„Selbstverständlich“, verbeugte sich Hapu-seneb nicht recht wissend, was dies letztendlich bedeuten mochte.
Im selben Augenblick wurde abermals geklopft. Zunächst ganz leise nur, als wolle man kein Aufsehen erregen, schließlich aber immer heftiger werdend, als hätte jemand Angst, dass man sein Klopfen möglicherweise nicht hören könnte. Alle starrten zur Türe hin, als die Amme sie öffnete.
„Thot-mose, mein Bruder“, rief Hat-schepsut erstaunt. „Wie lieb, dass Du kommst. Dein Vater ist auch schon hier.“
Thot-mose hatte tatsächlich geglaubt, er sei der Erste und Einzige, der seiner Halbschwester in dieser schweren Stunde beistehen wollte. Er erschrak, als er seinen Vater so unerwartet neben Hat-schepsut auf dem Bett sitzen sah, umringt von Amun-Priestern im vollen Ornat. Er griff nach dem Affen auf seiner Schulter, als ob er ihn beschützen müsste, und wollte sich schon wieder zum Gehen wenden.
„Komm, Thot-mose“, rief ihm Hat-schepsut zu. „Setz dich zu uns. Unser Babu ist genauso traurig wie du und ich.“
Es war Thot-mose überaus unangenehm, sich an den Priestern vorbei in den Raum zu zwängen. Voller Respekt wollte er sich vor seinem Vater auf den Boden werfen, doch der hielt ihn am Arm fest und klopfte nur direkt neben sich auf Hat-schepsuts Liegestatt. Ängstlich setzte sich der Prinz neben den Vater und Pharao. Bloß nicht zu nah wollte er rutschen, denn er war sogleich losgerannt, als er die Nachricht von Ah-hoteps Tod gehört hatte und war weder gebadet, noch parfümiert. Thot-mose war mit zehn Jahren nur zwei Jahre jünger als Hat-schepsut und sah dennoch aus wie ein vorzeitig vergreister Fünfjähriger, wie eine liegen gebliebene Dattel, die vergessen worden und schließlich verschrumpelt war. Er roch tatsächlich nicht gut, wie jeder schnell feststellen musste. Thot-mose hatte gelernt, in den Mienen der Menschen zu lesen und ihre Abscheu zu erkennen, auch wenn sie versuchten, sie zu verbergen. Ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, brach der Thronfolger unvermittelt in Tränen aus. Sein kleiner, magerer Körper wurde regelrecht durchgeschüttelt. Der Affe auf seiner Schulter war ganz durcheinander und glaubte offenbar, seinen gepeinigten Freund beschützen zu müssen. Er schnappte sogar nach Pharao, als der versuchen wollte, seinen Sohn tröstend in den Arm zu nehmen. In seiner unerschöpflichen Großmütigkeit verzichtete Pharao jedoch auf eine Ahndung dieser Ungeheuerlichkeit. Die beiden Leibwächter hatten bereits die Dolche gezückt und steckten sie nun, auf Pharaos Wink hin, wieder zurück. Erst Hat-schepsut gelang es, ihren Halbbruder, etwas zu beruhigen, so dass auch der Affe endlich Ruhe gab. Sie kniete vor Thot-mose nieder und hielt seine zitternden Hände.
„Jetzt hab ich nur noch dich“, schluchzte Thot-mose kaum hörbar zu seiner Schwester. „Und den Affen.“ Der war inzwischen auf Hat-schepsuts Schulter geklettert und keckerte ganz leise in ihr Ohr, so wie er es immer bei Menschen tat, die er mochte.
„Wir halten zusammen, Brüderchen, du und ich. Wir werden füreinander da sein.“ Am liebsten hätte Hat-schepsut ihren Bruder umarmt. Doch sein Geruch hielt sie davon ab.
„So ist es Recht, Kinder“, freute sich Pharao. „Mit Hat-schepsut an deiner Seite kannst du viel erreichen, Thot-mose. Vertraue ihr nur! Sie wird dich unsterblich machen.“
Thot-mose seufzte herzzerreißend. „Ich will aber nichts erreichen und es wäre mir lieber, man ließe mich in Ruhe mein unappetitliches Leben leben.“
Da wurde ein weiteres Mal an die Tür geklopft. „Die Große königliche Gemahlin Ahmes wünscht, der Königstochter Hat-schepsut, der Frucht ihres Leibes, ihre Aufwartung machen“, rief der Herold gebieterisch. Sit-Re öffnete die Tür.
Auch Ahmes zuckte zusammen, als sie den Gemahl bei ihrer Tochter sitzen sah, umgeben von Amun-Priestern. Darüber hinaus saß auch noch der Thronfolger Thot-mose an seiner Seite, den Pharao mit seiner Nebenfrau Mut-nofret gezeugt hatte.
