Anette Hinrichs
Das Sandmann-Projekt
Kriminalroman
Anette Hinrichs wurde 1970 in Hamburg geboren. Nach Fachabitur und kaufmännischer Ausbildung am Hamburger Flughafen folgten berufliche Stationen bei einer Reederei, im Bereich Banken und Einzelhandel. Ihre Leidenschaft fürs Krimilesen wurde im Teenageralter durch Agatha Christie entfacht und weckte den Wunsch, eines Tages selbst zu schreiben. Heute lebt sie als freie Autorin mit ihrer Familie im Raum München.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
(Originalausgabe erschienen 2015 im Leda-Verlag)
Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer
unter Verwendung eines Fotos von: © julian/stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-6514-7
25. Januar 1979
Ein schrilles Geräusch riss Rena aus dem Schlaf.
Hinter dem Fenster war es noch dunkel. Schwaches Mondlicht drang durch die Gardinen und warf geisterhafte Schatten an die Schlafzimmerwand.
Sie tastete benommen mit der Hand zur anderen Bettseite. Als ihre Fingerspitzen das leere Kissen berührten, fiel ihr ein, dass Peter auf Dienstreise war.
Die Türklingel, dachte Rena und knipste das Nachtlicht an. Der Wecker zeigte zehn Minuten vor sechs. Noch über eine halbe Stunde Zeit, ehe sie aufstehen musste. Ihr Blick fiel auf den kleinen Körper, der wie ein zusammengerollter Igel am Fußende ihres Bettes lag. Die langen dunklen Locken verdeckten Romys Gesicht. Ihre Tochter hatte sich offenbar wieder einmal in der Nacht eingeschlichen.
Das Schrillen der Türklingel zerriss erneut die frühmorgendliche Stille.
»Mami?« Romy rieb sich schlaftrunken die Augen.
Rena strich ihrer Tochter kurz über die Locken. »Schlaf weiter.« Energisches Türklopfen drang vom Hausflur bis zum Schlafzimmer. Eine Stimme rief ihren Namen. Renas Füße berührten den kalten Bodenbelag. Sie fröstelte. Im Vorbeigehen griff sie nach ihrem Morgenmantel, den sie am Vorabend achtlos über einen Stuhl geworfen hatte, und zog ihn hastig über. Wer war an der Tür? Um diese Zeit? Vielleicht war im Haus ein Feuer ausgebrochen. Rena zog unwillkürlich Luft ein, um zu prüfen, ob Brandgeruch darin lag. Nichts.
Das Klopfen wurde lauter, ging in eindringliches Hämmern über. Renas Herz pochte ihr bis zum Hals, als sie die Abdeckung des Türspions beiseiteschob und in den hell erleuchteten Hausflur spähte. Sie zuckte zusammen.
»Mami?« Romy war ihr gefolgt und zupfte an ihrem Morgenmantel. Ihre Stimme klang ängstlich. Sie hielt Bruno, ihren einarmigen Schlenkerbären, an die Brust gedrückt.
Rena ging in die Hocke, um ihre Tochter fest in den Arm zu nehmen. »Du gehst jetzt in dein Zimmer und bleibst so lange dort, bis ich dich holen komme«, flüsterte sie dem kleinen Mädchen ins Ohr.
Sie wartete, bis ihre Tochter im Kinderzimmer verschwunden war. Dann öffnete sie die Haustür.
Dicke Regentropfen trommelten gegen das Fenster, als Kurt Wenninger um halb sieben die Küche betrat, um seinen Kaffee zuzubereiten. Schwarz und ohne Zucker.
Sein Kreislauf machte ihm zu schaffen. Vermutlich lag es an dem plötzlichen Temperatursturz. Menschen in seinem Alter steckten den nicht ohne weiteres weg. Wochenlang hatte drückende Hitze über der Stadt gelegen. Nun war der Himmel grau in grau. Die Pflanzen würden sich freuen, dachte er mit einem Blick auf seine vom Regen benetzte Thujenhecke.
