Der junge Minamoto-no-Yoshitsune und sein ergebener Diener, der riesenhafte Kriegermönch Benkei, sind aus dem Epos über die ersten Samurai noch heute die beliebtesten Helden. Niemand verkörperte das Starke und das Reine dieser Krieger so wie sie. Ihr tragisches Epos ist unserem Rolandslied nicht unähnlich. Wie durch einen romantischen Nebelschleier hindurch dringt aus ihrer Geschichte das Schöne und das Große, aber auch das Anrührende zu uns, die Tugenden des alten bushidô in ihrer reinsten Form. Yoshitsune war intelligent und ungestüm, von Idealen beseelt. Er vereinte die Stärke des Kämpfers und die Zerbrechlichkeit des aufrechten Mannes, der am Ende von widrigem Schicksal zu Boden geworfen wird. Yoshitsune zählte erst 31 Jahre, als er traurig und schicksalsergeben starb. Aber sein kurzes Leben war intensiv und erfüllt, geprägt von klarer Bestimmung, flüchtig und schön wie die Kirschblüte. Yoshitsune und Benkei erlangten durch ihren beispielhaften Tod unvergänglichen Ruhm. Ihre Taten sind häufiger Gegenstand von Märchen, Gedichten, volkstümlichen Erzählungen, nô- und kabuki-Theaterstücken oder auch von Holzschnitten, als die jedes anderen Helden der japanischen Geschichte.
»Sieben Leben, um dem Kaiser zu dienen.«
Die Loyalität des Kusunoki Masashige
Ein Baum im Süden
Im Japan des anbrechenden 14. Jahrhunderts standen sich zwei unversöhnliche Mächte gegenüber, die des Shôguns Hôjô Takatoki, der in Kamakura ein ausschweifendes, luxuriöses Leben führte, und die des Kaisers Go-Daigo. Hôjô Takatoki entstammte der Familie der Gemahlin des Minamoto-no-Yoritomo. Ihm mangelte es vollkommen an jener Integrität, die dem Klan der Minamoto stets zu eigen gewesen war. Auf seiner Seite stand die Realität der Macht, doch diese Macht war nicht mehr unerschütterlich. Die Kriegerkaste war immer weniger gewillt, die wuchernde und allgegenwärtige Korruption und den absoluten Autoritätsanspruch des Shôgunats hinzunehmen. Dies galt um so mehr, als der letzte Sieg über die Mongolen, die am Ende des 13. Jahrhunderts versucht hatten, das Land zu erobern, sich für sie nicht in Form von Ländereien oder Reichtum ausgezahlt hatte.
Die Autorität des Kaisers war durch die mächtige Kriegerkaste (buke) zur Bedeutungslosigkeit degradiert worden. Natürlich wurden dem Tennô nach wie vor alle Zeichen der äußerlichen Ehrerbietung dargebracht, aber alle waren sich über die tatsächlichen Machtverhältnisse im Klaren. Seit den Zeiten der Fujiwara waren die Kaiser durch die Kriegerkaste nach Gutdünken eingesetzt, gestürzt und manipuliert worden. Die Aristokraten des Hofes fühlten sich zunehmend an den Rand gedrängt, was ihr Ehrgefühl in hohem Maße verletzte. Doch da sie über keine eigenen Militärkräfte verfügten, mußten sie sich ihrem Geschick ergeben. Mit dem Tode des Kaisers Go-Saga im Jahre 1272 hatten sich die Verhältnisse noch verschlimmert. Die Nachkommen seiner beiden Söhne übten nun im Wechsel die formale kaiserliche Macht aus, die auf diese Weise gegenüber der faktischen Macht, die in den Händen der Familie der Hôjô konzentriert war, noch mehr an Bedeutung verlor. Somit konnte der Kaiserhof nicht das geringste ausrichten angesichts der himmelschreienden Ausschweifungen der Shôgune von Kamakura.
In dieser Situation erfolgte im Jahre 1318 die Thronbesteigung durch Kaiser Go-Daigo. Dieser war eine starke, hochgebildete Persönlichkeit. Er war Künstler und Poet, zeichnete sich jedoch auch durch Eitelkeit und Arroganz aus. Er schöpfte Hoffnung aus dem sittlichen Verfall der Hôjô-Regenten und glaubte, daß die Gelegenheit gekommen war, die kaiserliche Autorität wiederherstellen zu können. Er begann darüber nachzusinnen, wie die Vorherrschaft der Shôgune, die seit 200 Jahren in Kamakura herrschten, zu brechen sei. Er faßte einen sehr einfachen Plan. Er wollte ihm ergebene Gefolgsleute ausfindig machen, die bereit sein würden, sich im Kampf für seine Rückkehr an die reale Macht aufzuopfern.
