Auswirkungen des Spendensystems der DDR auf das Spendenverhalten in Ostdeutschland heute
Eine Frage der Sozialisation?
vorgelegt an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen
Master-Studiengang Fundraising-Management und Philanthropie (M.A.)
betreut durch Herrn Dr. Kai Fischer
vorgelegt am 14. August 2020
Susanne Tharun
Dresden
Inhalt
1 Einleitung
2 Methodik
3 Fazit
Eingangs zwei Hinweise: Für eine gute Lesbarkeit werden nur männliche Bezeichnungen verwendet, obgleich immer Frauen mitgemeint sind. Der Begriff „Ostdeutsche“ bezieht sich auf alle, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, auch nach der Wiedervereinigung, geboren sind.
Ist der Ostdeutsche ein Spendenmuffel? Statistiken belegen es mit Zahlen, der Ostdeutsche spendet weniger und seltener als der Westdeutsche. Die Presse versucht es mit Sozialisationseffekt, geringerer Religionszugehörigkeit und dem Wohlstands- und Einkommensgefälle zwischen Ost und West zu erklären. Fachliteratur beziehungsweise Forschungsergebnisse sind kaum zu finden.
Diese Arbeit untersucht die Auswirkungen des Spendensystems der DDR auf das Spenden- verhalten in Ostdeutschland heute. Da die Zahlen bekannt sind, wird hier der Weg über die Geschichte des Spendensystems der DDR, dessen mögliche Folgen bis heute und die Sozialisation der DDR-Geborenen untersucht, also die menschliche Komponente, die uns Fundraisern im Spendenalltag allzu bekannt ist. Wenn man zudem in der DDR geboren und Fundraiser ist, ist es ein Muss die Hintergründe zu erforschen, um die Fundraising-Praxis aktiv und für die ostdeutsche Zielgruppe maßgerecht gestalten zu können. Ziel der Arbeit ist es, die Forschungslücke mit den Ergebnissen zu schließen.
Ziel dieser Masterarbeit ist es, die Auswirkungen des Spendenwesens der DDR zu analysieren, um neue Erkenntnisse über den Spender im Osten zu gewinnen, wie er tickt und wie er erreicht werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Forschungsfrage gestellt:
Welchen Einfluss hat das Spendenwesen der DDR auf das Spendenhandeln der Bevölkerung in den ostdeutschen Bundesländern heute? Unter Zuhilfenahme zweier Teilfragen wer- den Antworten gesucht. Welche Auswirkungen hat ein zentral gelenktes Spendenwesen auf die Spendenmotivation?
Motivation ist eine Grundvoraussetzung beim Spenden. Was aber passiert, wenn der Spender gar nicht intrinsisch spenden kann, weil er keine Wahl hat, keine freie Wahl bei der Organisation und keine freie Wahl des Spendenzwecks. Stumpft er ab? Kann er nach einem Systemwandel, quasi „ungelernt“ ein begeisterter Spender werden?
Und: Wie verändert sich die Spendenmotivation bei freier Wahl der NRO?
Die zu klärenden Hypothesen sollen konkrete Ergebnisse für die Beantwortung der Forschungsfrage liefern: Wenn das Spendenwesen in der DDR nicht zentralistisch organisiert gewesen wäre, dann würden die Ostdeutschen heute die Unterstützung von sozialen Be- langen nicht als Aufgabe des Staates sehen. Je unfreiwilliger und intransparenter Spenden in der DDR waren, desto schwieriger gestaltet sich heute der Beziehungsaufbau durch die NRO und die damit verbundene Spendenbereitschaft.
Für die empirische Forschung werden Experteninterviews mit offenen Fragen geführt. Interviews mit Menschen, die in der DDR geboren wurden und noch heute ihren Lebensmittel- punkt im Osten der Republik haben. Darüber hinaus ist bei der Wahl derer eine absolute Diversität beabsichtigt um möglichst viele Perspektiven zu ermitteln. Die Auswertung der Leitfaden geführten Interviews erfolgt mithilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse.
Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Das erste Kapitel bildet den theoretischen Rahmen. Anhand einer Literaturanalyse wird die Ausgangssituation zu den Themen, Geschichte, Politik und Spendenaktivitäten in beiden deutschen Staaten erörtert. Das zweite Kapitel bespricht die Methodik, also das Forschungsdesign, das Sampling der Datenerhebung, die Auswertung der Ergebnisse, die Diskussion und die Beantwortung der Forschungsfrage. Das Fazit bildet als letztes Kapitel eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie einen Ausblick ab.
