Alle,
alle will ich
Arthur Schnitzler um 1905. Foto von Hertwig Aura.
JOHANNES SACHSLEHNER
Alle, alle will ich
ARTHUR SCHNITZLER
UND SEINE SÜSSEN WIENER MÄDEL
„Wohl die Liebe selbst“: Marie „Mizi“ Chlum, mit Künstlernamen Marie Glümer, als junges Mädchen.
Cover
Titel Alle, alle will ich Arthur Schnitzler um 1905. Foto von Hertwig Aura. JOHANNES SACHSLEHNER Alle, alle will ich ARTHUR SCHNITZLER UND SEINE SÜSSEN WIENER MÄDEL „Wohl die Liebe selbst“: Marie „Mizi“ Chlum, mit Künstlernamen Marie Glümer, als junges Mädchen.
DAS LIEBSTE WÄRE MIR EIN HAREM
Der Sex-Statistiker
Und die Weiber!
Das Theater um die Jungfräulichkeit
AUS DEM REIGEN EROTISCHER ABENTEUER
Venus
Marie Joppich
Gusti
Irma H.
Else von Kolschitzky
Anna Thoman
Antonie Faust
Gisela Freistadt
Charlotte Heit
Helene Kanitz
Lina
Jeanette Heeger
Adele Spitzer
Marie Rosner
Marie Glümer
Mizi Zach
Josefine Lydia Weißwasser
Camilla Theren
Eugenie B.
Marie Reinhard
Risa Strisower
Magda
Ida Falk
Hebe
Minna Hamon
Rosa Freudenthal
Irma Hoffmeister
Marie Elsinger
Leopoldine Müller
Quellen- und Literaturverzeichnis
Bildnachweis
Impressum
DAS LIEBSTE WÄRE MIR
EIN HAREM
„Mein Blut tanzt Cancan.“
Tagebuch, 13. Mai 1880
„Es ist wahr, ich hab ein lebhaftes Bedürfnis, jedes Mädel, in unserem gesellschaftl. moralischen Sinn tief zu verderben“
Tagebuch, 15. März 1896
Die jungen Frauen, die in die Ordination des Herrn Dr. Arthur Schnitzler kommen, sind fasziniert: Der junge, rötlichblonde HNO-Arzt mit dem etwas verträumten Blick ist charmant und liebenswürdig, er kann zuhören und beeindruckt durch tadellose Umgangsformen und elegante Kleidung – da passt jedes Detail, bis hin zu den gepflegten Händen. Ein Mann zum Verlieben, noch dazu ledig, wie man weiß, aus angesehener, wohlhabender jüdischer Familie, sein Vater Johann eine anerkannte medizinische Autorität und erfolgreicher Universitätsprofessor, er selbst, so hört man, schreibt und das mit viel Talent, sein Durchbruch zum anerkannten Autor kann wohl nur mehr eine Frage der Zeit sein.
Eine ausgezeichnete Partie also. Zwar wird in der Wiener Gesellschaft einiges über seine Frauengeschichten gemunkelt, man hört, dass er sich mit etwas leichtfertigen Mädchen aus der Vorstadt, ja, der Demimonde abgibt, doch was soll’s: Der Reiz, es doch zu wagen, ist groß und der Dr. Schnitzler beherrscht die Rituale der Verführung wie kein anderer: Es beginnt mit einem harmlosen Kuss, meist noch in der Ordination, und setzt sich fort mit gemeinsamen Spaziergängen und Ausflügen oder einem Theaterbesuch, es folgt eine Einladung zum exquisiten Souper mit Champagner im Chambre separée des Riedhofs und endet mit glühenden Zärtlichkeiten in einem Hotelzimmer. Er ist ein Mann, der ungeheuer einfühlsam sein kann, der zusammen mit seinen Partnerinnen lacht und weint und sie nicht selten mit der Intensität seiner Tränen verblüfft – Schnitzler ist ein heftiger „Weiner“ und zugleich ein hervorragender „Küsser“, ein Mann mit „süßem Mund“, nach dessen Küssen, glaubt man den zahlreich erhaltenen Briefen an ihn, die „Mädel“ regelrecht süchtig werden. Er ist zärtlich und rücksichtsvoll und vor allem absolut diskret, ein ungemein kultivierter Genießer, der seine Eroberungen nicht an die große Glocke hängt. Wer könnte da widerstehen?
