Östlich von Kaunos, das noch zur südwestkleinasiatischen Landschaft Karien gehört, beginnt am Indos (Dalaman Nehri) das antike Lykien – ein bewaldetes Bergland, das sich mit wunderbaren Stränden, von denen sich die von Ölüdeniz ( Abb. 3) und Patara größter Beliebtheit erfreuen, und mit zahlreichen verschwiegenen Buchten, die man vielfach nur mit einem Motor- oder Segelboot erreicht, bis zum Golf von Antalya hinzieht. In Antike und Mittelalter – ja sogar bis zu dem erst 1975 erfolgten Ausbau der landschaftlich grandiosen, aber auch kurvenreichen Küstenstraße – war das gebirgige Lykien, dessen höchste Gipfel in den Ak Dağlar und den Bey Dağları auf über 3.000 m ansteigen und das von wasserreichen Flüssen durchzogen wird, nur schwer zugänglich. In dieser Landschaft gab es keine brauchbare Ost-West-Straßenverbindung, denn wie die Küstenstrecke war auch die Hochlandverbindung über die Ebene von Elmalı sehr schwierig zu begehen. Zwar verzeichnet die Tabula Peutingeriana , die mittelalterliche Kopie einer im 4. Jh. n. Chr. angefertigten Karte der antiken Welt, von Patara über Antiphellos, Korydalla und Phaselis nach Attaleia eine durchgehende Küstenstraße, doch scheint es sich wohl eher um die Stationen einer Schiffsroute zu handeln.
Abb. 3 Der Strand von Ölüdeniz. Ein Hauch von Karibik.
Unter diesen geografischen Voraussetzungen konnten sich Städte überregionaler Bedeutung wie Xanthos, Patara, Myra und Limyra nur in den fruchtbaren Mündungs- und Schwemmlandgebieten entwickeln, die die Flüsse Xanthos (Esen Çayı), Myros (Demre Çayı) und Arykandros (Aykır Çayı) in Jahrtausenden geschaffen haben. Die ansonsten felsige Küste wird von kleinen Häfen bestimmt, die in tief eingeschnittenen Buchten oder hinter vorgelagerten Inseln Schutz fanden wie Telmessos, Patara, Antiphellos, Teimiousa, Andriake und Phaselis. Kleinstädte, Dörfer und Gehöfte des Hinterlandes liegen entsprechend der kleinräumigen Gliederung auf den Anhöhen dieser Berglandschaft und sind in ihrer Entwicklung von der Größe der fruchtbaren, aber meist kleinen Hochtäler und der umliegenden Wälder abhängig ( Abb. 4).
Insgesamt muss das antike Lykien erhebliche Überschüsse erwirtschaftet haben, wie anders sind die beiden monumentalen hadrianischen Kornspeicher in Patara und Andriake zu erklären. Bis auf den heutigen Tag sieht man in den landwirtschaftlich geprägten Siedlungen kleinere und größere Speichergebäude, die interessanterweise in ihren Konstruktionsmerkmalen Imitationen alter lykischer Holzhäuser sind: Eine Pfostenkonstruktion mit Längs- und Querbalken, die in den Eckpfosten miteinander verzahnt sind und mit ihren Enden über die Außenwände hinausragen; zwischen den Holzbalken sind die Wände kassettenartig verkleidet. Diese Holzbauweise wurde bei den lykischen Felsgräbern und Sarkophagen bis in die Details imitiert; gleiches gilt wohl auch für das von Rundhölzern getragenen Flachdach vieler Grabhäuser, noch heute in vielen Gebieten die Dachkonstruktion des anatolischen Bauernhauses aus Pappelstämmen. Interessant ist, dass sich die Übernahme der traditionellen Holzbauweise im an Felsgräbern reichen Anatolien auf Lykien beschränkt, wenn wir vom benachbarten karischen Kaunos einmal absehen.
Abb. 4 Phellos, Blick über das Taurosvorland auf die Küste bei Antiphellos (Kaş).
In seiner Gesamtheit bildete Lykien eine in sich geschlossene, nach außen abgeschottete Kulturlandschaft, deren Reiz in der eindrucksvollen Verbindung von rauher, urwüchsiger Natur mit einem großen Reichtum an historischen Monumenten und Ruinenstätten liegt. Die geografisch bedingte Unzugänglichkeit dieser Landschaft war die Voraussetzung dafür, dass Lykien trotz des Druckes auswärtiger Mächte wie der Perser und der hellenistischen Reiche bis zur Integration in das Römische Reich (43 n. Chr.) immer wieder die Kraft zu einem kulturellen und politischen Eigenleben fand. Sichtbarer Ausdruck dafür sind die eigenständige Kunst und Sprache Lykiens, die Bauten und Münzen unabhängiger lykischer Dynasten und der Lykische Bund, ein föderativer Zusammenschluss der lykischen Städte.
