„Sobald du als Gottesgemahlin des Amun eingesetzt bist“, sagte Pharao zu Hat-schepsut, „wünsche ich, dass du an allen Besprechungen, Audienzen und Ratsversammlungen teilnimmst. Du wirst die täglichen Geschäfte eines Herrschers von Kemet kennen lernen. Du wirst erste Entscheidungen treffen und dich an die Verantwortung gewöhnen, die auf dich wartet.“ Zärtlich nahm er die Hand seiner Tochter in die seine. „Der Hofstaat ist loyal und wird dich, wo immer es nötig sein wird, unterstützen. Ich werde darauf achten, dass man dir den nötigen Respekt entgegenbringt. Um die Amun-Priester musst du dich jedoch selbst kümmern. Mach sie dir gewogen, sei eine gute Gottesgemahlin des Amun. Dann wird alles gut.“
„Es wird alles gut“, entgegnete Hat-schepsut stolz. „Ich bin ebenso Amuns Tochter wie du sein Sohn bist oder mein zukünftiger Brudergemahl Thot-mose. Und ich werde einfach immer nur daran denken, was Ah-hotep an meiner Stelle getan hätte.“
Die siebzig Tage der Einbalsamierungszeit waren wie im Flug vergangen und Hat-schepsut hatte sie zu nutzen gewusst. Nach reiflicher Überlegung hatte sie sich entschlossen, den Palast der Gottesgemahlin doch zu beziehen. Es war Zeit, von dem Haremsgeschwätz fortzukommen und der ständigen Überwachung durch ihre Mutter, der Großen königlichen Gemahlin Ahmes, zu entrinnen. Wer im Harem lebte, hatte sowieso nichts zu sagen. „Sobald du kannst, musst du da raus“, hatte Ah-hotep ihr immer wieder eingeschärft, und so wollte Hat-schepsut die Gelegenheit nun auch wahrnehmen. Wenigstens war Thot-moses Wohnung gleich die erste im königlichen Palast, so dass sie gleichsam Tür an Tür leben würden. Vor zwei Jahren erst hatte man Thot-mose im dunkelsten Winkel des Palastes, in dem sich auch der Übergang zum Amun-Tempel befand, eine kleine Wohnung zugewiesen. Vielleicht würde ihre Lage sich nun sogar als Vorteil herausstellen. Denn zwischen die beiden Gebäude hatte man, wie es Hat-schepsut auszudrücken beliebte, den Palast der Gottesgemahlin hineingequetscht. Vielleicht, so überlegte Hat-schepsut, sollte man einen Mauerdurchbruch machen, um Thot-moses Wohnung direkt mit ihrem Palast zu verbinden. Aber das hatte alles auch später noch Zeit.
Allein die Vorbereitung des so lange unbewohnt gebliebenen Gemäuers beschäftigte sie in jeder freien Minute. Ah-hotep, die letzte amtierende Gottesgemahlin des Amun, hatte nicht in jenem ihr zustehenden Palast wohnen wollen. Sie blieb lieber in ihrer Wohnung im königlichen Palast. Selbstverständlich hatte während der ganzen Zeit das gesamte Hauspersonal, einschließlich der Musiker, weiterhin zur Verfügung gestanden. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich mit der Zeit so manche Eigentümlichkeit eingeschlichen hatte. Warum sollte man einer nicht anwesenden Person Tag für Tag frisch zubereitete Mahlzeiten auf den Tisch stellen? Warum Truhen von Räucherwerk verbrennen, wenn niemand da war außer den Bediensteten? Warum Musiker auftreten lassen, denen niemand lauschte? Glücklicherweise hatte Hat-schepsut ihre Amme Sit-Re an der Seite, der man in Bezug auf Organisation und Wirtschaftlichkeit eines Haushaltes nichts vormachen konnte. So wehte schnell ein frischer Wind durch den verstaubten Palast.
