Elin spürt kein Wohlwollen, keine Wärme, als sie brav ihren Knicks vor der alten Frau macht, die vor dem Herdfeuer sitzt. Auch die jüngere Frau, die am Herd steht und sich langsam umdreht, hat kein Lächeln übrig. Elin weicht erschrocken zurück und versteckt sich hinter dem Rock der Mutter. „Ich will zum Brüderchen und zum Schwesterchen“, bettelt sie leise und versucht, ihre Mutter aus dieser eisigen Atmosphäre zu ziehen.
Da öffnet sich die Tür und Magnus schiebt ein Mädchen in den Raum. Elin linst neugierig hinter dem Rücken der Mutter vor. Das muss die neue Schwester sein. Ein offenes Lächeln überzieht ihr kleines Gesicht.
„Schau Kristin, das ist Elin, deine neue Schwester und das ist deine neue Mutter.“
Das Mädchen wirft ihnen einen bösen Blick zu. „Ich will keine neue Mutter und keine neue Schwester“, ruft sie, dreht sich um und stürmt mit lauten Schritten die Treppe hinauf.
Elin, die ein paar Schritte auf das Mädchen zugegangen ist, greift schnell wieder nach der Hand der Mutter und steckt den Kopf in ihren Rock. Unsichtbar werden, nicht mehr hier sein, das wünscht sie sich und kämpft mit den Tränen. Auf Elins Sonnenwesen legen sich erste Schatten.
Elin fährt sich über die Augen. Wie lebendig und überaus deutlich die Bilder der Vergangenheit waren.
Michael blickt gedankenverloren in die Flammen.
„Können wir morgen weiterreden?“, fragt sie leise. „Ich fühle mich so unendlich müde.“
Michael steht auf und setzt sich vor Elin auf den Teppich. „Es tut mir leid, dass ich so aufgebracht war. Doch ich trage die Enttäuschung schon so lange mit mir herum. Jetzt hat sie sich halt einen Ausgang gesucht. Vielleicht ist es auch gut so, denn jetzt können wir endlich alles Trennende aus dem Weg räumen.“ Er berührt leicht ihre Hände. „Du bist ja ganz heiß. Hast du Fieber?“ Er fühlt ihre Stirn. „Du hast tatsächlich Fieber.“
„Liebst du mich noch?“, fragt sie leise. Ihre Augen sind riesengroß und dunkel.
„Natürlich, was denkst du denn“, erwidert er betroffen über die Verzweiflung, die mitschwingt.
„Dann ist es ja gut.“ Sie schließt die Augen. Michael trägt sie die Treppe hinauf, legt sie behutsam aufs Bett und deckt sie zu.
Draußen tobt der Sturm um das kleine Holzhaus. Drückt und presst sich mit sirrendem Geheul dagegen. Er rüttelt an den Fensterläden, als wolle er hereinkommen, um ihr das mühsam aufgebaute Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu rauben. Elin kauert sich tiefer in den breiten Ohrensessel und zieht sich die Wolldecke bis ans Kinn.
Sie ist ihnen ausgeliefert. Sie kann nichts anderes tun, als zu warten. Sie werden kommen, das spürte sie bereits am Morgen, als der Schnee mit harmlosen Flocken das karge, braune Vulkanland mit einem funkelnden, weißen Teppich bedeckte.
Plötzlich flackert das kleine Gaslicht, gebärdet sich in seinem Glasgehäuse wie wild, zuckt noch ein paarmal wie im Todeskampf, dann gibt es auf und erlischt. Dunkelheit erfüllt den kleinen Raum. Elin schreit leise auf, doch sie bleibt wie gelähmt sitzen und harrt der Dinge, die nun kommen, zwangsläufig kommen müssen.
Der Wind nimmt an Kraft zu, drückt so stark gegen den dünnen Holzladen, dass dieser mit Ächzen und Knarzen nachgibt und bricht. Holzteile bohren sich durch das Fenster. Glas klirrt und gibt den Weg frei für die eisigen Böen mit ihrer Schneelast.
In kürzester Zeit sind der braune Holzfußboden und der runde, fadenscheinige Teppich von einer Puderzuckerschicht bestäubt.
Das Herdfeuer gibt nun auch den Kampf auf. Kälte breitet sich aus, kriecht unter Elins Wolldecke, hüllt sie ein.
Plötzlich liegt ein Singen in der Luft. Hohe Töne, schrill schwingend, dringen durch das offene Fenster zu ihr herein.
Elin zieht die Beine auf den Sessel und stülpt sich die Decke über den Kopf.
Die Elfen aus Hafnarfjördur. Jetzt ist die Zeit der Abrechnung gekommen!
Elin schreit gellend auf.
Michael fährt aus dem Schlaf hoch, tastet nach der Lampe und knipst das Licht an.
Neben ihm wirft sich Elin von einer Seite auf die andere. Ihre Hände schlagen auf die Bettdecke, deren untere Hälfte bereits auf dem Boden liegt. Ihr rotes Haar klebt feucht an der schweißnassen Stirn und den Schläfen.
„Elin, wach auf!“ Michael schüttelt sie behutsam. Wie heiß sie ist. „Elin, komm schon. Schatz wach auf!“ Er schüttelt sie noch einmal. Endlich schlägt sie die Augen auf. Sie hat Mühe, ihren unsteten Blick auf ihren Mann zu richten.
Michael reicht ihr ein Glas Wasser und kühlt ihre heiße Stirn mit einem kalten Waschlappen. Besorgt schaut er sie an. „Elin, es ist alles gut. Du hattest nur einen bösen Traum.“ Er streicht ihr eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht.
Elin blickt ihn an, möchte etwas sagen, doch dazu fehlt ihr die Kraft. Kurz darauf fällt sie wieder in einen unruhigen Schlaf.
Michael löscht seufzend das Licht. Die Reise in die Vergangenheit wird nicht einfach werden.
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