Der Gauleiter: letzter Appell des Marschblocks, Nürnberg am 1. September 1938. Foto: Heinrich Hoffmann.
Johannes Sachslehner
ODILO GLOBOCNIK · Hitlers Manager des Todes
Der „Führer“: Gauleiter Odilo Globocnik bei der Eröffnung der Ausstellung „Bolschewismus ohne Maske“ am 10. Dezember 1938 in der Wiener Nordwestbahnhalle.
Foto: Bilderdienst Scherl.
Cover
Titel Der Gauleiter: letzter Appell des Marschblocks, Nürnberg am 1. September 1938. Foto: Heinrich Hoffmann.
Zitat Der Manager: Porträt von Hitler-Fotograf Heinrich Hoffmann, 7. Juli 1938. Die, die töten, sind Menschen wie die, die getötet werden, das ist die schreckliche Wahrheit. Jonathan Littell Die Wohlgesinnten
Vorwort
In der Sautratten
Letzte Spuren eines NS-„Haupttäters“
Koffer träger & Chauffeur
Vom Kärntner Abwehrkämpfer zum „illegalen Propagandisten“
„Globus“, der Verbindungsmann
Die „Kärntner Gruppe“ und der illegale Kampf
Ich habe für Sie die Macht ergriffen!
Der „Anschluss“-Agent
Kein Imperium Globocnik
Als Gauleiter in Wien
In Himmlers Schuld
Blutiger Auftakt in Polen
Ein angenehmer Chef
In Lublin wie zu Hause
Fahndung nach deutschem Blut
Entsiedlung, Zusammensiedlung & Aussiedlung
Lösen Sie die Verbindung!
Die Rickheim-Affäre
Das kommt von den dreckigen Juden!
158 Ghettos & Arbeitslager
Viel neue Arbeit
Himmler in Lublin
Aktion Hühnerfarm
Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen
Über den Bug
Planung zur „Aktion Reinhardt“
Ich hab nie einen Juden vernichtet
Globocnik-Gehilfe Hermann Höfle
Es kommt wieder Salat!
Die Todeszüge in die Vernichtungslager
Die geheimste Angelegenheit, die es gibt
Massenmord in Bełżec, Sobibór und Treblinka
Der „Judenkönig“
Odilo Globocnik und sein Hofjude Szama Grajer
Das „Sonderlaboratorium“ der SS
Die Zamojszczyzna
Der Herr Geschäftsführer
Die Ostindustrie GmbH
Aktion Werwolf
290 Terror in Zamośç
Ein Duo infernale
Mit Friedrich Rainer in Triest
Sonderabteilung „Einsatz R“
Die Risiera di San Sabba
Zehn Sekunden vor Mitternacht
Flucht auf die Mösslacher Alm
Zyankali
Selbstmord in Paternion
Anhang
Literatur- und Quellenverzeichnis
Namensregister
Bildnachweis
Impressum
Der Manager: Porträt von Hitler-Fotograf Heinrich Hoffmann, 7. Juli 1938.
Die, die töten,
sind Menschen wie die, die getötet werden,
das ist die schreckliche Wahrheit.
Jonathan Littell Die Wohlgesinnten
Die Geschichte Odilo Globocniks ist die Geschichte eines jungen Österreichers, der kein Österreicher sein wollte. Österreich, so meinte der in Triest geborene und in Kärnten aufgewachsene junge Mann, wäre die falsche Heimat, seine richtige jedoch Deutschland. Für die Erreichung dieses Ziels wurde er zum Hochverräter und Handlanger des Nazi-Regimes, zum Exekutor millionenfachen Mordes.
