Frank Wündsch
DER SCHATZ DES
GREGOR GROPA
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
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Titelfoto: Treasure Chest © destina
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
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Titel Frank Wündsch
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Titelfoto: Treasure Chest © destina Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Danksagung
Dieser Winter wollte einfach kein Ende nehmen. So viel Schnee und Kälte hatte die Region an Rhein und Neckar selten erlebt. Als zu Beginn des Jahres der Schnee in der kalten Sonne glitzernd auf den Straßen und Wegen lag, konnten sich die Menschen zunächst darüber freuen. Nicht lange darauf hatte das große Fluchen begonnen, wenn jeden Morgen das Auto vom Eis befreit werden musste oder die Straßenbahnen in zugewehten Weichen steckengeblieben waren. Dann sehnte jeder den Frühling herbei. Nur die Kinder nicht. Die kamen dank der Bahnen zu spät in die Schule und zeigten ihre Dankbarkeit, indem sie die Wagen mit Schneebällen bewarfen.
Die Erwachsenen suchten nach Schuldigen und glaubten, mit dem Winterdienst der Stadt Mannheim einen gefunden zu haben. Der räumte täglich die Hauptverkehrsadern frei und ließ die Nebenstraßen unbeachtet. Die Menschen, die in diesen Straßen wohnten, wollten ihrem Ärger Luft machen und ließen die Telefone im Rathaus Sturm klingeln. Die Angestellten der Stadt bekamen was auf die Ohren, auch wenn sie nicht für den Winterdienst, sondern für Kindergärten, Schulen oder die Müllabfuhr zuständig waren. Der Oberbürgermeister ließ sich verleugnen. Nur bei einer Person machte er eine Ausnahme. Als ein Vertrauter der Familie Weigelt anrief, ließ er sich verbinden und sagte nicht „Ja“, aber auch nicht „Nein“ und bat stattdessen um etwas Geduld.
Als Tauwetter einsetzte, war das den Menschen wieder nicht recht, da daraufhin die Straßen und Wege verschlammten. Erneut kam Frost auf, Schneefälle setzten ein, und alles ging wieder von vorne los. Kaum ein Sonnenstrahl wärmte die Herzen der Menschen, und der Frühling schien so weit weg zu sein, wie für eine Biene der Flug zum Mond.
Für Boris war es einerlei, wie das Wetter sich zeigte, denn sein Gemüt war belastet von der Angst vor der Einsamkeit. Boris wusste, dass er bald den Tod seines besten wie einzigen Freundes beklagen musste. So oft es ging, besuchte er Konrad im Krankenhaus. Aschfahl lag der in seinem Bett und schien jede Hoffnung, verloren zu haben. Einmal war es Boris gelungen, Konrad ein Lächeln in das eingefallene Gesicht zu zaubern. Vor dem Eingang zum Krankenhaus war Boris ausgerutscht und in eine mit dünnem Eis bedeckte Pfütze gefallen. Dabei hatte er seinen besten Anzug getragen. Tropfend und vor Schmutz starrend stand er vor Konrads Bett.
Als dieser bemerkte, wie Boris am ganzen Leib zitterte, verging ihm sogleich das Lächeln. Konrad drückte den roten Knopf, und die Schwester kam zur Tür herein. Sie reichte Boris ein Handtuch aus Konrads Badezimmer. Boris rieb ein wenig im Gesicht und am Hals. Kaum waren seine Wangen trocken, wurden sie wieder feucht, weil ihm die Tränen herunterrannen. Boris begann gegen seine Art zu stottern und zu stammeln: „Was ma- ma- mache ich de-de-denn, wenn du to-to-tot bist, Ko-Ko-Konrad?“
„Du sollst weiterleben und dein Glück finden“, kam ihm die Antwort schwer über die Lippen.
Boris kniete aus Respekt und um ihn besser zu verstehen, vor Konrad nieder. Boris benötigte von einem dem Tod geweihten Menschen Trost. Der Freund strich ihm sanft über den Kopf und hielt seine Hand. Boris wollte sie nie mehr loslassen. Konrad bat ihn darum zu gehen. Und möglichst bald wiederzukommen. Boris hörte ihm mit aller Aufmerksamkeit zu, nur so konnte er das Anliegen Konrads erfassen. „Das mache ich, kein Problem. Meine Familie wird nichts davon merken, klarer Fall. Ich kann ganz schön geschickt sein, wenn es sein muss. Und das, was du willst, das muss sein, und daher mache ich das auch. Wart’s nur ab, wie so’n Wirbelwind bin ich weg und sofort wieder da.“
Boris rannte aus dem Zimmer, knallte die Tür hinter sich zu und zog vor Schreck die Schultern hoch. Leise öffnete er die Tür wieder, schlich auf Zehenspitzen zum Bett und fragte: „Wie viel brauchst du denn davon?“
Er musste genau hinhören, um die Zahl verstehen zu können. „Das ist ja gar nicht viel. Wird gleich erledigt. Ich beeile mich ganz arg, damit du noch am Leben bist, wenn ich –“ Vor Scham hielt er die Hand vor den Mund. Dann sagte er: „Ich bin sofort zurück. Versprochen!“
Vor dem Krankenhaus standen Taxis. Obwohl Boris keinen Cent in der Tasche hatte und von oben bis unten verschmutzt war, stieg er ein. Der Mann am Steuer nahm kaum Notiz von ihm und fuhr los. Er verfügte über reichlich Erfahrung und hatte alle möglichen Leute durch Stadt und Land gebracht. Darunter befanden sich knausrige Schnösel, die nicht das kleinste Trinkgeld zu geben bereit waren und Menschen, deren Kleidung schwerlich auf ihre Großzügigkeit schließen ließ. Er wunderte sich nur über die Straße, in die er seinen seltsamen Fahrgast bringen sollte. Die war von Schnee und Eis geräumt und wäre mit Sommerreifen befahrbar gewesen.
Als der Wagen vor der angegebenen Adresse hielt, rückte Boris mit der Wahrheit heraus. „Ich muss Ihnen was sagen.“
„Ja, was denn?“
„Ich habe keinen einzigen Cent bei mir.“
„Wie bitte?“ Der Fahrer glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können.
„Aber ich bringe gleich Geld her, Ehrenwort. Glauben Sie mir?“, fragte Boris treuherzig.
Der Fahrer schaute zu der Villa, vor der sein Wagen hielt. So ein großes Haus hatte er selten zuvor gesehen. „Ich warte hier auf das Geld. Aber beeilen Sie sich.“
„Das ist gut, ich muss nämlich gleich zurück zum Krankenhaus.“
Boris hatte nicht zu viel versprochen. Bereits nach wenigen Minuten saß er wieder im Auto, verdreckt wie zuvor, aber mit Geld in der Tasche. „Zum Glück bin ich heute allein daheim, sonst hätt’s Ärger geben können.“
„Zahlen Sie bitte gleich.“
Boris zögerte nicht und reichte dem Fahrer einen Fünfhundert-Euroschein.
„Das kann ich nicht wechseln“, staunte er.
„Dann geben Sie mir hundert zurück. Aber dafür fahren Sie mich auf der Stelle ins Krankenhaus, klar?“
Im Klinikum ließ Boris den Lift unbenutzt und rannte im Treppenhaus nach oben. Er fand das Zimmer sofort, weil er oft zu Besuch gewesen war. Er riss die Tür auf und wollte zu Konrad. Die Krankenschwester bat um einen Moment Geduld, um ihren Patienten waschen zu können. Boris atmete auf. Konrad lebte.
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