„Oh“, sagte sie schließlich, „du hast bereits Besuch, meine Tochter.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Ich werde mich besser, um die angemessene Ausübung der Trauer kümmern. Lief mir doch gerade eben so ein dummes, singendes Ding über den Weg. Sie sei so glücklich, weil ihr Liebster sie endlich erhört habe, brachte sie als Entschuldigung hervor. Man stelle sich nur vor! Und das alles im Palast des Pharao, der in tiefster Trauer liegt!“
„Du kannst dich nachher darum kümmern!“ Pharaos Stimme klang so, als duldete er keinen Widerspruch. „Jetzt komm zu uns und lass uns gemeinsam Ah-hoteps gedenken. Auch du hattest deiner Großmutter viel zu verdanken. Und hat sie dich nicht oft genug auch als ihre Lieblingsenkelin genannt?“
„Das hat sie …“ Ein Lächeln huschte über Ahmes’ verhärmtes Gesicht. „Damals … vor der schlimmen Zeit … als noch alles gut war.“
Von ihren vier Kindern mit Pharao war nur noch Hat-schepsut am Leben geblieben. Zuerst war die jüngere Schwester Nofru-biti gestorben. Sie war von Geburt an kränklich und sollte keine zwei Jahre alt werden. Ahmes, die das bedauernswerte, auf Zuwendung so angewiesene Kind über alles liebte, versank damals schon in tiefster Trauer. Doch der schlimmste Schicksalsschlag sollte erst noch kommen. Vor etwa drei Jahren war der Thronfolger Amun-mose von seinem jüngeren Bruder Wadj-mose aus Unachtsamkeit mit einem Pfeil erschossen worden. Es war nichts anderes als ein tragischer Unglücksfall. Dennoch fürchtete Wadj-mose, der durch Amun-moses Tod schließlich zum Thronfolger wurde, dass man ihm auf alle Zeiten berechnenden Mord unterstellen würde, mit dem er seinen Bruder aus dem Weg geräumt hätte. Der arme, kleine, verzweifelte Wadj-mose, den Hat-schepsut von ihren Geschwistern am meisten liebte, nahm sich schließlich im Kerker das Leben, in den die Mutter in ihrer hilflosen Trauer den eigenen Sohn hatte werfen lassen. Pharao war damals auf einem Feldzug in Nubien und hätte erst nach seiner Rückkehr über das weitere Schicksal des Sohnes entscheiden sollen. Doch bis dahin war Wadj-mose längst schon tot. Auch wenn sie es nie ausgesprochen hatte, fühlte sich Ahmes schuldig am Tod ihres zweiten Sohnes – und Hat-schepsut empfand durchaus ebenso. Denn nichts hätte Wadj-mose nötiger gehabt, als das Mitleid und die Vergebung seiner Mutter. Doch in ihrem verzweifelten Kummer um den getöteten ältesten Sohn konnte ihm Ahmes beides nicht geben. Seither war sie ununterbrochen in Trauer. Pharao brach es fast das Herz, seine um zwölf Jahre ältere Große königliche Gemahlin bereits mit Anfang vierzig wie eine Greisin nur noch von Tod und Sterben reden zu hören. Wie ein Gespenst wandelte sie zu nachtschlafender Zeit durch den Palast und suchte immer wieder jene Orte auf, wo ihre Söhne am liebsten gespielt hatten. Jeder Todesfall im Palast und sei es auch nur der des geringsten Dieners ließ sie ihre Trauer in geradezu selbstzerstörerischer Art und Weise wieder und wieder von neuem auffrischen. Und da Hunderte von Bediensteten den immer größer gewordenen Palastbetrieb aufrechterhielten und kaum eine Woche ohne Todesfall verging, erstarrte Ahmes in fortwährender Trauer. Das einfache Volk hatte seinerzeit gefürchtet, der Nil könne salzig werden von den unablässig geweinten Tränen der Großen königlichen Gemahlin. Doch inzwischen weinte Ahmes schon lange nicht mehr. Sie habe bereits all ihre Tränen vergossen, meinte sie, und sei nun trocken und öd wie eines der Wadis, die in die Wüste führten. Bald würde Hat-schepsut, das am wenigsten geliebte und nun allein übrig gebliebene ihrer Kinder, anstatt ihres Bruders Amun-mose den schrundigen Halbbruder Thot-mose heiraten müssen, den Pharao mit seiner Nebenfrau Mut-nofret gezeugt hatte. Ahmes würde niemals Königsmutter werden, obwohl sie doch zwei gesunden Söhnen das Leben geschenkt hatte. So zog sie sich immer mehr zurück in ihre selbst gewählte Welt der Trauer, der Abgeschiedenheit und des Kummers.
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