Doch an diesem Tag gibt es niemanden im Springerzirkus, der mit Toni Innauer mithalten könnte. Höchstweite mit 89 und 90 m in beiden Durchgängen, dazu entsprechend hohe Haltungsnoten bedeuten am Ende 266,3 Punkte und 17,1 Punkte Vorsprung auf die beiden ex aequo Zweitplatzierten Manfred Deckert aus der DDR und Hirokazu Yagi aus Japan. DDR-Sportkommentator Klaus Ullrich meint zur Leistung des Österreichers: „Wäre es nur um den Olympiasieg gegangen, hätte man Innauer nach Boxerregeln in diesem Augenblick durchaus zum Sieger durch Abbruch wegen sportlicher Überlegenheit erklären können.“
In der Stunde seines großen Sieges denkt Toni Innauer an den Mann, der ihn auf dem Weg zum Erfolg entscheidend begleitet hat: „Oben stand ganz verloren Baldur Preiml mit seinen roten Fäustlingen. Ich winkte ihm zu. Er blieb unbewegt stehen und schaute mich an. Ich wollte ihm in die Arme fallen, dann sah ich erst, daß er weinte.“

Die Mordtat des Don Julius d’Austria
Es ist Faschingsmontag, doch in Krumau (Cesky Krumlov) ist niemandem zum Lachen zumute, als die Schreckensnachricht aus dem Schloss sich in der Stadt verbreitet. Der Täter trägt einen pompösen Namen: Don Julius Caesar d’Austria, der älteste uneheliche Sohn Kaiser Rudolfs II. und seiner Geliebten Katharina Strada, geboren 1584 oder 1586. Der kaiserliche Vater hat ihm eine sorgfältige Erziehung und Ausbildung zuteil werden lassen und ihm als Residenz im Jahre 1605 das Schloss in Krumau zugewiesen, das er wenige Jahre zuvor Peter Vok, dem letzten Rosenberger, abgekauft hat. Den Sommer 1606 hat der Prinz – zeigt schließlich auch er eine besondere Leidenschaft für mechanische Uhren – auf Wunsch des Vaters im niederösterreichischen Kartäuserkloster Gaming verbracht, dann kehrte Don Julius nach Krumau zurück, wo er wohl schon 1607 Margarete Pichler, die Tochter des Baders Sigmund Pichler und der Lucie Pichlerová, kennenlernte. Mit Zustimmung der Eltern zieht das Mädchen in die ehemalige rosenbergische Residenz und lebt mit dem jungen Habsburgerspross zusammen, schon bald werden aber die dunklen Seiten des offenbar an Schizophrenie leidenden Prinzen sichtbar: Es kommt zu einem Gewaltexzess, Don Julius verprügelt Margarete, verletzt sie durch Messerstiche und wirft sie schließlich, „schrecklich verhenkert und verstochen“, aus dem Schlossfenster.
Der Schauplatz des Fenstersturzes: das Schloss in Krumau.
Das Mädchen hat Glück, fällt auf einen Misthaufen und überlebt den „Fenstersturz“. Als der Vater Margaretes es ablehnt, sie nach ihrer Wiederherstellung neuerlich zu ihm zu bringen, lässt Don Julius den Bader ins Gefängnis werfen und droht ihm mit dem Galgen; nach fünf Wochen Haft ihres Gatten gibt schließlich die Mutter nach und führt ihre Tochter doch ins Schloss. Es ist Faschingssonntag – bereits am nächsten Tag kommt es zur Tragödie: In einem Wutanfall verletzt Don Julius einen Diener, der gerade noch fliehen kann, und erschlägt dann seine Geliebte, die er verstümmelt und zerstückelt, die Leichenteile verteilt er im Schloss.
Das Entsetzen in den europäischen Herrscherhäusern über die Tat des „grausamen Tyrannen“ ist groß, Kaiser Rudolf II. verhängt über seinen Sohn lebenslange Haft im Krumauer Schloss. Don Julius, dessen Geisteskrankheit rasch voranschreitet und der in „Schmutz und Unordnung“ versinkt, stirbt am 25. Juni 1609; der Kommentar des Chronisten Václav Brezan: „Das Teufelein hat ihn erwürgt!“