Es war spät geworden am vergangenen Abend. Weit nach Mitternacht. Im Grunde war der Eklat schon seit langem vorprogrammiert gewesen. Alles hatte seinen Preis. Die Erfahrung hatte Kurt in seinen knapp acht Lebensjahrzehnten schon oft gemacht.
Mit der Kaffeetasse in der Hand ging er ins Wohnzimmer. Er setzte sich in seinen Ohrensessel vor dem Fenster. Der Garten lag halb verborgen im Regenschleier. Vielleicht würden sich mit dem Wetter auch die Gemüter abkühlen. Kurt fragte sich, ob er etwas anders machen würde, wenn er noch mal die Chance dazu bekäme.
Er trank einen Schluck Kaffee. Im Garten hatte sich etwas verändert. Sein Blick glitt die frisch gestutzte Hecke entlang, über perfekt kugelförmige Buchsbäume, und blieb schließlich am Rasen hängen. Sekundenlang verharrte er in seiner Position, dann stellte er die Kaffeetasse auf den Beistelltisch und erhob sich aus seinem Sessel.
Kurt öffnete die Terrassentür und trat in den Regen hinaus. Die unerwartete Kälte ließ ihn augenblicklich frösteln. Er starrte auf die Grünfläche. Es dauerte einen Moment, ehe er erkannte, dass etwas in seinen Rasen gemäht worden war. Er begriff es nicht. Trotzdem streifte ihn ein Hauch von Angst, als er in die morgendliche Stille lauschte. Jemand war hier gewesen. Er drehte sich um die eigene Achse und blickte die Hecke entlang. Hatte man ihn beobachtet?
Langsam wandte er sich um und ging zurück ins Haus, ohne auf die Spuren zu achten, die seine nassen Pantoffeln auf dem Parkett hinterließen. In der Diele nahm er die Treppe ins Obergeschoss, steuerte sein Schlafzimmer an und stieß dort das Fenster zum Garten auf.
Von hier oben ließ es sich erkennen. Jemand hatte eine vierstellige Zahl in seinen Rasen gemäht. Es dauerte einen Moment, ehe sein Gehirn die Verbindung hergestellt hatte. Dann wich er zurück, setzte sich schwer atmend auf sein Bett und schloss die Augen.
In seinem Kopf überschlugen sich Gedanken und Bilder, führten ihn weit zurück in die Vergangenheit, an einen anderen Ort, in eine andere Zeit.
Er öffnete die Augen. Noch immer regnete es Bindfäden. Sein Herz raste, als er mit zittrigen Händen das Schlafzimmerfenster schloss, den Blick auf die Ziffern in seinem Rasen gesenkt.
Dann schalt er sich selbst einen Narren. Jemand hatte sich einen Spaß erlaubt. Mehr nicht.
Kurt ging zurück ins Untergeschoss. Seine Tasse stand noch immer auf dem Beistelltisch im Wohnzimmer. Der Kaffee war kalt.
Hinter ihm wurde die Haustür aufgeschlossen. Kurt sah auf seine Armbanduhr. Pünktlich auf die Minute. Sein Puls normalisierte sich. Er lächelte. Die Fantasien eines alten Mannes.
Als er sich umdrehte, sah er direkt in die Augen seines Gegenübers. Urplötzlich kam die Angst zurück.
Das Kleid saß perfekt, das Make-up war dezent, sogar an ein Geschenk hatte sie gedacht. Dennoch nagte ein unbehagliches Gefühl an Malin. Thies wollte sie heute seiner Mutter vorstellen. In ihren Augen war es dafür viel zu früh. Sie waren erst seit zwei Monaten ein Paar. Was würde danach kommen? Erwartete er, dass sie ihn mit ihrer Mutter bekanntmachte? Bei der bloßen Vorstellung sträubten sich ihr die Nackenhaare.
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