1.1 Deutschland zwischen Kapitulation und Staatengründung
Die Siegermächte, USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion, teilten nach Kriegsende am 8. Mai 1945 das besetzte Gebiet in vier Zonen auf. USA, Großbritannien und Frankreich übernahmen den westlichen Teil, die spätere Bundesrepublik Deutschland. Der Ostteil, die künftige Deutsche Demokratische Republik, ging an die Sowjetunion. Auch Berlin als ehemalige Hauptstadt wurde in vier Sektoren, unter Herrschaft der Alliierten, aufgeteilt (vgl. Sontheimer/Bleek 1997: 17 ff). Folglich standen sich, abhängig von der Gesinnung der jeweilig besetzenden Siegermacht, Demokratie und Diktatur gegenüber. Ein wirtschaftlicher Strukturwandel nach 1945 war die Folge (vgl. Hüttmann 2012: 7 ff).
Auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 beschlossen die großen Siegermächte, außer Frankreich, die weiteren Geschicke Deutschlands. Man war sich einig, dass Deutschland an der Entfachung eines weiteren Krieges gehindert werden und die entstandenen Kriegsschäden wieder gut machen muss (vgl. Pötzsch 1998: 39 ff). Die durch den in Potsdam gebildet- en Kontrollrat vereinbarten Reparationen und Demontagen sollten die Wirtschaft derart schwächen, dass der Stand von 1932, also dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, wieder erreicht wird. Die westlichen Alliierten nahmen sich jedoch nur ein Drittel der vereinbarten Produktionsmittel. Anders sah es in der SBZ aus. Einige Industriezweige mussten Demontagen bis zu 80 Prozent hinnehmen. Hunderte Großbetriebe wurden in SAG umgewandelt und produzierten somit ausschließlich für die Sowjetunion. Pötzsch fasst die Situation zusammen: „Die Bevölkerung des sowjetisch besetzten Teils Deutschlands hat damit pro Kopf ein Vielfaches dessen aufbringen müssen, was die Bevölkerung der drei Westzonen an Reparationen geleistet hat.“ (1998: 40 f).
In den Westzonen wurden die Grundlagen für den deutschen Föderalismus geschaffen. Fortan wurde für die drei Westzonen der demokratische Aufbau vorangetrieben und eine Verfassung ausgearbeitet (vgl. Sontheimer/Bleek 1997: 24 ff).
Im Gegenteil zu der Schaffung einer bürgerlich-liberalen Demokratie im kapitalistischen Wirtschaftssystem des Westens, wurden grundlegende Änderungen in der SBZ angestrebt. Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung nach sowjetischen Vorstellungen, inklusive Enteignungen von Grund und Betrieben, ging einher mit der Erstarkung der Kommunisten. Im April 1946 wurde die sozialistische Einheitspartei SED, eine kommunistische Partei nach sowjetischem Muster, gegründet.
Die in Ost und West sichtbar grundlegend verschiedenen Interessen machten die Gründung zweier deutscher Staaten unabdingbar. Sontheimer und Bleek führen weiter aus, dass die deutsch-deutsche Teilung das Produkt des Kalten Krieges (1949 bis 1989/90), zwischen den Besatzungsmächten, war. (1997: 24)
Dieser kurze geschichtliche Überblick zeigt die Bedingtheit der unterschiedlichen Entwicklungen der Zonen nach der Kapitulation in direkter Abhängigkeit zu den Besatzern auf.
1.2 Die Bundesrepublik Deutschland bis zur Wiedervereinigung
1.2.1 Geschichte und Politisches System
Der hier beschriebene kurze Überblick dient zur Erläuterung möglicher Parallelen oder auch Gegensätze zur Geschichte der DDR. Im Zentrum der Ausführungen stehen Sozialisation und finanzielle Voraussetzungen der Bürger als Hinleitung zum Spendenverhalten heute.
Eine Kriegsfolge war die Inflation. Ihr begegnete man in der westlichen Besatzungszone mit der Währungsreform1 am 2. Juni 1948 (vgl. Pötzsch 1998: 63 ff). Mit Ludwig Erhard als Wirtschaftsminister entschied man sich für die Einführung der sozialen Marktwirtschaft. „Wohlstand für alle“, auf Basis von Steuergesetzen und Gesetzen gegen Wettbewerbsbeschränkung zur Unterbindung von Machtkonzentration, so Pötzsch weiter (1998: 91 ff), also basierend auf einem Ordnungssystem, was nicht auf staatlich geplante und gelenkte Zentralverwaltungswirtschaft, wie in den kommunistischen Staaten üblich, aufbaut (vgl. Sontheimer/Bleek 1997: 121).
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