Wieland Barthelmess
HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron
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Inhaltsverzeichnis
Titel Wieland Barthelmess HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorwort
Prolog
Gottesgemahlin des Amun
Die Herrin der Paläste
Sen-en-Muts Schülerin
Mutter Nubiens
Große königliche Gemahlin
Aima
Pharao Ma’at-ka-Re
Goldland Punt
Das Sed-Fest
Im Fayum
Epilog
Anhang: Verzeichnis der Personen
Anhang: Glossar
Anhang: Stammbaum Hat-schepsuts
Anhang: Karte von Unterägypten zur Zeit Hat-schepsuts
Anhang: Karte von Oberägypten zur Zeit Hat-schepsuts
Impressum neobooks
2007 glaubte man, endlich Hat-schepsuts sterbliche Überreste gefunden zu haben. Man vermutete sie in der Mumie einer unbekannten Frau aus dem Grab von Hat-schepsuts Amme Sit-Re, die man im Tal der Könige zurückgelassen hatte, während die Mumie der Dienerin bereits 1903 ins Kairoer Museum überführt worden war. Die DNA-Untersuchung schien dies zu bestätigen, erwies sich die Frau doch als nahe Verwandte von Thot-mose I (Hat-schepsuts Vater), Thot-mose II (ihrem Halbbruder) und Thot-mose III (Sohn ihres Halbbruders). Die Tatsache, dass ein eindeutig Hat-schepsut zugeschriebener Backenzahn ebenfalls perfekt in das Gebiss der Frauenmumie zu passen schien ‑ man hatte ihn in einem mit dem Namen der Königin beschrifteten Kanopengefäß gefunden ‑, ließ die Forscher überdies zuversichtlich sein. Endlich war man sicher, einige der Geheimnisse um eine der mysteriösesten Gestalten der Weltgeschichte aufklären zu können: Die übergewichtige Frau in Sit-Res Grab war zwischen 35 und maximal 60 Jahren alt, als sie offensichtlich eines natürlichen Todes starb - wahrscheinlich an Krebs und/oder Diabetes.
Es wurde sogar die bislang vertretene Annahme infrage gestellt, dass Hat-schepsut als machthungriges, bösartiges Frauenzimmer den Thron an sich gerissen hätte und schließlich einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war, nachdem sie ihren Stiefsohn und Neffen Thot-mose III über zwanzig Jahre lang davon abgehalten hatte, die legitime Nachfolge seines Vaters anzutreten. Sah man in der posthumen Zerstörung nahezu all ihrer Darstellungen und Bildnisse doch den Ausfluss des Hasses ihres gedemütigten Neffen, nachdem er mit Hat-schepsuts Tod endlich die Macht an sich hatte reißen können. Dennoch mussten im Lauf der Jahre die Datierung der Zerstörung von Hat-schepsuts Bildnissen von den Ägyptologen immer weiter nach vorne gerückt werden, so dass man heute davon ausgeht, dass sie erstmals unter Pharao Amun-hotep II erfolgte, dem Sohn und Nachfolger von Thot-mose III, ja, teilweise sogar noch sehr viel später, mit dem Bildersturm der Amarna-Zeit. Die Auslöschung der Erinnerung an Hat-schepsut gründete demnach also keineswegs auf persönlichem Hass, sondern vielmehr auf grundsätzlichen Überlegungen: Der Präzedenzfall einer Frau auf Ägyptens Thron, die zudem noch überaus erfolgreich war und mehr als zwanzig Jahre regierte, sollte offensichtlich ein für alle Mal aus der Geschichte sowie dem wohlwollenden Gedächtnis des Volkes getilgt werden.
Vier Jahre nach der Zuschreibung der Mumie an Hat-schepsut stellte ein aufmerksamer Forscher allerdings fest, dass der fragliche Backenzahn keinesfalls in die an der Mumie vorgefundene Lücke des Oberkiefers passte, sondern eindeutig ein Molar des Unterkiefers ist. Überdies erwiesen sich die DNA-Ergebnisse als weitaus weniger stichhaltig als zunächst angenommen, so dass die Zuschreibung jener Mumie an Hat-schepsut heute wieder mehr als fraglich erscheint. Vielleicht war die Königin also doch die anmutige Frau, als die sie sich gelegentlich darstellen ließ?
