Wenn und wo der Mensch Sinn seines Seins, Sinnhaftigkeit des Lebens nicht aus Gott ableiten kann, gebietet ihm Denken Sinnsuche außerhalb eines Denkens von Gott, hinaus über eine Vorstellung von Gott, was keinesfalls Atheismus bedeuten muß. Verortung des Menschen auf der Welt, der Welt im Kosmos, läßt den Menschen sich selbst begreifen als ein geschaffenes, erschaffenes Wesen zunächst aus sich selbst, zuletzt aus der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten. So will es scheinen, Naturwissenschaft, Suche und Aufspüren der Gesetzmäßigkeiten von Abläufen innerhalb eines kosmischen Geschehens könne sowohl Frage nach Gott als auch Sinn der Frage und auch der Person, wenn nicht ad hoc lösen, so doch auf Dauer erübrigen. Zweifellos läßt Wissenschaft Erklärung einer Vielzahl von Naturerscheinungen zu, nimmt ihnen den Nimbus des Mystisch-Mythischen, beraubt Erkenntnis immer mehr Wunder ihrer wundersamen Abkunft. Nachdem die in Gott angelegte Krise scheinbar rechtfertigt, sich von IHM/IHR/IHM(ES) abzuwenden, übernimmt die Hinwendung zu den Naturwissenschaften Stellvertreterrolle, sucht nach dem Beweis, der Mensch sei entweder Gott ähnlich, oder ohne Gott zu gottähnlichem Wirken befähigt und berechtigt. Beweis für ersteres kann Wissenschaft nicht und nie erbringen, scheitert doch die Beantwortung der Frage unter der Voraussetzung GOTT an der im Menschen selbst angelegten Prämisse, ein Geschöpf zu sein. Letzteres, gottähnliches Wirken muß Wissenschaft mißlingen, wirkt sie doch stets innerhalb einer sich ständig wandelnden, stets erneuernden Materie und Wirklichkeit, vollzieht sie stets Vergangenes nach, setzt das Nachvollzogene selbst dort, wo es vorausgedacht erscheinen mag, einem nicht vorausdenkbaren Wandel aus. Dies wird nirgendwo deutlicher, als beim Versuch des Klonens. Eine sich aus sich selbst erneuernde Zellstruktur mit der ihr eigenen, durchaus entschlüsselbaren genetischen Kodierung bleibt nach wissenschaftlicher Kenntnis 21 Tage im Wandel hin zur Erneuerung. Sie durchläuft dabei im intrazellulären Stoffwechsel die Bedingungen von Zeit und der individuellen inneren und äußeren Um- und Zustände des Raumes. Die Reproduzierbarkeit der Zelle selbst produziert nicht identische Zeit, schafft nicht identische innere und äußere Zustände über meßbare, vergleichbare Taktung der Zeit, wiederholt nicht identischen Stoffwechsel, verlangt dem reproduzierten Organ jedoch spezifische Reaktion auf die neuen, sich stets erneuernden Gegebenheiten ab, die es Mangels „Erfahrung“ nicht bewältigen kann, beziehungsweise analog dem „Erfahrenen“ zu absolvieren sucht, sich Erfahrungen selbstkonditionierend, mutierend, evolutionär anpaßt. Wäre es anders, wäre nach vorwärts gerichtete unendliche Lebensdauer denkbar und produzierbar. Bereits aber die Zellerneuerung binnen definierter Frist weist biologisches und existentielles Verfalldatum im Millisekundentakt auf und nach. Nur der Kreislauf der Erneuerung und der zwangsläufig damit verbundene Tod garantieren Leben. Kopie, der Klon trägt mit seinem Erscheinen, trägt beim Eintritt in die Welt sein Verfalldatum aus sich heraus, unabhängig vom Reife- und Entwicklungsstadium der benutzten Zelle. Mithin ist auch Wissenschaft, insbesondere Gentechnik nicht geeignet und nicht in der Lage, sich dem Begriff GOTT anzunähern und/oder ihn zu ersetzen. Auch hier bleibt die Krise Gott. Und es bleibt die Frage, ob Wissenschaft sie lösen will, sie lösen muß. Voraussagen läßt sich: sie kann es nicht.
Einzig annehmbare Alternative unter der Hypothese Gott bleibt so die Suche nach Gott durch das Individuum in demselben. Jeder einzelne wird für sich in sich Gott bestimmen müssen, einen spezifischen, seinem eigenen Sein zugedachten Gott. Indem der individuelle Gott, so das Individuum ihn zu identifizieren versteht, Bestimmung desselben, zugleich Bestätigung der kosmisch-biologischen Zusammenhänge reflektiert, wird Gott einerseits persönliche Imagination, andererseits imaginäre, universelle, bestimmende Kraft, nur als geglaubte Institution scheinbarer Bestandteil realer Welt, oder der Sucher wird gleich zum Atheisten, nur eine andere Form des Glaubens.