Go-Daigo war Anhänger des Sung-Konfuzianismus, der eine enge Beziehung zwischen Herrn und Untertan lehrte und unbedingten Gehorsams von Seiten des letzteren forderte. In jener Zeit erlebte die Religion gerade eine Erneuerung. Vor allem der Zenbuddhismus pries eine strenge körperliche und geistige Disziplin und das Losgelöstsein von den Realitäten dieser Welt. Dies war eine Philosophie, die hervorragend zur Mentalität der Samurai paßte, Krieger, die auf der Suche nach einem Lebensideal waren und nach einem Sinn des Todes, jenseits der Erscheinungen der materiellen Welt. Im Zusammenspiel mit anderen Gedankenströmungen, wie dem Shintô43 oder den Lehren, wie sie die Sekten der Nichiren-Shôshû oder Jôdô verbreiteten, stellte dies eine Philosophie des aufrichtigen und engagierten Handelns dar, wie auch der Entsagung. Diese Philosophie war natürlich auch offizielles Glaubensbekenntnis jener, die an der Spitze der sozialen Pyramide standen. Da auf diese Weise der geistige Nährboden hierfür bereitet war, fand Go-Daigo, der 96. Kaiser Japans, mit seinen Ideen bei vielen Samurai Anklang.
Im Jahre 1331 war Go-Daigo gezwungen, aus Kyôto zu fliehen, nachdem seine ersten Versuche, Verschwörungen gegen das Bakufu zu organisieren, gescheitert waren. Er fand Unterschlupf in einem Kloster am westlich von Nara gelegenen Berg Kasagi. Das Kloster war eine natürliche Festung, die von Kriegermönchen, Yamabushi, gehalten wurde, welche ihm treu ergeben waren. Hier hatte er eines Nachts einen hellseherischen Traum, der im Taiheiki überliefert worden ist, einer anonymen Chronik aus dem 14. Jahrhundert. In diesem Traum sah sich Go-Daigo umgeben von einem Kreis aus Kurtisanen, die in seinem Garten in Kyôto saßen. Ein Platz aber war leer geblieben. Dieser Platz befand sich unter einem riesigen Baum, südlich von dessen Stamm. Das Blattwerk war über dieser Stelle besonders dicht. Alle schienen auf etwas zu warten. Plötzlich erschienen zwei Kinder, in denen er die Bodhisattvas44 Nikkô und Gakkô erkannte. Die Kinder knieten vor ihm nieder, um ihm zu offenbaren, daß der leere Platz für ihn selbst bestimmt war, und daß dies der einzige sichere Platz für ihn sei. Als er erwachte, versuchte er, einen Sinn in dieser Traumbotschaft zu finden. Er erkannte, daß, wenn man die Zeichen für »Baum« und »Süden« kombinierte, man den Begriff »Kampferbaum« (kusunoki) lesen konnte. Er fragte Jojubo, einen Priester des Tempels, ob er von einem Krieger gehört habe, der diesen Namen trug. Tatsächlich stellte sich heraus, daß es in der Provinz Kawachi, westlich vom Berg Kongô, einen Samurai gab, der so hieß. Man schickte einen Boten nach ihm. Kusunoki Masashige, der sich der Ehre, die ihm zuteil wurde, bewußt war, begab sich unverzüglich zum Kaiser und schwor ihm den Treueid.
Die Belagerung von Akasaka-jô
Kusunoki45 wurde 1294 geboren. Er war der Sohn des Lehnsherren Masato, eines kleinen Landadeligen aus der zwischen Ôsaka und Nara gelegenen Provinz Kawachi. Die Überlieferung besagt, daß seine Mutter, die lange Zeit kinderlos geblieben war, sich einst für hundert Tage in den auf dem Berg Shigi stehenden Tempel des Gottes Bishamon, auch Tamon-ten genannt, zurückgezogen hatte. Dort soll ihr die bevorstehende Geburt ihres Sohnes in einem Traum offenbart worden sein. Aus Dankbarkeit für die erhörten Gebete gab sie ihm den Namen Tamonmaru, Kind des Tamon. Des weiteren sagt die Überlieferung, daß der Junge seine Kindheit im Tempel von Kanshinji verbracht habe. In den Tempelarchiven sollen Aufzeichnungen zu finden sein, die davon berichten, daß er sich durch einen beispielhaften Charakter und vielseitige Begabungen auszeichnete, vor allem auf kämpferischem Gebiet. Im Alter von 15 Jahren verlieh man ihm bei der gempuku-Zeremonie den Namen Masashige. Aus ihm entwickelte sich ein gebildeter, kultivierter Mann, der zugleich ein erprobter, unabhängiger Kriegsherr war.46 In seinen jungen Jahren hatte er zweifelsohne Gelegenheit gehabt, auf Handelsreisen die Hauptstadt zu besuchen, denn seine Provinz war in Japan der Hauptproduzent für Quecksilbererz, aus dem man Zinnober extrahierte, eine Substanz, die als Kosmetikum sehr geschätzt war. Aber alles in allem gab es in seinem Leben nichts Bemerkenswertes bis zu dem Tag, an dem er Go-Daigo die Treue schwor.
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