Seit Ah-hotep seinerzeit den Titel der Gottesgemahlin des Amun für ihre Tochter Ah-mose Nefertari ersonnen hatte, war der Palast nahezu unverändert geblieben. Hat-schepsut fand ihn grässlich finster und altmodisch. Schon Ah-hotep hatte ständig über die kleinen, verwinkelten und allesamt irgendwie miteinander verbundenen, dunklen Kammern geklagt, so dass Hat-schepsut nun angeordnet hatte, ihn gründlich umzubauen. So ließ sie die Front zum Garten hin über die gesamte Breite des Palastes durch eine offene Säulenhalle ersetzen. Welch ein Geschrei erhob sich daraufhin! Es ginge nicht und sei völlig unmöglich, wurde immer wieder behauptet. Einmal war es ein Sakrileg, den alt-ehrwürdigen Palast derart zu verändern, dann waren es wieder statische Probleme, die vorgeschoben wurden. Schließlich fing Onkel Pen-Nechbet noch an, sich als General des Heeres um die Sicherheit Sorgen zu machen. „Ein geübter Bogenschütze …“, brummte er mit solch finsterer Miene, dass einem Angst und Bange werden konnte. Die Familie habe ja schon hinreichend Erfahrungen mit tödlichen Pfeilen gemacht, war doch auch Prinz Ahmose-Sa-pair, der Vater Pharaos, von solch einem Geschoss ums Leben gebracht worden. Sogar Pharao hatte sich schließlich besorgt gezeigt. Doch so schnell gab Hat-schepsut nicht auf. Sie konnte Pen-Nechbet davon überzeugen, dass die Bemühungen um Sicherheit eben bereits an den Außenmauren des Palast- und Tempelkomplexes greifen müssten, so dass man sich in seinem Inneren sicher fühlen konnte.
Mit dem Oberpriester Hapu-seneb war sie noch schneller einig geworden. Er mochte sie, wie sie immer wieder feststellen durfte und ja, Hat-schepsut mochte ihn ebenso. Also behandelte sie ihn freundlich und zuvorkommend, ließ aber keinerlei Zweifel daran, dass nach ihrer Meinung die Erhabenheit aller vorangegangenen Gemahlinnen des Amun nicht im Geringsten in Frage gestellt sei, wenn die gewünschten Veränderungen vorgenommen würden. Sogar als sie darauf bestand, einige der Räume von den Malern aus Kefdet ausgestalten zu lassen, überwand Hapu-seneb seine ursprünglichen Einwände und ließ sie schließlich gewähren. Die vorgeschobenen statischen Probleme wurden durch einen ihrer Lehrer unter den Amun-Priestern entkräftet. Binnen einer einzigen Nacht schuf er einen viel bewunderten Entwurf für den Umbau, der dann schließlich auch umgesetzt wurde. Eigentlich war es ja Sen-en-Muts Aufgabe, Hat-schepsut in die Pflichten einer Gottesgemahlin des Amun sowie in die Geheimnisse der Verwaltung des Tempels einzuweihen. Die meiste Zeit des Tages saß sie also mit dem Lehrer beisammen und hörte sich an, welches ihre Aufgaben waren und was alles es zu berücksichtigen galt. Der Tempel des Amun war ein weitverzweigtes Wirtschaftsunternehmen, das Tausenden von Menschen Arbeit und Brot gab. Wie sie erstaunt feststellte, war die Verwaltung ähnlich groß wie jene des südlichen Kemet, die im königlichen Palast zu Waset untergebracht war. Selbst im Delta hatte der Tempel des Amun Liegenschaften, um unabhängig zu sein von unregelmäßigen Papyrus-Lieferungen. Aber auch die täglichen Riten galt es für Hat-schepsut zu vollziehen, die bei Abwesenheit der Gottesgemahlin jedoch ausnahmsweise auch von einem Priester des Vertrauens durchgeführt werden konnten. Jede der Riten, jede Opfergabe, jedes Gebet hatte seine Bedeutung und seinen Ursprung, die man freilich kennen musste, um den Sinn in seiner Gesamtheit zu verstehen. Manchen Abend brummte Hat-schepsut der Schädel und sie hätte sich am liebsten gleich in ihr Bett zurückgezogen. Doch dann ging es weiter mit der Umgestaltung ihres Palastes. Anfangs meinte ihre Mutter, die Große königliche Gemahlin Ahmes, ihn nach Gutdünken ausstatten zu können, doch auch hier bestand Hat-schepsut darauf, das letzte Wort zu haben. So waren ihre Ausflüge in die Palastwerkstätten und Schatzhäuser bald berüchtigt. Sie erschien dort jedoch nie mit leeren Händen. Entweder brachte sie Statuen von alt-ehrwürdigen Verblichenen aus dem Palast mit, die ohne Schwierigkeiten wieder verwendet werden konnten, indem man die Namen der Dargestellten schlicht ausmeißelte und durch neue ersetzte, oder sie ließ Berge von Kissen und Decken zurückbringen, da ihr deren Farben oder Muster nicht recht gefielen. Jahrhunderte alte Alabastergefäße wurden an die Werkstätten zurückgegeben und gegen neue aus Glas eingetauscht. „In deinem Zimmer lebe bescheiden“, hatte ihr Ah-hotep immer eingeschärft. „Nach außen hin aber zeige, wer du bist. Lass die Menschen keinen Zweifel daran haben, dass du göttlicher Abstammung bist. Lass sie staunen und raube ihnen mit Prunk und Pomp den Atem.“
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