Odilo Globocnik war ein Mann des Befehls, eine wahre „Befehlsmaschine“. Er führte Befehle aus und erteilte Befehle; ja, seine Sehnsucht war der Befehl, gab es keinen klaren Befehl, so fühlte er sich unsicher und bat seine Vorgesetzten um Präzisierung. Genau diese Haltung verlangte er auch von seinen Mitarbeitern: Befehle waren um jeden Preis auszuführen. Das war die eine Seite. Die andere Seite war sein brennender Ehrgeiz, der ihn träumen ließ: von einem neuen „Musterstaat“ und von gigantischen Projekten, mit denen sein Name verbunden sein würde. Und er sehnte sich nach den Zeichen, die davon erzählen würden: nach dem Blutorden und dem Eisernen Kreuz, nach in Erz gegossenen Tafeln.
Er gilt als der „blutigste Einpeitscher von Judenvernichtung und Germanisierung“ im Generalgouvernement, der polnischen Kolonie des Dritten Reiches. Einen „archetypischen Nazi-Bluthund und Freibeuter“ nennt ihn Arno J. Mayer, Hitler-Biograf Joachim C. Fest spricht von einem „Mörder aus Profession“, Joseph Poprzeczny charakterisiert ihn als genocidal killer und Heinrich Himmlers most vicious wartime accomplice, als one of the most bestial murderers of Jews and Poles that the 20th century was to produce – doch ist Odilo Globocnik trotz all dieser markigen Zuschreibungen ein Mann ohne „Gesicht“ geblieben. Er, der „Juden-Liquidator“ und „barbarische Judenvernichter“ (Heinz Höhne), ist in der Literatur über den Holocaust im Generalgouvernement allgegenwärtig, taucht in Zeugenaussagen und Berichten auf und wird in Gerichtsurteilen gegen die Mörder in seinen Diensten als „Haupttäter“ genannt. Dennoch bleibt seine Gestalt seltsam unbestimmt.
Tatsächlich reicht es nicht, Globocnik als Monster abzustempeln. Wer seine Persönlichkeit verstehen will, muss viel genauer hinsehen. Ja, er war ein „angenehmer Chef“, sagt seine Sekretärin Wilhelmine „Mimi“ Trsek. Ein sensibler Typ, der sich nach dem Besuch eines Lagers und den dort gewonnenen Eindrücken angeblich tagelang in seinem Schlafzimmer einschloss. Ein Mann mit außergewöhnlichem „Organisationstalent“ und von schnellen Entschlüssen, dem die Zauderer vom Schlag eines Seyß-Inquart und die hohlen Schaumschläger wie Hans Frank suspekt sind. Ein „Wichtigtuer, der es verstand, seine Person gehörig in den Vordergrund zu stellen und seine Phantasiegebilde von Plänen so darzustellen, als ob sie größtenteils schon verwirklicht wären“, und der „alles allein und am besten“ machen wollte, wie Rudolf Höß, der Kommandant von Auschwitz, urteilte: „Ob es sich um Judenvernichtungen oder um Polenumsiedlungen handelte oder um die Verwertung der beschlagnahmten Werte“ – Globocnik wollte unbedingt „an der Spitze stehen“ und konnte einfach „nicht genug bekommen“. Er „übertrieb maßlos, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, war aber“, wie Höß meint, „an und für sich ein gutmütiger Mensch“. Was er „an Bösem anrichtete, geschah nach m(einem) Erachten nur aus Großtuerei, Wichtigmachen und Selbstüberhebung“.
Er war ein Hochverräter, der den „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich nach Kräften förderte, und ein skrupelloser Handlanger, der auf Befehl Heinrich Himmlers kaltblütig den industriellen Massenmord planen und durchführen ließ. Ein schlechter Verlierer, zerfressen von Ehrgeiz, der seine Niederlagen nicht wahrhaben will. Ein abenteuerlustiger „Geschäftsmann“, einem guten Handel niemals abgeneigt, auch nicht mit jüdischen Partnern. Kein großer Ideologe, sondern ein auf den „Erfolg“ ausgerichteter Pragmatiker, dem jedes Mittel recht ist – Odilo Globocniks Geschichte ist die Geschichte eines jungen Mannes, der bereit war, sein Menschsein an den „Führer“ und dessen Gehilfen auszuliefern …
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