Die jungen Frauen ahnen noch nicht, dass sich hinter der Fassade des nach außen hin so perfekten Liebhabers ein komplizierter Charakter verbirgt: ein Spieler und Hasardeur, der sein seelisches Gleichgewicht nur über immer wieder neue sexuelle Abenteuer findet. Der sich die Zeit mit Pferdewetten, Billard, Domino und langen Pokerabenden vertreibt und im „Spiel mit der Liebe“ (Alfred Doppler) das Spiel seines Lebens schlechthin gefunden hat. Schnitzler braucht den Sex, die „Sinnlichkeit“, wie er es nennt, um sich nicht in schweren Depressionen und Angstattacken zu verlieren, die er in seinen Tagebucheintragungen „Hypochondrien“ nennt. Um sich in diesem Leben zu spüren und die „tödtlichen Angstzustände immer und immer“ (TB, 19. März 1896) zu besiegen, ist er stets auf der Suche nach neuen Frauen. Er weiß nur allzu gut um diese Bedeutung der Sexualität für die innere Ökonomie seiner Person: „Meine impertinente Sinnlichkeit. Wenn ich eine Reihe von Tagen keusch war, 6 – 9 sind so das Maximum, so bin ich einfach ein Thier.“ (TB, 10. August 1890) Treue im klassischen Sinn – der Verzicht auf andere sexuelle Kontakte zugunsten der einen Auserwählten – ist daher für ihn kein Kriterium, auch wenn er manchmal selbst über die „Unsauberkeit“ seiner „inneren Verhältnisse“ und seinen „Leichtsinn ohne Kraft“ klagt – er will sich um jeden Preis die Freiheit bewahren, keine der Frauen „abweisen“ zu müssen, die bei ihm ihr Glück suchen wollen, ja, „das Bewußtsein sie haben zu können genügt oft“. Die Konsequenz: Auch „die andern alle, alle will ich …“ (TB, 19. März 1896), am liebsten wäre ihm gleich der Status Polygamie, wie er während seines Aufenthalts in Paris im Mai 1897 im Diarium vermerkt: „Sag ich mir die Wahrheit: das liebste wär mir ein Harem; und ich möchte weiter gar nicht gestört sein. Es ist zu bezweifeln, dass ich zur Ehe geboren“ (TB, 6. Mai 1897); einen Tag später wird er noch deutlicher: „(…) der Gedanke an Ehe erfüllt mich mit Grausen“. (TB, 7. Mai 1897) – Äußerungen, die charakteristisch für Schnitzler sind; um sie besser verstehen zu können, sei noch auf den Kontext dieser Einträge verwiesen: Auf der Flucht vor einem Skandal in Wien ist Schnitzler gezwungen, etwa zwei Monate mit seiner schwangeren Freundin Marie Reinhard in einer Wohnung in der Rue Maubeuge 5 zu leben. Die „Kleinheit der Zimmer“ und auch seine „sanfte“ Mizi gehen ihm manchmal auf die Nerven, wie er sich im Tagebuch des Öfteren eingesteht: „Heut war mir Mz. eher langweilig und ich empfand es nicht angenehm an sie gebunden zu sein. Merkwürdig wechselt das. –“ (TB, 19. Mai 1897)
Ja, Schnitzler scheut „fixe“ Bindungen, denn er hat Angst, dass sie seine große „Kraftquelle“, eine vielfältig ausgelebte Sexualität, beschneiden und ersticken könnten. Notorische Untreue ist dem Lebenskonzept Schnitzlers immanent, in immer wieder neuen erotischen Abenteuern offenbart sich ihm, wie er meint, die Wahrhaftigkeit des Lebens. Die Regeln in diesem Spiel gibt er vor: Es sind die Regeln des gesellschaftlich überlegenen Mannes, des Bonvivants und Ästheten, denen sich seine Geliebten unterwerfen müssen. Es ist ein Spiel, das er mit der zynischen Sicherheit eines wahren erotischen Virtuosen beherrscht, das ihn in unglaubliche Situationen manövriert, aus denen er sich doch immer wieder befreien kann. Wollte man diesen Befund kritischer und aus Sicht der Frauen formulieren, so müsste man einfach sagen: Schnitzler betrügt und belügt sie und verlässt sie am Ende doch.
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