Als der Leichnam in den Sarg gelegt wird, kann sich Spitzer, der Henker, einen höhnischen Kommentar nicht verkneifen. Eine Verbeugung vor dem Toten machend, feixt er: „Herr Wallisch, bei Ihnen war es mir ein ganz besonderes Vergnügen!“ Noch in der Nacht wird der Leichnam auf den Leobener Zentralfriedhof gebracht und begraben, die Spuren verwischt. Man befürchtet einen Märtyrerkult, niemand soll die Stelle kennen, doch einige Arbeiter haben die nächtliche Szene beobachtet; bereits am nächsten Morgen liegt deshalb ein Kranz auf der Grabstätte. Angehörige der Heimwehr lassen ihn wegbringen, doch gleich liegen wieder neue Blumen auf dem Grab. Daraufhin setzt man Paula Wallisch unter Druck – sie solle den Leichnam ihres Mannes einäschern lassen. Die Witwe lehnt ab. So tragen die Arbeiter weiterhin ihre Liebe und ihre Racheschwüre zum heiligen Grab des Märtyrers. „Der Hass der Besitzenden, der Hass der Reaktionäre, der ihn viele Jahre verfolgte, hatte sein Ziel erreicht.“ Erst im Jahre 2008 erhält der hingerichtete Arbeiterführer sein Denkmal: Am Leobener Koloman-Wallisch-Platz wird ein 4 Meter hohes und 1,5 Meter breites Monument des Leobener Künstlers Herbert Lerchegger aufgestellt.
Die Erschießung Andreas Hofers
Mantua, die alte österreichische Festung in der Lombardei, nunmehr unter französischer Herrschaft. Seit 5. Februar sitzt im Al-Vaso-Turm am sogenannten „Mühlendamm“ bei der Porta Nuova ein prominenter Gefangener: der Sandwirt Andreas Hofer, durch Verrat des Grubhofbauern Franz Raffl auf der Pfandleralm in die Hände der Franzosen gefallen. Napoleon Bonaparte, der die Niederlagen am Bergisel nicht verwinden kann, will das Blut des Tiroler Freiheitshelden fließen sehen und seine Offiziere sind willfährig: In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1810 wird Andreas Hofer von einem französischen Kriegsgericht im Palazzo des Grafen von Arco-Chieppio Ardizzoni zum Tode verurteilt; die Exekution für 1 Uhr angesetzt. Die „Schuld“ des Sandwirts: Er habe nach der Proklamation vom 12. November 1809, die ja die Begnadigung aller Anführer der „Rebellen“ vorsah, noch einmal zu den Waffen gegriffen, sei damit wortbrüchig geworden und habe damit für sich jede Schonung verwirkt. Hofers Verantwortung, dass er von seinen Kampfgefährten unter Androhung des Todes „umgedreht“ worden sei, findet kein Gehör; sein Pflichtverteidiger Gioacchino Basevi kann in dieser Farce eines Gerichtsverfahrens nichts mehr für ihn tun. In Wien hat zwar Kaiser Franz I. am 12. Februar Staatskanzler Metternich angewiesen, „alle tunliche Verwendung“ für die Befreiung und Rettung Hofers zu unternehmen; da man Napoleon jedoch so knapp vor der Hochzeit mit Erzherzogin Marie-Louise nicht „wehtun“ will, verschleppt man geschickt die Angelegenheit und informiert zu spät den österreichischen Botschafter in Paris, den Fürsten Schwarzenberg; auch Erzherzog Johann, an den Hofer einen letzten Hilferuf gerichtet hat, „vergisst“ einfach seinen Tiroler Mitstreiter – die beiden Habsburger opfern ihn für das Staatsinteresse.
Andreas Hofer zeigt sich bei der Verkündung des Urteils ruhig und gefasst; seinen letzten Brief schreibt er an den ehemaligen Schützenmajor Josef Pühler in Neumarkt, darin nimmt er Abschied von seiner Familie und schließt mit den Worten: Ade meine schnede Welt, so leicht khombt mir das Sterben vor, das mir die Augen nass werden, geschrieben um 5 Uhr in der freue, Und um 11 Uhr Reiss ich mit der Hilfe aller heilig zu gott.
Um 10.45 Uhr treffen die Grenadiere des Exekutionskommandos im Gefängnis ein. „Fest und aufrecht, wie der Tapfere sich stets gezeigt“ (Egmont Fehleisen), begleitet von seinem Beichtvater Propst Giovanni Manifesti, tritt Hofer aus seiner Zelle. In den Händen hält er ein mit Blumen geschmücktes Kruzifix. Er bittet noch, seinem Mitgefangenen und Sekretär Kajetan Sweth etwas Geld – sechs italienische Scudi – und ein paar Zeilen schicken zu dürfen, was ihm auch gestattet wird: Auf einen Zettel notiert er: Lieber Kajetan, empfange das letzte Vermögen, das ich habe. Lebe wohl und bete für mich. Abgelehnt wird dagegen seine Bitte, nochmals seine inhaftierten Landsleute sehen zu dürfen. Vor dem Gefängnis übergibt Hofer, so erzählt es sein Biograf Fehleisen, seinem Beichtvater noch einen 500-Gulden-Bancozettel, den dieser den gefangenen Tirolern übergeben soll, sie mögen, so seine Bitte, für seine Seelenruhe beten. Der Weg führt an den Zellen der gefangenen Landsleute vorbei; viele knien nieder und bitten um seinen Segen oder strecken ihm auch nur die gefesselten Hände entgegen.
