DAS NATIONALSOZIALISTISCHE WIEN
Sehnsucht nach dem größeren Reich des „Führers“: Gedenkmünze zum „Anschluss“.
Eintragung einer Lehrerin zum „Führergeburtstag“ in ihrem Unterrichtsbuch, 20. April 1943.
Robert Bouchal · Johannes Sachslehner
DAS NATIONALSOZIALISTISCHE WIEN
Orte · Täter · Opfer
Cover
Titel DAS NATIONALSOZIALISTISCHE WIEN Sehnsucht nach dem größeren Reich des „Führers“: Gedenkmünze zum „Anschluss“. Eintragung einer Lehrerin zum „Führergeburtstag“ in ihrem Unterrichtsbuch, 20. April 1943.
PROLOG Stramme Idealhaltung, gewichste Stiefel: Hitler demonstriert den „deutschen Gruß“.
Auch die Österreicherinnen und Österreicher grüßen deutsch
AM ABGRUND
Der „Anschluss“
Der Beutezug
Novemberpogrom
Die Verwandlung der Stadt und ihrer Menschen
BRENNPUNKTE DER NS-HERRSCHAFT
Ein Balkon für den „Führer“ – der Tag des Großdeutschen Reiches
Das Gauhaus
Hitler auf der Hohen Warte: die Schirach-Villa · Hohe Warte 52
Deutsche Arbeitsfront – Theobaldgasse 19
Reichspropagandaamt · Reisnerstraße 40
Im Hauptquartier der Hitlerjugend Albertgasse 35
Standortheim der HJ: das Otto-Planetta-Haus auf der Hohen Warte
Das Luftgau-Kommando XVII in der Esders-Villa
Kein „Heldenbunker“: der Schirachbunker
Das „Führerzimmer“ im Volkstheater
Maria-Theresien-Kaserne · Am Fasangarten
SA-Kaserne in Kaltenleutgeben
EINE STADT WIRD „JUDENFREI“
Die Deportation der Wiener Juden
WAS MAN MIT UNS MACHT, IST NACKTER MORD
Orte des Terrors
WIDERSTAND UND OPFER
Höllische Wettfahrt mit der Gestapo: Otto Vogl
Liebe in Zeiten der Guillotine
In den Händen der Gestapo-Folterknechte: Josef Sasso
Für ein Gedicht in den Tod: Felix Grafe
Wehrkreiskommando XVII
TÖTEN IM NAMEN DER GESUNDEN VOLKSGEMEINSCHAFT
Das Hauptgesundheitsamt · Das klassifizierende Archiv der Menschen
Monatlich töteten wir zwischen 6 und 10 Kinder · Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund
Der Kongress der Mörder in Gugging
DIE STADT IM „TOTALEN KRIEG“
Der Luftschutzbunker hinter dem Rathaus Wien
Das „Luftschutz- Raumnetz- Innere Stadt“: der Schutzraumkeller unter dem Palais Harrach
Zwei Luftschutzkeller unter einem Haus · Babenbergerstraße 5
Im Luftschutzbunker Schönbornpark
Der Splitterschutzdeckungsgraben im Orthopädischen Krankenhaus
Das Flugmotorenwerk Ostmark
Im Keller des ehemaligen Michaeler Bierhauses
Ein alter Luftschutzplan taucht auf
Ein Granatleitwerk im Holzgebälk
EPILOG
Literatur und Quellen
Bildnachweis
Danksagung
Die Autoren
Impressum
Machtdemonstration: 1.-Mai-Aufmarsch der Parteiformationen am Heldenplatz, 1938.
Stramme Idealhaltung, gewichste Stiefel: Hitler demonstriert den „deutschen Gruß“.
PROLOG
AUCH DIE ÖSTERREICHERINNEN UND ÖSTERREICHER GRÜSSEN DEUTSCH
Studiert man aufmerksam die Wochenschauberichte und Fotos aus den Tagen des „Anschlusses“, so fällt eines auf: Die rechten Arme der Österreicherinnen und Österreicher, die nun Deutsche sein wollen, fliegen so zackig und gekonnt zum „Heil Hitler!“ empor, dass man glauben könnte, sie hätten das schon lange vorher geübt. Der Winkel stimmt, die Handfläche ist wie in den Richtlinien vorgeschrieben nach unten geöffnet. Mit dem „deutschen Gruß“, so scheint es, wollen sie dem „Erlöser“, der da kommt, kundtun, dass sie für ihn bereit sind, ja, sich ihm ganz hingeben wollen. Es ist diese markige Unterwerfungsgeste, die sie dem „Führer“ zur Ankunft schenken können und die sie einbindet in die als groß und mächtig empfundene Gemeinschaft der Formel „Ein Volk! Ein Reich! Ein Führer!“. Ihre große Sehnsucht hat endlich Erfüllung gefunden.
