinderarbeit? Heute ist man gegen Kinderarbeit. Ob Kinder wohl in anderen Ländern immer noch arbeiten müssen, damit die Familie überleben kann? Und wir sind dagegen?
Wenn das Wetter gut war, sollten wir den Lehrer bitten, uns freizugeben, damit wir zum Torfstechen und zur Heuernte gehen konnten. Torf war unser einziger Brennstoff. Wir verwendeten ihn für den Herd, der die Küche und das ganze Haus wärmte. Die gute Stube, die Oststube, wurde nie benutzt. Die Tür war immer verschlossen, damit sie nicht die Wärme im Haus verbrauchte und eingestaubt wurde. Nur wenn der Pfarrer zu Besuch kam, wurde die gute Stube benutzt, und dann heizten wir den Kachelofen im Zimmer mit Torf.
Der Torf aus dem Tal verschaffte uns Wärme, warmes Wasser, warmes Essen, selbst gebackenes Brot und so weiter, und zwar das ganze Jahr über. Wir mussten bereits im Frühling abschätzen, wie viel Torf gestochen werden sollte, also wie viel wir für die zwölf Monate im Jahr brauchen würden. Ohne Torf keine Wärme, kein warmes Essen und kein Brot.“
Schafe – Tod – Fleisch – Wolle
Frühjahr: Die Schafe bekamen Lämmer, die Widder hatten ihre Mannespflicht erfüllt. Die Natur war erwacht, es war Frühling, das Gras wuchs. Die Bauern achteten sorgfältig darauf, wann sie den Widdern erlaubten, sich mit den Schafen zu vergnügen, denn die Lämmer sollten im Frühjahr geboren werden, wenn der schlimmste Schnee vorbei war. Die Schafe brachten verschiedenfarbige Lämmer zur Welt, die fröhlich miteinander spielten, um im nächsten Augenblick zur eigenen Mutter zu stürzen, sich fest an die Zitzen zu saugen und die warme Milch zu schlabbern. Der Hirte, der Bauer, kannte seine Schafe, jedes einzelne, und hielt ein wachsames Auge auf sie. Die Bauern wussten, welche Lämmer zu welchem Schaf gehörten. Die Schafe hatten Muttergefühle, liebten ihre Kleinen und säugten sie. In seltenen Fällen wurde ein Lamm verstoßen, manchmal fehlte auch Milch.
Zwillingsgeburten waren selten und Drillinge wurden fast nie geboren. Jóanis ging zum Schafspferch, wo bereits die Kinder aus den verschiedenen Häusern aus Uppi við Garð waren. Alle Schafe und Lämmer grasten gemeinsam. Die Pforten in den Steinwällen waren geschlossen. Die Menschen arbeiteten zusammen. Die Kinder lernten von klein auf, ihr eigenes Lamm von denen der anderen zu unterscheiden. Ein Lamm, das sich nicht entwickelte, wurde mit nach Hause genommen und vor dem Hungertod bewahrt. Es wurde ein heimalamb , ein Hauslamm.
Sigrid, die Borghild an der Hand hielt, sagte: „Sieh, Vater, das kleine braune Lamm, es kann nicht aufstehen.“
„Ja, das ist richtig“, sagte Jóanis, „wir müssen es mit nach Hause nehmen, die Mutter hat nicht genug Milch.“ Er hatte mehrmals nach dem Lamm gesehen.
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