ABBAZIA
Am Strand. Algraphie von Stephanie Glax aus dem Zyklus „Der Tag einer Dame“, geschaffen 1900 während ihres letzten Studienjahrs an der Kunstgewerbeschule in Wien.
Johannes Sachslehner
K. u. k. Sehnsuchtsort an der Adria
Cover
Titel ABBAZIA Am Strand. Algraphie von Stephanie Glax aus dem Zyklus „Der Tag einer Dame“, geschaffen 1900 während ihres letzten Studienjahrs an der Kunstgewerbeschule in Wien.
SEHNSUCHT NACH DEM SÜDEN
EIN BRIGHTON IM SOMMER UND EIN CANNESIM WINTER
Eine neue Epoche beginnt
Schüler und sein Team
Unser Abbazia: Theodor Billroths Werbefeldzug
DIE ERSTEN HOTELS
Der Mann, der die Villen baut
Steter Aufschwung
Das kleine Monte Carlo
VORNEHME GÄSTE
Ein Steirer am Strand von Abbazia
Von Abbazia nach Mayerling
„Bolla“ und Nora
KUR-ALLTAG MIT GRANTIGEM HELDEN
Um die Meisterschaft von Abbazia
TRAGÖDIE AM KARFREITAG
Max Constantin Herz: Unser Abbazia gegenacute chronische Männerscheu
KAISERTREFFEN AM QUARNERO
Wilhelm, Phili, Linschi und Lilli beim Lawn-Tennis
Entrevue mit Oskar
ANTON TSCHECHOW TRIFFT IN ABBAZIAEINEN K. U. K. GENERAL
Ein Posträuber in Abbazia
Flora Horn: Wie lebt sich’s in Abbazia
OLGA, ARTHUR & SOPHIE: FLUCHTPUNKT ABBAZIA
AUS DEM LEBEN EINES KURARZTS
Die alte Lynker
Flora Horn: Abbazias Mondnächte
SKANDAL UM LOUISE
ICH BADE IM MEERE MEIN HERZ
Skandal um Isadora Duncans Badekostüm
Ida Barber: Frühlingsmoden in Abbazia
DER LETZTE RITTER DES KÖNIGSGAMBITS
AUTOMOBILE, MOTORBOOTE & SCHLACHTSCHIFFE
UND DANN KOMMEN AUCH DIE MINISTERNACH ABBAZIA …
Am Vorabend des Großen Kriegs
LITERATURVERZEICHNIS
Ein herzliches Danke
Bildnachweis
Impressum
Attraktion für die Gäste aus dem Norden: die Palmen von Abbazia. Ansichtskarte, um 1905.
ür die Menschen Kakaniens, des Landes unter dem Doppeladler, ist es das Traum-Reiseziel schlechthin: Abbazia, die aus dem Nichts gewachsene Versammlung von kaisergelben Hotelpalästen und Villen im nordwestlichen Winkel des Golfs von Fiume. Klimatischer Curort und Seebad zugleich, verheißt es seinen Gästen den Eintritt in die elitäre Welt des Müßiggangs und des exklusiven Vergnügens. „Herrliche Paläste winken mir zu im Lorbeerhaine, Prunk und Pracht, schöne Frauen, liebliche Musik! Als ob das Feinste der feinen Welt sich hier versammelt hätte, um mich zu grüßen“, schwärmt Besucher Peter Rosegger in seiner Reiseskizze Am Strande von Abbazia . Ja, ihm, dem Dichter aus dem Norden, der ansonsten den Besuch von Kurorten vermeidet, ist hier am Ufer des Quarnero so „wohl wie einem Seligen nach Erdennoth und Sterben“, er feiert hier die mystische Begegnung mit dem „sommerlich sonnigen Meer“, der „gewaltigen Harfe Gottes“: „Ich liebe das Meer und bade in demselben mein Herz.“
Für die eleganten Damen und Herren aus Wien und Budapest, aus Prag, Krakau und Lemberg, die plaudernd den Strandweg am Felsenufer entlang promenieren, ist der Aufenthalt in Abbazia zum willkommenen gesellschaftlichen Ritual geworden. Es ist ein „Bild voll Leben, Bewegung und Fashion“, die Damen beeindrucken mit „lichten, duftigen Toiletten“, die Herren tragen schon zur Mittagszeit den Smoking. Man ist stolz darauf, dass man hier, an diesem einzigartigen kakanischen „Sammelpunkt des high-life“, präsent