Das ist keine Belanglosigkeit. Wenn es so ist, wie der deutsche Soziologe Tilman Allert in seiner luziden Studie über den „deutschen Gruß“ schreibt, dass der Gruß die „menschliche Begegnung moderiert, ihr einen Rahmen setzt, der die ersten Spielregeln definiert“, so gilt es, die offenkundige Faszination dieses Grußrituals für die neuen „Volksgenossen“ näher zu betrachten. Die „Ostmärker“, die dem „Führer“ zuliebe auf „Grüß Gott!“, „Servus!“ und „Guten Tag!“ verzichten, demonstrieren mit ihm vordergründig Loyalität, doch dahinter verbirgt sich mehr: Mit der Übernahme des „deutschen Grußes“ akzeptieren sie seine Herrschaft und liefern sich seinem Charisma aus, es entsteht eine Einengung der Wahrnehmung, eine „Wahrnehmungsschließung“, wie Tilman Allert dieses Phänomen nennt – sie gehe, so seine These, dem „antisemitischen Furor“ und den späteren Verbrechen der Nazis voran. Der „Hitlergruß“ ebne den Weg zur „moralischen Indifferenz und moralischen Perversion“. Jene, die sich dem neuen Gruß verweigern, müssen dies oft schmerzvoll erkennen – der Respekt vor der Würde des Menschen wird preisgegeben, es siegt die Sehnsucht nach Bindung im großen Heer des „Führers“.
Der ausgestreckte Arm ist allgegenwärtig: Bei Paraden, Aufmärschen, in der Propaganda der Presse und selbst bei Beerdigungen (oben) wird dem „Führer“ mit dem „verkleideten Schwur“ des Hitlergrußes gehuldigt.
Die Freiheit des
Grüßens gilt nicht mehr: emailliertes Metallschild, das den Eintretenden auf die neue Grußformel verpflichtet.
„Heil Hitler!“ ist nicht bloß ein Gruß. „Die Grußworte“, so schreibt der Völkische Beobachter schon 1935, „sollen uns immer wieder aus dem Kleinkram des Alltags herausheben und an die großen Ziele und Aufgaben erinnern, die Adolf Hitler uns allen gab“, sie sind die Zusicherung, dass man sich dem „Führer“ verpflichtet fühlt, wie Tilman Allert in seiner Analyse zeigt. Die Person Adolf Hitler werde durch die Grußformel sakralisiert, der „Führer“ mit „der Wirkungsmacht einer göttlichen Instanz ausgestattet gedacht, man glaubt an ihn, so wie man an Gott glaubt, und im Gruß wünscht man sich Heil durch ihn.“ Verstärkt werde diese Sakralisierung durch die Bewegung des Arms: Man gibt seinem Gegenüber nicht mehr die Hand, sondern reißt diese über ihn empor: „Er weist in die einsame Leere des Raumes auf den fiktiven Ort einer möglichen Begegnung, die im Irgendwo hoch über den Grüßenden liegt“. Zu diesem Aspekt der Unendlichkeit gesellt sich die militärische Zackigkeit: Der soldatisch anmutende „deutsche Gruß“ signalisiert „Aktionsbereitschaft“. Auch wenn sie keine Uniform tragen – die „Volksgenossen“, die zusammenstehen und die Arme hochreißen, agieren wie militärische Körper, demonstrieren bedingungslose Treue. Der „deutsche Gruß“ ist zugleich ihr exklusives Privileg – Juden ist die Ausführung des Hitlergrußes verboten, sein „magisches Potential“, wie Tilman Allert es nennt, bleibt den Mitgliedern der Volksgemeinschaft vorbehalten. In einer Art von „verkleidetem Schwur“, der beständig erneuert wird, verpflichten sie sich immer wieder aufs Neue dem „Führer“.
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