Das Individuum selbst ist Kirche. Solch Glaube stellt aus der individualistischen spirituellen Erfahrung die Gemeinschaft der Gläubigen im Sinne der Konfessionsgemeinschaften nicht nur in Frage, sondern hebt deren Allgemeinverbindlichkeit für die jeweilige Gruppe Glaubender auf. Glaube wird, ist, bleibt auf der Suche nach Gott persönlich, nur in der eigenen Person erfahrbar, gelegentlich in spiritualistischem, metaphysischen persönlichen Erleben, mit der logischen und unabänderlichen Konsequenz, nicht GOTT ist die Krise, sonder die Krise ist Religion, ist glaubensbedingt, ist abhängig von Bekenntnissen. Gott bleibt im und mit Religions- und Konfessionsglaube die Krise des Menschen, der Mensch mithin Krise Gottes.
GOTT als Wesenheit jenseits jeder Vorstellungskraft, als Einheit jenseits des Denkbaren, ausgestattet mit dem Gedanken seines Gegenteils, durch Menschengedanken mit dem Satan bewaffnet, verliert mit seiner Undenkbarkeit Satans Stachel, macht ihn zu einer stumpfen Waffe, nimmt dem als Hölle bezeichneten Inferno jeden Ansatz der Wahrscheinlichkeit, beseitigt Schrecken, einerseits unausweichliche Konsequenz, andererseits tröstliche Grundeigenschaft des GOTTES, wer, was wo und wie ER/ SIE/ES immer auch sein mag.
All dies trifft - mit der Einschränkung auf das berüchtigte Salzkorn - judaistisch prophetische monotheistische Weltanschauung und ihre Anmaßung, Gott anschauen, IHN schauen zu wollen. Alle drei monotheistischen Weltreligionen betrifft es gleichermaßen und gleichzeitig. Absage an ihre Auffassung und ihre Darstellung des Gottwesens ist weder Atheismus noch mündet sie im Antichristen oder einer Verneinung der bis Muhammad 25 Propheten. Verworfen werden lediglich die von Menschen als Wahrheit ausgegebenen Vorstellungen über Gott und sein Wesen und daran gebundene Forderung, Zumutungen des Glaubens. Beweisbar ist, von Glaubenstheoretikern als wahr angenommenen Glaubenssätze entbehren des unterstellten Wahrheitsgehaltes, sind zwingend unwahr. Eine für den Ungläubigen nicht weniger beschämende Erkenntnis wie für den Gläubigen. Wo erkenntnistheoretisch die Axiome als unzutreffend hingenommen werden müssen, ist Glaube wider besseres Wissen … Dummheit. Vor der ist kein Freund der Weisheit, kein Philosoph gefeit, der beschlagene Theologe mit ihr geschlagen. Fehlbarkeit der Vernunft ist und bleibt Programm des Menschen.
Ob Glaube im Sinne der judaistisch prophetisch monotheistischen Bekenntnisse dennoch eine Berechtigung hat, ist eine völlig andere Frage, eine Frage, die dem Glauben als Institut, der Institution als soziales Korrektiv innerhalb einer Gemeinschaft, den Instituten innerhalb ihrer Gesellschaft gilt. Soweit Glaube der in ihm aufgehobenen Gesellschaft zu einem strukturierten, friedlichen Sozialgefüge verhilft, ist er mehr als berechtigt. Sobald sich institutionalisierte Glaubensgemeinschaft der einen Glaubensüberzeugung gegen Institution und/oder Überzeugung einer anderen Glaubensgemeinschaft stellt, ist die Institution sowohl verwerflich als entbehrlich, verrät sie doch Institut und Auftrag gleichzeitig, dient dem Unfrieden. Unfriede ist wie Friede nicht Gottes, sondern der Menschen Angelegenheit und ihrer Institutionen Werk, derzeit freilich nur als Unfriede erkennbar.
Politik sieht sich damit vor die entscheidende Frage gestellt, ob sie sich zur Durchsetzung ihrer Ziele innerhalb einer Gemeinschaft unterschiedlicher Konfessionen einer in einer derselben angelegten Gottheit bedienen, sich auf diese berufen soll, sie in ihre verfaßten Normen hineinschreiben darf. Ihr Auftrag spricht eindeutig dagegen! Friedenspolitik kann nur im Verzicht auf religiöses und politisches Glaubensbekenntnis gelingen. Friedenspolitik ist andererseits individuelle, persönliche Entscheidung aus der Erkenntnis, daß der Sinn des Lebens definiert ist im kategorischen Imperativ Kants aus Naturrecht und Menschenrecht, aus philosophischer Sicht, aus monotheistisch religiöser Sicht in der Goldenen Regel der Nächstenliebe, wie sie das alte Testament formuliert, das Neue Testament erneuert, der Koran bekräftigt, auch und obwohl sie allen anderen religiösen Entwürfen bis hin in die Naturreligionen zu eigen ist. Sinn des Lebens ist Herstellung der Zufriedenheit sowohl des Einzelnen als auch der Gemeinschaft. Als erstes und einziges benötigt Zufriedenheit Frieden, die eigentliche Lebensaufgabe und Herausforderung. So GOTT die Krise ist, bleibt als Sinn des Lebens Auftrag zu fortdauernder Gegenwartsgestaltung nach Regeln des kategorischen Imperativs mit dem Ziel Zufriedenheit, damit Gewährleistung lebbarer Gegenwart, erstrebenswerter Zukunft, berichtenswerter Vergangenheit.
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