Der Tod des Koloman Wallisch
Für Kanzler Engelbert Dollfuß ist es die Erfolgsmeldung im Kampf gegen die „Aufständischen“: Am 18. Februar kann der Nachrichtensprecher der RAVAG vermelden, dass der gesuchte Sozialist Koloman Wallisch, Führer der Schutzbundkämpfer in der Obersteiermark, auf den ein Kopfgeld von 5.000 Schilling ausgesetzt gewesen wäre, mit seiner Frau Paula auf der Flucht von Leoben nach Admont von der Polizei angehalten und festgenommen worden sei. Am nächsten Tag, dem 19. Februar, steht Koloman Wallisch zusammen mit dem Bezirkskommandanten des Schutzbundes Hubert Ruhs vor dem Standgericht. Die Anklage lautet auf „Aufruhr“ nach Paragraf 73 Strafgesetzbuch. Der Staatsanwalt, den es wenig kümmert, dass er einen ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat vor sich hat, nennt Wallisch in seiner Anklagerede „den bösen Geist von Obersteiermark“ und behauptet, dass Wallisch den Putsch von langer Hand vorbereitet habe. In seinem Schlussplädoyer, aus dem unverhüllt der Geist des Faschismus weht, fordert er den Schuldspruch, denn die „ganze Figur des Wallisch“ sei nicht nur ein Name, sondern „ein Programm“. Und: „Wallisch ist eine Eiterbeule am gesunden Volkskörper der Obersteiermark und diese muss ausgeschnitten werden, um den Volkskörper wieder gesund zu machen.“ Dann darf Koloman Wallisch seine Verteidigungsrede halten. Noch einmal skizziert der Arbeiterführer in wenigen Sätzen die Entwicklung seit der „Selbstausschaltung“ des Parlaments bis hin zum Verbot des Schutzbundes und zur offenen Bewaffnung der Heimwehr. Eindringlich weist er auf das Elend der Arbeitslosen hin, das diesen „Aufschrei der Massen“ unvermeidlich gemacht habe. Und er gibt sich keiner Illusion über sein Schicksal hin, weiß, dass er das auserkorene Opfer des Dollfuß-Regimes ist: „Ich weiß genau, dass ich verurteilt werden muss. Ich bettle nicht um Gnade und über den 19. Februar 1934 wird die Weltgeschichte, wird die Arbeiterschaft urteilen! Dieser Tag wird allerdings nicht in Ehrenlettern in der Geschichte der Leobener Justiz eingetragen sein. … Ich habe mein ganzes Leben der Arbeiterschaft gewidmet, ihr zu dienen, und zwar mit Erfolg, war mein Ideal. Weil ich ehrlich für die Arbeiter kämpfte und mit Erfolg mit ihnen tätig war, darum ist der Hass der Gegner so groß!“
Während die Verhandlung noch andauert, wird man am Wiener Ballhausplatz schon ungeduldig. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß kann angeblich das Todesurteil gegen Wallisch kaum abwarten – um sieben Uhr abends lässt er schließlich telefonisch beim Leobener Gericht anfragen, warum die Verhandlung gegen den Sozialistenführer so lange dauere und er noch nicht zum Tode verurteilt sei. Das Gericht beeilt sich und muss auch nicht lange beraten, es geht schon längst nicht mehr um Gerechtigkeit – das Todesurteil ist gleichsam ein Auftrag des offiziellen Österreich an die Richter. Um 20.30 Uhr wird das Urteil verkündet: Es lautet auf Todesstrafe für beide Angeklagte. Im Publikum wird Zustimmung laut – man freut sich offen. Ruhs bittet um Gnade; Wallisch lehnt dies ab, sein Verteidiger versucht es der Form halber dennoch telefonisch in Wien, wie zu erwarten ohne Erfolg. Wallisch bleibt gefasst, eine letzte Bitte bringt er noch vor: Er möchte eine Verlängerung der Frist bis zur Hinrichtung um drei Stunden und dies wird ihm auch gewährt.

Koloman Wallisch wartet im Gefängnishof von Leoben auf seine Hinrichtung.
Die letzten Minuten seines Lebens verbringt Konrad Wallisch im Hof des Gefangenenhauses. Exakt um 23 Uhr 40 wird er zur Hinrichtung geführt. Der Holzhof wird von Scheinwerfern beleuchtet; eine Abteilung des Bundesheers ist angetreten. Da sich in Leoben niemand gefunden hat, der bereit gewesen wäre, den Galgen aufzustellen, zwingt man Häftlinge zu dieser Arbeit. Ein Loch wird gegraben, das Todesgerüst darin fixiert. Als Henker amtiert ein Fleischhauer aus Wien namens Spitzer; schon am Nachmittag hat er in den Leobener Wirtshäusern damit angegeben, dass er „den Wallisch“ hängen werde. Von ihren Zellenfenstern aus können die gefangenen Schutzbündler sehen, wie Koloman Wallisch mit festem Schritt unter die Schlinge tritt. Als der Henker sie ihm um den Hals legt, ruft er aus: „Es lebe die Sozialdemokratie! Hoch! Freiheit!“
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