„Ich!“ Schimascha war noch verwirrter. „Zeig dich, damit ich dich sehen kann.“ Dann hatte sie einen Geistesblitz. Sie hob das Ei auf Augenhöhe und fragte: „Du steckst da drin, richtig?“ Sie spürte eine zustimmende Bewegung im Ei: „Ja, und ich bin dein zukünftiger Kampfgefährte.“
„Was meinst du damit?“, wollte Schimascha wissen, doch das Ei antwortete nur: „Alles zu seiner Zeit.“
Schimascha marschierte zügig durch die Einöde, bis sie das große steinerne Tor sah. Davor war eine ganze, kleine Armee der Tarborianer stationiert, welche die Grenze bewachte. Kein Wunder, schließlich führte sie geradezu ins Orkreich. Als Schimascha sich näherte, kam der Kommandant der Wache, erkennbar an seiner weißen Edelholzrüstung, auf sie zu, verbeugte sich und grüßte: „Willkommen, mächtige Schamanin! Wohin des Weges?“
„Nach Norden, Soldat.“ Der Kommandant sah sie fragend an. „Der Norden ist groß. Es geht mich ja nichts an, könnte ich vielleicht trotzdem ein genaueres Ziel erfahren?“ Schimascha schüttelte den Kopf. „Ich weiß es selber noch nicht genau. Der Dschungelgott hat mich auf eine Mission geschickt, von der ich noch nichts Exaktes weiß.“ Der Kommandant dachte erst einen Moment nach, dann sagte er schließlich: „Nun gut. Dann wünsche ich Ihnen ein gutes Gelingen.“
„Danke, möge der Dschungelgott schützend über Sie und Ihre Kameraden wachen.“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab und schritt durch das mächtige, steinerne Tor.
Lange nachdem Schimascha das Tor hinter sich gelassen hatte, meldete sich das Ei wieder: „Du, Schimascha?“
„Was ist?“
„Ich wollte fragen, ob du mir einen Namen geben würdest.“ Schimascha war überrascht und dachte über diese Bitte nach, bevor sie antwortete: „Noch nicht, solange du nicht geschlüpft bist. Ich weiß schließlich noch nicht, was du bist. Oder kannst du es mir verraten?“
„Könnte schon“, antwortete das Ei. „Doch ich will dir die Überraschung nicht verderben.“
11. Kapitel – Fleisch und Metall
Irgendwo in der Wüste
Mittag des vierten Tages nach dem Fall von Erlin
Steil gingen die sandfarbenen Steinwände nach oben. Soweit Erwin links und rechts blicken konnte, sah er nur Wände, an denen man nie im Leben hätte hochklettern können. Er schwitzte am ganzen Körper und war wieder einmal froh, dass seine Lehrlingsrobe weiß war. Während er nach einer Schlucht oder irgendeinem Weg durch die Wände suchte, zupfte der laufende Tintenfisch an seinem Gewand. Erwin blickte ihn an, und der Tintenfisch eilte zu einer Felsspalte, die Erwin bis jetzt übersehen hatte. „Gut gemacht“, lobte Erwin, bückte sich und streichelte den Tintenfisch. Er stutzte: War der Tintenfisch größer geworden? Gestern war es noch so groß wie ein kleiner Welpe. Jetzt war er schon größer als ein ausgewachsener Hund. Erwin kam noch ein anderer Gedanke: Womit sollte er ihn füttern? Bis jetzt ging es mit gebratenen Wüstenechsen ganz gut. Doch „größer“ bedeutete auch mehr Hunger. ‚Ein Grund mehr, weiter zu kommen‘, dachte er und ging auf die Felsspalte zu.
Langsam schritt Erwin durch den breiten Spalt, der sanft anstieg und so auf ein Plateau führte. Oben angekommen, wollte Erwin ersteinmal verschnaufen. Mehr und mehr merkte er, dass sein dürrer Lehrlingskörper nicht gerade kräftig war. Während er versuchte, seinen Atem zu beruhigen, flitzte der Tintenfisch an ihm vorbei. „Bleib hier!“, rief Erwin noch, doch der Tintenfisch dachte gar nicht daran, sodass Erwin nichts anderes übrig blieb, als hinterher zu rennen. Der Tintenfisch verschwand hinter einem riesigen Felsen. Erwin hetzte ihm hinterher, umrundete den Felsen und …
… erschrak. Er machte entsetzt einen Schritt zurück. Er traute seinen Augen nicht. Das Wesen, das vor ihm stand, bestand aus sandfarbenem Metall und trug ein graues Ei. Sofort dachte er, dass dies kein Wesen aus Fleisch und Blut sein konnte. Er hatte jedoch nicht ganz Recht.