Nach antiker Überlieferung sind die Lykier mit dem Volk von Lukka identisch, das mit dem hethitischen Großreich (15. – 12. Jh. v. Chr.) Handelsbeziehungen unterhielt; auf den Amarna-Tafeln erscheinen sie als Lukki unter den „Völkern des Meeres“, die im 13. Jh. v. Chr. das pharaonische Ägypten bedrohten. Herodot nimmt an, dass die Lykier, die unter der Führung von Sarpedon und Glaukos im Troianischen Krieg auf Seiten der Troianer kämpften, von der Insel Kreta eingewandert sind. Weitere literarische Nachrichten aus der Frühzeit der Lykier liegen nicht vor, doch konnten im Hochland bei Elmalı Siedlungen einer einheimischen Bevölkerung aus der frühen Bronzezeit (Mitte 2. Jt. v. Chr.) freigelegt werden.
Jahrhunderte haben die Lykier erfolgreich fremden Einflüssen widerstanden, nur an der Ostküste konnten im 7. Jh. v. Chr. Griechen mit der Gründung von Phaselis Fuß fassen. Doch sollte es noch ein weiteres Jahrhundert dauern, bis in den lykischen Hafenstädten neben phönikischen Elementen auch griechische Einflüsse spürbar wurden, die sich an Münzen und Reliefs ablesen lassen. Das ist umso erstaunlicher, als das waldreiche Lykien schon früh einen starken Reiz auf die Griechen ausgeübt haben muss. Wie anders wäre zu erklären, dass sie einige ihrer schönsten Mythen wie die Flucht der Leto mit den göttlichen Zwillingen Apollon und Artemis von Delos zum Letoon und die Heldentaten des korinthischen Helden Bellerophon in die lykische Bergwelt verlegten.
Historisch greifbar werden die Lykier erst wieder Mitte des 6. Jhs. v. Chr., als sie einen Angriff des lydischen Königs Kroisos abwehrten, der mit Ausnahme von Kilikien ganz Kleinasien unter seiner Herrschaft zusammengeführt hatte, sein Reich aber schon 546 v. Chr. an den persischen Großkönig Kyros II. verlor. Die Unterwerfung Lykiens gelang im folgenden Jahr dem persischen Feldherrn Harpagos nach Eroberung von Xanthos, allerdings scheint die persische Herrschaft recht gemäßigt gewesen zu sein. Es blieb keine Besatzung zurück, lykische Dynasten wurden zu Gouverneuren ernannt, die in Grabinschriften als „zweite Befehlshaber“ hinter dem persischen Satrapen in Sardeis betitelt wurden. Auch empfand man die zu zahlenden Tribute nicht als drückend, für die Flotte von Xerxes I., die 480 v. Chr. in der Seeschlacht von Salamis vernichtet wurde, stellten die Lykier nur 50 Schiffe.
Aus dem griechischen Sieg über die persische Großmacht resultierte für die lykischen Städte eine Zwangsmitgliedschaft im Delisch-Attischen Seebund; allein die griechische Kolonie Phaselis schloss sich freiwillig an und diente im Jahre 469 v. Chr. dem Athener Kimon vor der entscheidenden Schlacht am Eurymedon als Flottenstützpunkt. Mit der Abhängigkeit von Athen verstärkte sich der ionische Einfluss auf die lykische Kunst, der besonders deutlich auf Münzen und Reliefs zum Ausdruck kam. Aber schon 429 v. Chr. entlud sich die lykische Reaktion gegen das vordringende Griechentum. Vom Sieg des Dynasten Kherẽi über eine athenische Flottenexpedition unter Melesandros berichtet der berühmte Inschriftenpfeiler von Xanthos, der in lykischer Sprache und unter Verwendung eines griechischen Epigramms die Taten dieses Fürsten verherrlicht.
Eine zweite Phase des griechischen Einflusses ist ab 400 v. Chr. mit dem Nereidenmonument von Xanthos anzusetzen, als attische und peloponnesische Künstler nach der politischen Katastrophe Athens im Peloponnesischen Krieg (431 – 404 v. Chr.) sich in Karien und Lykien ein neues Betätigungsfeld suchten. Skopas, Leochares und Timotheos standen in Diensten des Maussolos von Halikarnassos, weitere Künstler arbeiteten in den lykischen Residenzen von Xanthos, Trysa und Limyra. Sicher waren es griechische Künstler, die nach den lykischen Münzen mit einem Eber auch die ersten Münzen mit Herrscherporträts schufen: das Bild des Kherẽi von Xanthos (430/420 v. Chr.) und das eindrucksvolle Porträt des Perikles von Limyra (380 – 360 v. Chr.).
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