ist, genießt nach „Lust und Laune sociale Amusements“ oder gibt sich auch nur der ungestörten Ruhe hin. Belohnt wird der Erholungsreisende mit der „Empfindung gehobener Kraft und frischesten Lebensmuthes“; Voraussetzung dafür sind eine gut gefüllte Reisekasse und eine entsprechende seelische und charakterliche Disposition: „Abbazia ist nichts für Herdenmenschen! Es ist ein vornehm stiller Kurort, ein zur Wirklichkeit gewordenes süßes Märchen, das seine eigens dafür gestimmten Gemüther verlangt“, schreibt 1897 die Reisejournalistin Flora Horn aus Grüna in Sachsen über die ganz besondere Atmosphäre des Seebads, dem sie, angezogen von der unwiderstehlichen „Sehnsucht nach Blüthenduft und lauen Lüften“, im Frühling und Sommer 1896 einen Besuch abstattet: wohlhabende, distinguierte Menschen in gepflegter Umgebung, ohne Hektik, eingebettet in die lichtdurchflutete Welt der Adriaküste. „Es lernt sich hier sehr schnell das Nichtsthun, eine Fähigkeit, die zu üben der an Thätigkeit gewöhnte Mensch an anderen Orten oft viele Mühe braucht“, weiß Flora Horn ihren Lesern zu berichten. Das dolce far niente erfüllt den Augenblick, der Alltag des Nordens verliert in diesem „köstlichen Hafen des Friedens“ seine Bedeutung, Dasein ist wunschloses Genießen: „Wir schwelgen in Meereswollust und dem schmeichelnden Musikgesang … nur der Minute gehört jetzt unser ganzes Sein, kein Vorwärts, kein Zurück … eine stumme Bitte: ,O Sonne, stehe still!‘ und ein Zurückdrängen alles Kommenden: ,après nous le déluge!‘“
Attraktion für die Gäste aus dem Norden: die Palmen von Abbazia. Ansichtskarte, um 1905.
„Nach uns die Sintflut!“ – nirgendwo passt dieses Wort besser als hier, wo sich ein distinguirtes Curpublicum allenfalls über die Höhepunkte des nächsten „Weißen-Kreuz-Balls“ im Hotel Kronprinzessin Stephanie echauffiert, nicht aber über Preiserhöhungen bei Brot und Fleisch, die die Arbeiter Wiens auf die Straße treiben. Abbazia, das „gottgesegnete Stück Land an der Küste des Quarnero“, ist die Enklave des Mondänen in Altösterreich, ein Ort, an dem das Verdrängen und Vergessen der wirklichen Welt zum Prinzip erhoben worden ist, glanzvolle Bühne für eine Gesellschaft, die in Ruhe und Stille genießt, die das Laute scheut, manches Unangenehme ausblendet. Ein Ort mit eigenem Rhythmus, frei vom „modernen Teufel, genannt Nervosität“ (Peter Rosegger), ihn „zu preisen reicht weder Zunge noch Feder hin“, schwärmt 1890 der bekannte Kurarzt k. k. Sanithäts-Rat Dr. Alexander Wettendorfer aus Baden. Ja, man ist stolz auf Abbazia, denn es ist die Geschichte eines kakanischen Erfolgs, über die man berichten kann; wo einst „Dürftigkeit und Weltvergessenheit vorwalteten“, blüht nun ein Winter-Kurort und Seebad, der „wirtschaftlichen Segen“ entlang der ganzen Küste, der „Österreichischen Riviera“, verbreitet, der dem „internationalen High-life Rendezvous“ gibt und für immer mehr gut betuchte Gäste zur Alternative für Nizza, Cannes oder Hyère wird. „Jedem Österreicher“, so behauptet die „illustrirte Cur- und Bade-Zeitung“ Hygiea, „ist Abbazia in’s Herz gewachsen“, sein „Aufstreben“ bedeute ein „österreichisches Interesse“.
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