Erwin ahnte nicht im Geringsten, dass GKR-3443 noch überraschter war als er.
GKR-3443 verstand eigentlich bis dahin überhaupt nichts. Er war am Morgen wieder erwacht und wusste gar nicht, wer er war, wo er war und was überhaupt passiert war. Erst dann kam seine Erinnerung langsam wieder, doch diese half ihm nicht gerade, Übersicht über die Ereignisse zu bekommen. Warum hatte er es getan? Woher kam der Mut? Woher kam überhaupt sein eigener Wille? Solange er sich zurückerinnern konnte, hatte er stets die Befehle seiner Herren befolgt. Er fühlte sich in Gedanken so frei wie noch nie zuvor.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem seltsamen Wesen zu. Es sah aus wie ein Mensch in einer weißen, schlichten Robe. Es gab aber deutliche Unterschiede: Da waren einerseits die spitzen Ohren und dann noch das Gesicht. Während die Gesichter der Menschen, die er je gesehen hatte, immer etwas schwabbelig waren, sah dieses Gesicht aus, als hätte man die Haut stramm über die Knochen gezogen. Während GKR-3443 den Elf ungläubig anstarrte, kam Bewegung in diesen. „Stirb, metallener Dämon.“ Grelles Licht blitze auf und ein Lichtpfeil raste auf ihn zu. Im letzten Moment konnte der Roboter ausweichen. Der Lichtpfeil zischte vorbei und pulverisierte einen Felsen zum Großteil. GKR-3443, noch immer verwirrt, versuchte zu beschwichtigen: „Ich habe keinen Grund, mit dir zu kämpfen.“ Der Elf sah ihn hasserfüllt an: „Versuch nur, mich zu blenden! Ich werde dich vernichten!“ Noch ein Lichtpfeil, und dieser traf. GKR-3443 wurde nach hinten geschleudert.
GKR-3443 schlitterte mehrere Meter weit, blieb aber auf den Beinen. Er erkannte, dass er um den Kampf nicht herum kommen würde, weshalb er zur Sicherheit das Ei in eine Luke seines Körpers packte, wo es sicher war. Dann wandte er sich seinem Angreifer zu.
Erwin war verunsichert: Dieses Wesen, welches er für einen Dämon hielt, hatte den Angriff genauso unbeschadet überstanden wie der schwarze Ritter. Doch Dämonen sind extrem anfällig gegenüber Lichtmagie. Angstschweiß rann von seiner Stirn herab, als er die Befürchtung bekam, dass es Dämonen geben könnte, die immun gegenüber Lichtmagie waren. Vielleicht sollte er fliehen. Nein, er wollte nicht noch einmal davonrennen. Diesmal würde er kämpfen. Trotzig blickte er seinen Gegner an. Dieser hatte ihn mit seinen grün leuchtenden Augen im Blick. „Wenn ich ihn nicht von vorne angreifen kann, sollte ich es von hinten versuchen“, schoss ihm es durch den Kopf und er schritt zugleich zur Tat. Er rannte los und versuchte ihn zu umkreisen. Das metallische Wesen schien seine Absicht zu erahnen und begann sich nun zu drehen, sodass immer seine Vorderseite zu Erwin gerichtet war. Erwin rannte immer schneller, doch das Wesen konnte mithalten. Der Elf hielt an, als er erkannte, dass es keinen Zweck hatte. Das metallische Wesen sprang plötzlich nach vorne und griff mit seiner Metallkralle nach ihm. Erwin reagierte nicht rechtzeitig genug und wurde gepackt. Er wurde in die Luft gehoben und schließlich gegen einen der Felsen gerammt. Nicht heftig, fast schon sanft. Doch Erwin bemerkte nichts davon, denn selbst dieser sanfte Aufprall machte ihn benommen. Dann aber sah er wieder deutlich und blickte dem Wesen in die grünen Augen. Sie waren ohne Iris und Pupille. ‚Ich muss mich befreien.‘, schallte es in seinen Gedanken. Doch seine Arme waren fest eingeklemmt, sodass er nicht zaubern konnte. Panik kam in ihm auf. Dann aber schoss ihn ein Gedanke durch den Kopf. Sein Meister hatte ihm erzählt, man könnte die Lichtenergie auch durch die Augen abgeben. Während das Wesen immer noch nichts tat, sondern ihn nur ansah, schloss er die Augen und konzentrierte sich. Er spürte, wie das Licht sich in seinen Augen sammelte. Dann riss er die Augen auf und das Licht bündelte sich zu zwei Lichtstrahlen, welche dem metallischen Wesen direkt in die Augen rasten.
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