Nachdem sie auf der Bastei der Porta Ceresa angekommen sind, bilden die Grenadiere ein Viereck; in der Mitte nimmt Andreas Hofer Aufstellung. Das Todesurteil wird noch einmal verlesen. Er weigert sich niederzuknien, auch die angebotene Augenbinde weist er entschieden zurück – er sieht den sechs Soldaten, die nun ihre Gewehre auf ihn anlegen, in die Augen und kommandiert selbst: „Gebt Feuer!“ Nach den ersten sechs Schüssen sinkt er nur auf die Knie, auch nach weiteren sechs Schüssen lebt er noch immer; der kommandierende Offizier, ein Luxemburger namens Michel Eiffes, tötet ihn schließlich mit einem Gnadenschuss aus nächster Nähe.
Der Leichnam Hofers wird auf dem Friedhof der Kirche San Michele in Mantua beerdigt; in der Nacht zum 10. Jänner 1823 exhumieren Tiroler Kaiserjäger aus Bozen die sterblichen Überreste und bringen sie nach Innsbruck, wo sie in der Hofkirche beigesetzt werden – Kaiser Franz I. reagiert mit strenger Bestrafung der an dieser „Aktion“ beteiligten Offiziere und Soldaten. Das Lied Zu Mantua in Banden (Text: Julius Mosen/Musik: Leopold Knebelsberger), das die Hinrichtung beschreibt und Hofer zu einem deutschen (!) Nationalhelden stilisiert, wird 1948 zur offiziellen Hymne des Landes Tirol erklärt; bis heute scheint diese eigentümliche deutschnationale „Färbung“ der Landeshymne niemanden zu stören.
Napoleon selbst ordnete die rasche Hinrichtung an: der „Märtyrertod“ Andreas Hofers in Mantua.

Gründung der theologischen Fakultät an der Universität Wien
Als Papst Urban V. am 18. Juni 1365 in Avignon die Errichtung des studium generale in Wien bestätigt und die aufstrebende habsburgische Residenz damit in die Reihe der Universitätsstädte Europas tritt, haftet diesem Gründungsakt ein schwerer Schönheitsfehler an: Die Alma Mater Rudolphina hat keine theologische Fakultät zugesprochen bekommen – das Wichtigste fehlt also, die neue Universität in Wien ist unvollständig, wohl ein Schachzug Kaiser Karls IV. aus dem Hause Luxemburg, der die 1348 gegründete Universität Prag vor der unliebsamen Wiener Konkurrenz schützen will.
Es ist nun Herzog Albrecht III. (1349/1350 – 1395), einer der jüngeren Brüder Rudolf „des Stifters“, aufgrund seiner eigenwilligen Haartracht besser bekannt als „Albrecht mit dem Zopf“, der im Jänner 1384 bei Papst Urban VI. in dieser Causa vorstellig wird: Der Pontifex möge doch auch für Wien eine theologische Fakultät zulassen. Urban VI., der im Gegenzug auf die Unterstützung der Habsburger angewiesen ist, kommt der Bitte aus Wien rasch nach: Am 21. Februar 1384 unterzeichnet er in Neapel eine Bulle, in dem er die Gründung von 1365 bestätigt und zusätzlich die Errichtung einer theologischen Fakultät bewilligt. Durch Vermittlung seines Kanzlers, des Bischofs Berthold von Wehingen, gelingt es Herzog Albrecht III., zwei angesehene Universitätslehrer für die neue Wiener Fakultät zu gewinnen: den Hessen Heinrich Heimbuche von Langenstein (1325 – 1397) und den aus Niedersachsen stammenden Heinrich Totting von Oyta (ca. 1330 – 1397). Heinrich von Langenstein, ein treuer Parteigänger Urbans VI., der bis 1382 den Lehrstuhl für Philosophie an der Sorbonne innehatte, zeichnet sich, dem Vorbild Paris folgend, als Reformator der Wiener Universität aus; beinahe noch mehr als die Theologie interessieren ihn jedoch Mathematik und Astronomie, so veröffentlicht er 1386 eine Studie Quaestio de cometa , in der er sich scharf gegen den Aberglauben der Astrologen ausspricht. Sein Freund Heinrich Totting von Oyta, auch er Lehrer an der Sorbonne und einst während einer Professur in Prag der „Ketzerei“ verdächtigt, gilt als mitreißender Prediger; beide „Gründungsprofessoren“ der Wiener theologischen Fakultät treten für ein Konzil ein, das die dringend anstehende Reform der Kirche in die Wege leiten soll; beide sind sie im Stephansdom begraben.
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