In der Zwischenzeit hatte sich in der Geschichtsschreibung jedoch das Bild der machthungrigen Despotin verfestigt, der es gelungen war, ihren Neffen erbarmungslos zu unterdrücken und von der Regierungsgewalt fern zu halten. Seltsamerweise galt Pharao Thot-mose III jedoch zu keiner Zeit als verweichlichter Schwächling, sondern vielmehr als einer der durchsetzungsstärksten Herrscher des Alten Ägyptens, den man gerne mit Alexander dem Großen und Napoleon verglich. Es schien nahezu unvorstellbar, dass sich Neffe und Tante, auf welche Art und Weise auch immer, hatten einigen können und selbst die ansonsten so konservative ägyptische Gesellschaft, einschließlich des Adels und der Priesterschaft, nichts gegen eine Frau auf dem Thron einzuwenden gehabt hätte.
Was war seinerzeit geschehen? Wer war diese Frau, deren Thronbesteigung offensichtlich sogar mit breiter Zustimmung der regierenden Klasse, ja, des ganzen Volkes erfolgte. War es tatsächlich reine Machtgier was sie leitete? Oder sah sie es als ihre von den Göttern gestellte Aufgabe an, das Land anstelle ihres schwächlichen Brudergemahls und später in der Vormundschaft für dessen unmündigen Sohn zu führen? Waren Hat-schepsut und Thot-mose III womöglich gar keine Gegner, sondern Verbündete, die im gegenseitigen Einverständnis zum Wohle ihres Landes handelten? War Hat-schepsuts Günstling Sen-en-Mut tatsächlich ihr Liebhaber, wie man bis heute vermutet und damit insgeheim auch unterstellt, dass eine Frau ohne Mann an ihrer Seite nicht zu dieser Fülle an Macht gelangen konnte? Und warum war Sen-en-Mut so spurlos wie plötzlich aus allen Aufzeichnungen verschwunden?
Dies ist ein historischer Roman, der Antworten zu geben versucht, indem er die Geschichte des Mädchens erzählt, das durch seine Geburt, wie es bereits ihr Name besagte, zur Ersten der vornehmen Damen wurde.
Endlich schickte die Sonne ihre ersten Strahlen über das östliche Gebirge. Hat-schepsut hatte die ganze Nacht darauf gewartet, nachdem sich ihre Urgroßmutter Ah-hotep gestern Abend auf so eigentümliche Art und Weise von ihr verabschiedet hatte. Kein Auge hatte sie zugetan, so meinte sie jedenfalls, und war jetzt dennoch hellwach. Ah-hotep hatte beim Abschied geradewegs so geredet, als ob sie einander nie mehr wieder sehen würden. Sogar ihr Äffchen hatte sie Hat-schepsut mitgegeben, obwohl die Sitti und das Tier unzertrennlich waren, seit Pharao es ihr geschenkt hatte, um sie über den Tod ihres geliebten Freundes Kares hinwegzutrösten. Doch Ah-hotep hatte tatsächlich darauf bestanden, dass Hat-schepsut den Affen zu ihrem Halbbruder und zukünftigem Gemahl Thot-mose mitnahm. Denn der war einer der Wenigen, die das Äffchen immer anständig behandelt hatten und er würde gewiss auch in Zukunft gut auf seinen neuen Freund aufpassen. Es wäre ihr ein großer Trost, hatte Ah-hotep noch gesagt, zu wissen, dass ihr tierischer Gefährte gut versorgt war. Und dem kleinen Thot-mose würde die Freundschaft zu dem lustigen Gesellen sicherlich ebenfalls gut tun.
So jung Hat-schepsut mit ihren zwölf Jahren auch war, so hatte sie dennoch sehr wohl verstanden, dass dies offenbar ein Abschied für immer sein sollte. Gewiss, ihre Sitti war über achtzig Jahre alt und Hat-schepsut wusste von niemandem in ganz Kemet, der noch älter war als sie. Und so sehr Ah-hotep ihre Urenkelin auch liebte ‑ für Hat-schepsut gab es daran nicht den geringsten Zweifel ‑, so sehr verachtete sie jedwede Art von Rührseligkeiten. Was geschehen musste, hatte zu geschehen. Wozu Tränen vergießen, die schließlich doch zu keinem anderen Ergebnis führen würden. Ja, Ah-hotep konnte erbarmungslos sein, auch und gerade gegen sich selbst. So hatte sie gestern Abend offenbar ganz nüchtern für sich selbst entschieden, dass es ihr Hinüberwechseln in die jenseitige Welt war, das in dieser Nacht anstand. Schon längst hatte sie darauf gewartet, dass es irgendwann einmal soweit sei. Nun fühlte sie, dass der Zeitpunkt gekommen war.
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